Nis-Momme Stockmanns Stück "Die kosmische Oktave": Wir Kinder vom Bahnhof Nirgendwo
Der Schriftsteller Nis-Momme Stockmann ist derzeit sehr angesagt. Ulrich Rasche hat jetzt sein autobiografisch gefärbtes Stück "Die kosmische Oktave" in den Sophiensälen inszeniert: Darin geht es um einen Autor mit Egomigräne.
Möglich, dass der Kapitalismus schuld ist an der ganzen Misere. Vielleicht liegt es aber auch an den 80er Jahren, in denen Zynismus zum Modetrend wurde und Tschernobyl eine willkommene Abwechslung zum Alltag war. Oder hat in Wahrheit jener verhängnisvolle Moment alles ruiniert, in dem die Mutter ihre filterlose Zigarette im Frühstücksei ausdrückte und beschloss, die Insel Föhr zu verlassen – und ihre Familie gleich mit? Jedenfalls geht es dem Erzähler nicht gut. Nachts quält ihn die Angst, am Ende „nichts gegolten zu haben“ im Angesicht des 13,8 Milliarden Jahre alten Universums. Liebe, Glaube, Hoffnung, das sind für diesen Schriftsteller bloß noch Wortkrücken. Der eigene Bruder hält ihn für ein „trauriges, selbstgerechtes, narzisstisches Arschloch, wie ich sie zu Tausenden sehe, wenn ich durch Berlin laufe“. Und die Freundin gibt ihm den Laufpass mit dem schönen Rat: „Du weißt gar nichts über Liebe. Du solltest auch wirklich nicht darüber schreiben. Du solltest einfach mal die Fresse halten.“
Einen schweren Fall von Sinnkrise, Egomigräne und Weltverdruss beschreibt Nis-Momme Stockmann in „Die kosmische Oktave“, von Ulrich Rasche in den Sophiensälen in Szene gesetzt. Oder besser: in Bewegung. Ein siebenköpfiges Ensemble schreitet die Monologe des angesagten Jungdautors (am DT läuft gerade sein Stück „Der Freund krank“) in präziser Choreografie auf drei Laufbändern ab. Mit unbewegter Miene die Zeilen über Hippie-Eltern und erste Küsse deklamierend. Das wirkt bisweilen wie ein Larmoyanz-Moonwalk in Slowmotion, besitzt als Bild fürs ziellose Auf-der-Stelle-Treten des Erzählers aber Schlüssigkeit.
Der auf Föhr geborene Stockmann gibt sich keine Mühe, die Verwechslungsgefahr zwischen dem Icherzähler und ihm selbst zu zerstreuen. Auch wenn „Die kosmische Oktave“ im Entstehungsprozess von Goethes „Wahverwandtschafen“ inspiriert gewesen sein soll – hörbar wird sie als Nabelschau eines wohlstandsverwahrlosten Gegenwartsdramatikers. Wir Kinder vom Bahnhof Nirgendwo. Freilich kann man das pubertär finden. Zumal, wenn am Ende das große Bekenntnis zum Gefühl gefordert wird. Aber der heilige Ernst dieser Inszenierung verfehlt seine Wirkung nicht.
Rasche, der für ein ganz eigenes Musiktheater steht (etwa das Chorprojekt „30. September“ zum Polizeieinsatz in Stuttgart), hat sich vom Komponisten Ari Benjamin Meyers eine minimalistische Partitur für drei Musiker und einen Tenor (toll: Guillaume Francois) schreiben lassen, die Stockmanns Text furios antreibt und in Sphären jenseits der Probleme mit Neoliberalismus und Libido hebt. Eine Schauspielerin wie Corinna Kirchhoff lässt die Selbstbespiegelungen dazu aus Tragödientiefen grollen, als wären sie von Sophokles. Das schrammt die Lächerlichkeit, öffnet aber reizvolle Kontraste. Zudem besitzt Stockmann ja Sprache. Ähnlich wie im Opus magnum „Tod und Wiederauferstehung der Welt meiner Eltern in mir“ wütet auch hier hinter viel Text seine Sehnsucht nach Haltung. Und die verdient ein genaues Hinhören.
Wieder 25. und 26. März, 20 Uhr.
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