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Volksbühnen-Prater: Wo der Hummer hängt

Solo für Samuel Finzi: Leicht verdaulich ist Ivan Panteleevs Inszenierung von David Foster Wallaces „Am Beispiel des Hummers“ im Prater nicht.

Von Jan Oberlaender

Sir Henry hat den Blues. Während das Publikum sich noch in die Prater-Bankreihen einfädelt, singt der Volksbühnen-Musiker resigniert: „I cannot change these things“. Ein langes Intro zu einem kurzen Abend. Leicht verdaulich ist Ivan Panteleevs Inszenierung von David Foster Wallaces „Am Beispiel des Hummers“ allerdings nicht. Das liegt am Text. Und an Samuel Finzi.

Neben dem würfelförmigen Kantholzgerüst mit Riesenfühlern, in dem Sir Henry an der Orgel sitzt, führt ein schmaler Laufsteg direkt auf die Zuschauer zu (Bühne: Jochen Hochfeld). Über diesen Steg kommt Finzi getänzelt, im weißen Anzug mit weißem Hemd, ein schmieriger Entertainer, singend, grinsend. Vorn bleibt er stehen und blinzelt in den Saal.

2004 beschrieb David Foster Wallace für das Feinschmecker-Magazin „Gourmet“ das jährliche Hummer-Festival im US-Ostküstenstaat Maine als schreckliche Touri-Veranstaltung. „Leuchtturm, Lobster, gute Laune“ ist das Motto, es gibt Musik und Misswahlen, den größten Hummerkessel der Welt und ein mit kleckernden, lauten Menschen vollgestopftes Fresszelt. Angesichts dieser Dinge ging es Autor Wallace bald nicht mehr um Leckerschmeckerei. Vielmehr stellte sich ihm eine Frage: „Ist es eigentlich in Ordnung, aus reiner Freude am Genuss ein fühlendes Wesen in einen Topf mit kochendem Wasser zu werfen?“

Darum geht es, zumindest im ersten Teil des Abends, in dem Finzi Wallaces Text wiedergibt. Guter Regiekniff, den kommerziellen Eventcharakter des Fressfestivals in Finzis – hoch unterhaltsamem! – Gewitzel, seinen Grimassen und von Sir Henry begleiteten Songeinlagen einzufangen – die Überlegungen auf der Textebene, wenn man sie ernsthaft nachzuvollziehen bereit ist, sind schließlich alles andere als witzig.

Hilft es, dem Hummer ein Messer zwischen die Augen zu stechen, bevor man ihn in den Topf wirft? Nö, lernt man, Hummer haben kein Gehirn, ihr Nervensystem hat keinen zentralen Ausschaltpunkt. Ob sie Schmerz fühlen? „Da Schmerz eine rein subjektive, mentale Erfahrung ist, lässt sich nur sagen, wie man den Schmerz selber empfindet.“ Die Schmerzen anderer bleiben uns verschlossen.

Eines aber ist offensichtlich: dass die Tiere nicht reinwollen in den Topf, dass sie zu entkommen versuchen. Diese Beobachtung führt Wallace nicht zu einem Plädoyer für den Vegetarismus. Sie fordert lediglich dazu auf, über das eigene Handeln nachzudenken. „I cannot change these things“? Warum eigentlich nicht?

Der zweite Teil des Abends speist sich aus einem von Wallace 1999 erschienenen „Interview mit fiesen Männern“. Ein zunehmend erregter, schwitzender Finzi im Blümchenkleid (Kostüme: Ulrike Köhler) führt einen eindringlichen Mono-Dialog mit dem Publikum. Was bedeutet es, Opfer zu sein, im Holocaust, bei Vergewaltigungen? Der fiktive Sprecher heißt solche Taten nicht gut. Aber er wagt ein Gedankenspiel: Macht uns nicht, was uns nicht umbringt, stärker? Führt die Erfahrung der Auslöschung der eigenen Identität nicht zu einer erweiterten Weltsicht? Sind wir danach nicht „mehr, als wir waren“? Weil wir uns entscheiden müssen, „was wir sein wollen: ein Mensch mit heiligen Rechten oder ... ein Gegenstand“. Während dieser Ausführungen spielt Sir Henry nicht. Eine Zuschauerin verlässt den Saal. Niemand kann den Schmerz der anderen fühlen. Finzi guckt, ein verstörender, verstörter Blick. Ist er Täter? Opfer? „Ihr wisst einen Scheiß.“ Mit der Frage nach dem guten Leben bleibt jeder mit sich allein.

Wieder am 12. und 22. Januar sowie am 6. und 22. Februar.

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