Neoliberales Zeitalter: Wofür Männer und Frauen gemeinsam kämpfen sollten
Feministinnen und Anti-Feministen haben die falschen Feindbilder. Beide Geschlechter sollten gemeinsam dafür streiten, dass sich Beruf und Familie vereinbaren lassen und das Privatleben nicht weiter verkümmert.
Männer leben riskant. Sie rauchen zu viel, sie trinken zu viel, sie fahren wie die Henker, arbeiten wie die Berserker, und sie sind überproportional häufig in Gewalttaten verwickelt. Kein Wunder also, dass Frauen im Schnitt sechs Jahre länger leben als Männer. Und ebenfalls kein Wunder, dass Frauen die männlichen Wesen in ihrer Umgebung zu mehr Vorsicht ermahnen. Dass das Männer und Jungs nervt, ist bekannt. Schließlich wollen sie doch einfach nur mit den Kumpels um die Häuser ziehen, eine Klettertour unternehmen oder Karriere machen. Doch nun haben die Frauen keine Lust mehr, als wandelnde Nervensägen zu gelten. Sie lassen die Männer machen und kümmern sich um ihre eigenen Angelegenheiten. Und wenn es sich dabei gleichfalls um eine Karriere handelt, ist plötzlich niemand mehr da, der sich sorgt und mahnt. Was aber dann?
Seit einigen Jahren erproben die Männer selbst die Mahnerrolle. Häufig berufen sie sich dabei auf die deutsch-österreichische Klosterstudie unter Leitung des Demografen Marc Luy. Sie zeigt, dass sich die Lebenserwartung von Frauen und Männern annähert, wenn sie in Klöstern oder einer vergleichbar abgeschlossenen und ruhigen Umgebung leben.
Doch führt diese Erkenntnis nicht einfach zu Einsicht und Umkehr, sondern zu Empörung. Der Mann stehe nicht nur unter Leistungsstress, sondern sei das benachteiligte Geschlecht, lautet der Befund. Und der verbindet sich verblüffend schnell mit einem simplen Feindbild: dem Feminismus oder gar der „Feminisierung“ der Gesellschaft. Die Bandbreite der Vorwürfe beginnt mit der Behauptung, Frauen hätten sich bequem in der Opferrolle eingerichtet und malträtierten die Männer guten Gewissens mit unhaltbaren Forderungen. Sie führt weiter über die Skandalisierung der Tatsache, dass es mittlerweile tatsächlich einige Frauen in die Führungsetagen geschafft haben. Und sie endet noch lange nicht bei der Unterstellung, die weibliche Dominanz in Kindergärten, Schule und Familie führe zur Bevorzugung von Mädchen und zu Identitätskonflikten bei Jungen, denen männliche Vorbilder fehlten.
Die seit einem guten Jahrzehnt erstarkende Männerbewegung versammelt höchst unterschiedliche Gruppen, von Homosexuellen bis hin zu ums Sorgerecht kämpfenden Vätern. Sie bekommt stete Unterstützung von Entscheidungsträgern, beispielsweise von Frank Schirrmacher, dem Mitherausgeber der „FAZ“, der 2003 von einer „Männerdämmerung“ sprach, weil er „die entscheidenden Produktionsmittel zur Massen- und Bewusstseinsbildung in Deutschland (...) in der Hand von Frauen“ liegen sah. Die beiden Journalistenbrüder Andreas und Stephan Lebert schrieben 2007 eine „Anleitung zum Männlichsein“, um die vermeintliche Dominanz des Weiblichen zu kompensieren. Vor zwei Jahren widmete sich in Düsseldorf ein Kongress der Frage „Neue Männer – muss das sein?“ Seit Ende der neunziger Jahre erscheinen massenhaft Bücher mit Titeln wie „Konkurrenz, Karriere, Kollaps“, „Die Männlichkeitskrise“ oder „Potent werden – das Handbuch für Männer“.
Nun hat sich auch der Schriftsteller Ralf Bönt zu Wort gemeldet. „Das entehrte Geschlecht. Ein notwendiges Manifest für den Mann“ heißt sein Buch (erschienen bei Pantheon, siehe Tagesspiegel vom 26. Februar). Es will die Männer wachrütteln, damit sie ihr Leben endlich selbst in die Hand nehmen. Naturgemäß braucht es dazu starken Tobak: „Weil er falsch lebt, stirbt der Mann früh. (...) Seine Sexualität gilt in Nachrichten und Unterhaltung entweder als das Lächerliche oder gleich als das Böse schlechthin. Kaum eine Nachrichtensendung, kaum ein Fernsehkrimi kommt noch ohne Sexualdelikt aus.“
Paritätisch und offensiv einen Teil der Lebenszeit für das Familiäre reservieren
Aber stimmt das denn? Die vermeintliche Gesellschaftsdiagnose könnte auch an der Wahl des falschen Fernsehsenders liegen, der beim Autor auch noch einen Alarmismus auszulösen scheint, der eines promovierten Physikers und angesehenen Schriftstellers eigentlich nicht würdig ist. Dem Mann werde die „Rolle des Mindermenschen“ zugeschrieben, behauptet er ohne jeden Beleg. Aber was soll um Himmels willen daraus folgen? Dass das Geschlecht des Mannes fortan geehrt oder gar verehrt werden soll? Müssten die Frauen also anbetend auf den Knien liegen, um das geknickte Selbstbewusstsein der Männer wieder aufzurichten? Das hatten wir schon.
Besonders ärgerlich ist die Mischung aus Aggressivität und Weinerlichkeit, weil sie eine Überlegung diskreditiert, die weitaus interessanter wäre: dass sich nämlich Feminismus und Neoliberalismus auf fatale Weise ergänzen. Beide tendieren dazu, das Familiäre und damit alles, was nicht mit Erwerbsarbeit zu tun hat, herabzuwürdigen: „Der Feminismus (...) kann kein Beitrag zum Entwurf einer Gesellschaft im 21. Jahrhundert mehr sein. Mit der Forderung nach im Beruf härter kämpfenden Frauen wird er neoliberal und passt auf einen Bierdeckel. Aber was ist das für eine Welt, in der neben jedem Mann nun auch jede Frau erst Karriere machen muss, um ein Mensch zu sein? Umgekehrt wird eine Gesellschaft, die Leben mit Kindern gering schätzt, wie Männer es seit jeher getan haben, dumm und impotent.“
Genau hier wäre der Ansatzpunkt, um aus einem Pamphlet, das hemmungslos Ressentiments durch die Gegend bläst, ein Manifest zu machen, das diesen Namen auch verdient. Es wäre nun wirklich an der Zeit, dass Männer und Frauen ernsthaft gemeinsam dafür streiten, dass sich Beruf und Familie tatsächlich vereinbaren lassen. Und da ist es mit ein paar Monaten Erziehungsurlaub nicht getan.
Warum nicht statt der leidigen Halbtagsstellen, auf denen fast ausschließlich Frauen sitzen, Dreiviertelstellen propagieren, die Männer und Frauen gleichermaßen einnehmen, um paritätisch und offensiv einen Teil ihrer Lebenszeit für das Familiäre zu reservieren? Und das meint nicht unbedingt nur Kindererziehung. Es bedeutet, überhaupt das Augenmerk auf die private Sphäre zu lenken. Denn nicht nur Kinder brauchen Zeit oder pflegebedürftige Alte und Kranke, sondern alle Formen persönlicher Beziehungen. Das private Leben verkümmert, während der Beruf immer größere Bedeutung gewinnt, das ist der eigentliche Skandal des neoliberalen Zeitalters. Eine Privatsphäre jenseits von Arbeit und Konsum zu etablieren, ist die gesellschaftliche Herausforderung, die ansteht. Beide Geschlechter müssten gleichermaßen daran interessiert sein, sie anzunehmen. Wir brauchen ein Manifest, das die private Sphäre verteidigt, und zwar jenseits der üblichen Mann-Frau-Klischees. Darauf wäre man wirklich gespannt.
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