Kino: Wo ist meine Stimme?
Mit „The Green Wave“ schwimmt Regisseur Ali Samadi Ahadi auf der richtigen Welle. Denn iranische Filme sind so gefragt wie nie. In diesem aktuellen Werk geht es um die Proteste im Iran.
Es sind die Tage des iranischen Kinos. Gerade hat Asghar Farhadis Drama „Nadar und Simin“ bei der Berlinale triumphiert, nun kommt mit „The Green Wave“ ein Film ins Kino, wie er aktueller und dramatischer nicht sein könnte.
Alles beginnt im Sommer 2009. Der in Köln lebende Filmregisseur Ali Samadi Ahadi, der 2005 mit seinem Dokumentarfilm „Lost Children“ über Kindersoldaten in Uganda bekannt wurde, soll auf dem Filmfest Emden seine Deutschland-Komödie „Salami Aleikum“ vorstellen. Gerade noch war er in der iranischen Botschaft in Bonn gewesen, um seine Stimme für die Präsidentschaftswahl abzugeben, nun will das Team die Filmpremiere genießen. Allein: Die Fernsehnachrichten verhindern es. Nachrichten von Wahlfälschung und Betrug, Bilder verzweifelter Menschen, denen man die Stimme gestohlen hat. „Wochenlang saß ich wie gelähmt vor dem Fernseher und am Telefon, verfolgte die Nachrichten aus der Heimat“, erzählt Ali Samadi Ahadi. Bis ihm klar war: „Ich bin Filmemacher, ich kann nur das tun, was ich kann. Einen Film über die Ereignisse im Sommer 2009 drehen.“
So entstand „The Green Wave“, der gerade auch auf dem Sundance-Festival im Wettbewerb lief. Nach Hana Makhmalbafs „Green Days“, der 2009 die Demonstrationen, die Aufbruchsstimmung und Hoffnungen vor der Wahl dokumentierte, ist „The Green Wave“ nun sozusagen die Fortsetzung. Er erzählt von der brutalen Niederschlagung der Bewegung. Noch einmal sieht man die Stationen: Die Wahlkampfveranstaltung Mussawis im Teheraner Fußballstadion im Mai 2009, das Staunen darüber, wie viele Menschen sich auf die Straße wagen, um für ihr Recht zu kämpfen, die Straßenfeststimmung in Teheran in den Tagen vor der Wahl. Und dann der Schock, als Ahmadinedschad gewinnt. „Where is my vote?“, wo ist meine Stimme, ist der Slogan der Nachwahlproteste, als offenkundig wird, dass das Wahlergebnis manipulierte wurde. Es folgen brutale Polizeieinsätze, Razzien, Verhaftungen, Schüsse in die Menge, Panik, Nedas Tod. „The Green Wave“ zeigt Bilder aus dem berüchtigten Teheraner Gefängnis Evin, wo die Verhafteten zusammengepfercht stehen und geschlagen werden, Panik und Angst breiten sich aus.
„Iran ist heute ein großes Gefängnis“, sagt Ali Samadi Ahadi und berichtet bei einer Diskussionsveranstaltung im Hebbel am Ufer davon, wie die Opposition systematisch durch Verhaftungen und Verurteilungen mundtot gemacht wird: Journalisten, Anwälte, Schriftsteller, Filmemacher. Das harsche Vorgehen gegen die iranischen Regisseure Jafar Panahi und Mohammed Rasoulof, gegen das gerade auf der Berlinale protestiert wurde, ist nur ein Beispiel von vielen, ein systematisches Einschüchterungsmanöver. Samadi Ahadi und seinem Team war bei den Vorbereitungen zu „The Green Wave“ klar: Danach können sie nicht mehr in den Iran reisen. Auch die Exil-Iraner, die nach der Wahl das Land verlassen mussten und die im Film interviewt werden, die Journalistin Mitra Khalatbari und der Blogger Mehdi Mohseni, können nicht zurück.
Ursprünglich hatte Ali Samadi Ahadi einen Film über Drogen im Iran drehen wollen. Doch an eine Drehgenehmigung war 2009 nicht mehr zu denken. „The Green Wave“ stützt sich daher auf das Material, das im Netz verfügbar war: Filme und Fotos, von Demonstranten mit dem Handy aufgenommen, Berichte, die über Blogs, Twitter und Facebook verbreitet wurden. „Iran ist eine Bloggernation“, erklärt Ali Samadi Ahadi. Die „grüne Revolution“ war die erste Bewegung, die auf Social Networks fußte: die Revolution einer Jugend, die sich der modernen Medien bedient. Inzwischen geschieht Ähnliches überall in der arabischen Welt, von Tunis über Kairo bis nach Tripolis.
„The Green Wave“ ist eine Doku-Collage, die virtuos mit dem vorhandenen Material arbeitet: Sie nutzt authentisches Filmmaterial, so unscharf, verwackelt, bruchstückhaft, wie es eben ist; hinzu kommen Interviews mit Menschenrechtsaktivisten wie der Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi oder dem ehemaligen UN-Ankläger Payam Akhavan. Dazu stellt der Film als fiktive Rahmenhandlung die Geschichte zweier Studenten: Azadeh, die als Wahlkampfhelferin arbeitet, und Kaveh, der zufällig in die Protestbewegung gerät. Ihre Geschichte hat Ali Samadi Ahadi aus Augenzeugenberichten kompiliert und im Stil eines Motion Comics animiert. Das erinnert an den israelischen Film „Waltz with Bashir“ oder Marjani Satrapis „Persepolis“. Comicanimationen dienen als Hilfskonstruktion für Berichte, die nicht in Bildern überliefert sind, aber auch als Schutzkonstruktion, die Rückschlüsse auf die Blogger verhindert. Ali Samadi Ahadi selbst zieht eine Verbindung zu jüdischen Exilanten in den USA, die im Zweiten Weltkrieg mit Comics gegen Hitler kämpften. Wo das Dokumentarmaterial versagt, hilft die Kunst.
Auch in diesen Tagen protestierten im Iran erneut Tausende gegen die Regierung und werden brutal angegriffen, es gab Tote und Verletzte. „The Green Wave“ ist eine Hommage an die „grüne Revolution“. Eine wütende Anklage gegen die Unterdrückung der Freiheit. Und ein Loblied auf den Mut der Demonstranten. Vergesst sie nicht, sagt dieser Film. Wie sollte man sie vergessen?
Moviemento, Neue Kant Kinos, Filmtheater am Friedrichshain, Hackesche Höfe, Delphi. Ali Samadi Ahadi stellt seinen Film kommenden Sonntag, 27. 2., in folgenden Kinos vor: Hackesche Höfe, 13 Uhr; Lichtblick, 18.30 Uhr; Moviemento, 20 Uhr.
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