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Kultur: Wo die weisen Worte wohnen

Wohltemperiertes Funktioniertheater: „Gift“ am Deutschen Theater mit Ulrich Matthes und Dagmar Manzel.

In seriösen Buchverlagen gibt es sogenannte Programmplätze. Sagen wir, ein Verlag bringt im Halbjahr sechs literarische Titel heraus. Von denen sind vielleicht zwei für anspruchsvollere Texte reserviert, zwei für gehobene Unterhaltung und zwei für internationale Bestseller, von denen man sich tolle Umsätze verspricht. Und wenn der Gott der Verkäufe dem Verlag wohlgesonnen ist, geht diese Mischkalkulation auf. Anspruch und Erfolg. Auch seriöse Theater haben wohl so etwas wie Programmplätze. Da gibt es Stücke, die topaktuelle gesellschaftliche Probleme angehen (Relevanz!) oder formal sperrige, aber sehr ambitionierte Abende (Kunst!). Es gibt Stücke mit Laienbeteiligung (um neues Publikum zu erschließen) und Inszenierungen, die es auf ein Lebensgefühl abgesehen haben. Und schließlich gibt es die so wichtigen Da-weiß-man-was-man-hat-Abende.

Das sind diejenigen, die sozusagen schon als Klassiker, als Longseller konzipiert sind. Schauspieler, die das Publikum liebt, erzählen einfühlungsrealistisch Geschichten aus der Mittelschicht. Beziehungskrampf, Erinnerungsschmerz, Lebenslügenentbergung. Doch am Ende des Tränentals leuchtet tröstend das Licht einer Lebensweisheit. Wie in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, Stücken von Yasmina Reza oder jetzt am Deutschen Theater in „Gift“ von der niederländischen Autorin Lot Vekemans.

„Gift“ ist ein perfekter Daweiß-man-was-man-hat-Abend. Zwei Schauspieler, die alle lieben, nämlich Dagmar Manzel und Ulrich Matthes, geben in einem realistisch trostlosen Friedhofswarteraum (ist das Leben nicht eine einzige Wartehalle?) ein leidlich ineinander verstricktes Ex-Ehepaar. Und zwar unter eher zurückhaltender Anleitung von Christian Schwochow, der als Filmregisseur Uwe Tellkamps „Turm“ fürs Fernsehen realisierte, in seinem Spielfilmdebüt „Novemberkind“ schon einmal mit Matthes zusammengearbeitet hat und nun sein Theaterdebüt gibt.

Und die Rechnung geht auf. Am Ende des Emotionsparcours’ werden Manzel und Matthes frenetisch beklatscht, eine Dame überreicht rote Rosen, und Manzel tut so, als sei sie über den Jubel überrascht – und ihn nicht gewohnt. Erfolg ist dem Abend sicher. Man möcht über ihn auch kein schlechtes Wort verlieren. Aber viel Positives fällt einem irgendwie auch nicht ein. Das Problem der Inszenierung ist, dass sie gar keines hat. Sie verlässt den Radius ihres beschränkten Anspruches zu keiner Sekunde. Alles spielt sich auf dem Feld des Wohltemperierten ab, selbst wenn Ulrich Matthes vor lauter Wut über die selbstverliebte Leidensseligkeit seiner Ex-Frau zu brüllen beginnt oder Dagmar Manzel über den vermeintlichen Lebenspragmatismus ihres Ex in Tränen ausbricht: Diese Ausschläge zeigen mehr die beeindruckende Virtuosität der beiden, als tief in den Raum des Schmerzes vorzudringen.

Es geht übrigens darum, dass vor zehn Jahren der Sohn bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Seitdem bewohnt die Frau ihre Trauer wie ein Haus, während der Mann ihr Dauerleiden nicht aushielt, sie an einem Silvesterabend verließ, inzwischen wieder verheiratet ist und bald erneut Vater wird. Jetzt treffen sie in der Friedhofsverwaltung aufeinander, weil angeblich das Grab des Sohnes verlegt werden muss. Dagmar Manzel spielt die Frau mit einer Mischung aus Kiebigkeit und galgenhumoriger Bitternis, die dann in ein fast drolliges Anlehnungsbedürfnis mündet. Matthes legt den Mann mit einer brüchigen Jovialität an.

Dass die beiden mehr um, als miteinander spielen, liegt vielleicht nicht an ihnen, sondern an den Schwächen des Stücks. In einem Kammerspiel, das über weite Strecken von der Unfähigkeit handelt, die richtigen Worte zu finden, dürfen Sätze wie „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“ einfach nicht vorkommen. Auch die Figurenreaktionen und Konflikte sind manchmal krude. Er hat sich zehn Jahre nicht gemeldet und wundert sich, dass sie nun über seinen Abgang reden will. „Du willst wirklich jetzt darüber reden?“ „Ja wann denn bitteschön sonst?!“ Dafür funktioniert der große Bogen, und auf den kommt es in der Standarddramaturgie solcher Stücke schließlich an. Nach anfänglicher Verstocktheit greifen die alten Muster und führen fast zu seinem zweiten Abgang, doch dann kommt er mit einer Flasche Wein zurück und die Geschichte arbeitet sich langsam auf die wirklich berührende Versöhnung vor.

Paartherapie gelungen, gute Schauspieler gesehen und mit der Losung „Das Leben ist nicht mehr als dieser Moment!“ kann auch jeder was anfangen. Nein, viel gibt es an der Machart solcher Abende nicht auszusetzen. Auch wenn sie einfach nur laufen wollen. Andreas Schäfer

wieder am 12., 14., 19. November und 4., 22. und 28. Dezember

Andreas Schäfer

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