Weltraum-Thriller "Elysium": Wir da unten auf der Erde, ihr da oben im All
Mit seinem Science-Fiction-Debüt "District 9" hat der junge Südafrikaner Neill Blomkamp gezeigt, was er politisch und cineastisch kann. In "Elysium" inszeniert er nun, mit einem brillanten Matt Damon in der Hauptrolle, den ultimativen Kampf zwischen Arm und Reich.
Wohnraum Weltall? Derzeit beschäftigen sich die Wirtschaftsmagazine zwar noch mit der Vorform Tourismus, aber immerhin: Richard Branson, Gründer der Raumfluggesellschaft Virgin Galactic, hat bereits 500 Tickets à 200 000 Dollar vertickt. Ihm sitzt Billigflieger XCor Aerospace im Nacken, der zu Kampfpreisen von 95 000 Dollar 200 Passagiere auf der Warteliste hat. Während die Fluggäste bei beiden Pauschalangeboten schlichte 100 Kilometer ins All geschossen werden, um nach fünf Minuten Schwerelosigkeit erneut gen Erde zu sinken, hegt Dennis Tito, erster Weltraumtourist vor zwölf Jahren auf der Internationalen Raumstation ISS, höherfliegende Pläne. Für eine Marsumrundung, Start im Januar 2018, hat er zwei Plätze im Angebot. Die Hin- und Rückreise dauert – Erde und Mars stehen gerade ungewöhnlich günstig zueinander – nur 501 Tage.
Science-Fiction, das war einmal. Auch bis 2154 sind es nur noch schlanke 141 Jahre. Spätestens unseren Kindeskindern böte sich, eine weiter wachsende Lebenserwartung vorausgesetzt, ein Altersruhesitz auf Elysium an. Das Riesenrad, dessen Bewohner laut Eigenwerbung „keine Armut, keinen Krieg, keine Krankheiten“ fürchten müssen, schwebt 20 Flugminuten nah über der Erde, man wohnt in neoklassizistisch dekorierten Villen mit Pool, und sollte jemand ein irdisches Leiden mitgebracht haben, genügt der Sprung auf eine Art Massagebank, die im Hauslieferumfang enthalten ist – und schwupps, Spontanheilung auf Knopfdruck. Bis zur Unsterblichkeit auf den elysischen Feldern, die die griechischen Götter einst ausgewählten Erdenbewohnern spendierten, ist es da nur noch ein Schrittchen.
Mit fantastischen Bildern verführt Regisseur und Drehbuchautor Neill Blomkamp am Anfang von „Elysium“ zu jener nahezu anfassbaren Vision. Heimat im All statt Odyssee im Weltraum lautet die Devise. Zumindest für jene, die sich die sonnenbeschienene, keimfrei bepflanzte und locker bebaute Luxus-Oase leisten können. Man spricht englisch oder parliert gar französisch in dieser gated community ohne hässlichen, das schlechte Restgewissen mobilisierenden Zaun. Denn Raumschiffe mit illegalen Einwanderern, die zum Beispiel von der famosen Gesundheitsversorgung auf „Elysium“ profitieren wollen, werden bereits beim frühen Annäherungsversuch abgeschossen.
Richtig, die Erde, jener leidige Blaue Planet, der nur aus der Entfernung so verführerisch leuchtet, ist auch noch da. Etwa das übervölkerte Los Angeles, ökologisch verseucht und ökonomisch weitgehend zusammengebrochen: Hier leben die Hispanics in Hochhäusern, gewaltigen Stahlskeletten mit flatternden Betonhäuten, die in einen schmutziggelben Himmel ragen. Und hier arbeiten sie, wenn sie denn überhaupt noch Jobs ergattern, in Fabriken zur Herstellung der Policia-Roboter, mithin ihrer eigenen Überwacher, Quäler und Mörder. Hier unten regieren Kriminalität und Krankheit, Not und Tod. Hier unten ist die Hölle auf Erden, und droben im All hängt, für alle sichtbar, das Paradies.
Schon dieser markante, visuell bestechende Kontrast macht „Elysium“ nicht nur zu einem faszinierenden Wahrnehmungserlebnis, sondern funktioniert sofort als Konfrontation, ja Provokation – da braucht es noch gar keinen Plot, keine Action, keinen genreüblichen Ab- und Leerlauf. Bereits in seinem Überraschungsdebüt, mit dem er weltweit das Siebenfache seiner Produktionskosten von 30 Millionen Dollar einspielte, hatte der Südafrikaner Blomkamp gestrandete Aliens als Versuchslebewesen für menschliche Waffenexperimente in ein „District 9“ genanntes Reservat gesperrt. Die politische Assoziation zu Apartheid und Townships war zwingend.
„Elysium“ nun drängt sich als Metapher für jenes heutige US-Amerika auf, das sich mit einem tausende Kilometer langen Zaun gegen den südlichen Rest des Kontinents abgrenzt. Und wie steht es mit der „Festung Europa“, die sich gegen die Armutsinvasionen aus Afrika und Asien panzert und massenhaftes Sterben von Flüchtlingen in Kauf nimmt?
Entertainment ist bei Blomkamp nicht ohne glasklare humanistische Fragen zu haben – und hebt dann umso fesselnder an. Matt Damon spielt den Malocher Max aus der Roboterfabrik, der bei einem Arbeitsunfall verstrahlt wird und nur noch fünf Tage zu leben hat, es sei denn, er schafft es nach Elysium auf eine der rettenden Heilbänke. Spider (Wagner Moura), ein visionärer Hacker in mit Pin-ups geschmückter Bastlerbutze, hat mit Max Größeres vor: Der von Matt Damon imponierend verkörperte Kraftkerl soll nebenbei Elysium erobern, wofür er Max allerdings zwecks Hebung der Überlebenschancen jede Menge Hard- und Software per Akkuschrauber direkt auf den Körper appliziert. Die Hauptgegner: Elysium-Sicherheitschefin und Fundamental-Bösewichtin Delacourt – „Variety“ urteilte herb-charmant, Jodie Foster wirke wie eine „Frankenstein-Version von Hillary Clinton“ – und ihr furchterregendster Söldner auf Erden. Sharlto Copley, der in „District 9“ die Hauptrolle spielte, ist Kruger, eine monströs bewaffnete, mit allerlei grässlichen Fahr- und Flugzeugen ausgestattete, stets grundsarkastische Kampfmaschine.
Aus diesem Kernpersonal formt Blomkamp jenen Basisstoff an krachenden Kollisionen, die das Genre erfordert. Und tatsächlich, bei den überwiegend in Mexiko auf einer riesigen Müllhalde gedrehten terrestrischen Szenen schenken sich die gern schweißnass, bärtig und in verölten Muskelshirts auftretenden Erdlinge und die aalglatt wirkenden himmlischen Heerscharen nichts. Natürlich heißt es, als das so wuchtig eingefädelte Geschehen denn doch zum Videogame mutiert, Mann gegen Mann, Metall gegen Metall, gepanzerte Fahrzeuge gegen krebsscherenartig ausstaffiertes Fluggerät, David gegen den Rest des Alls. Und zwischen der Flucht vor Drohnen unter einen Schweinetransporter und der Trennung mancher Robo-Köpfe von ihren Robo-Körpern findet Max noch Moral und Muße, das leukämiekranke Töchterchen einer Waisenkindergartenfreundin der Lebensrettung zuzuführen.
Wie packend nicht nur das kathartische Ende von „Elysium“ ist, das jegliches öde Sequel strukturell ausschließt, zeigt weniger das eine oder andere lärmende Zugeständnis an die Konvention, sondern wiederum das Grundkonzept. Denn Neill Blomkamp hat keinen der derzeit so gängigen Weltuntergangsfilme gedreht, in denen mal Außerirdische, mal Zombies das menschliche Leben auf der Erde – fast – auslöschen, sondern nichts Geringeres als eine Revolution inszeniert; sie stellt vor allem ein aus den Fugen geratenes Gleichgewicht wieder her. Und lässt man die Leichen beiseite, die das Geschehen zwangsläufig auftürmt, setzt Blomkamp auf Hoffnung. Na bitte, die Menschheit hat eine Zukunft, sogar im Jahre 2154.
Noch etwas unterscheidet diesen erst 34-jährigen eigensinnigen Autorenfilmer und Blockbuster-Macher, der sich mit „Elysium“ endgültig als Großer in der Tradition von Paul Verhoeven und sogar Steven Spielberg etabliert, von der Konkurrenz: 3-D-Brillen braucht man zur Sichtung seines neuen Films nicht. „Ich hasse 3-D“, bekannte Blomkamp unlängst cool in einem Interview. „3-D macht im Gehirn alles kleiner.“ Tatsächlich, nicht nur Augen, Ohren und sonstige Wahrnehmungsnerven werden durch „Elysium“ in ihren physischen Reflexen gefordert, sondern vor allem das Gehirn des Zuschauers. Kommt da und dort noch ein bisschen Seele hinzu, umso besser.
Ab Donnerstag in 18 Berliner Kinos; OV im Cinemaxx und Cinestar SonyCenter, OmU im Alhambra, Cineplex Spandau, Moviemento und Titania Palast
Jan Schulz-Ojala
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