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Spenden für die Wehrmacht. Die NSDAP sammelt im Herbst 1939 Frontlektüre aus Privatbesitz.
© Galiani/aus dem besprochenen Band

Literatur: Winnetou reitet über Blut und Boden

Wenn es um Literatur im "Dritten Reich" geht, dann meist um die verbannten und verbrannten Bücher. Christian Adam untersucht, welche Bücher in Nazideutschland Bestseller waren.

Der Blick der Emigranten bestimmt die Sichtweise; er gipfelt in Thomas Manns Verdikt über alles, was in Deutschland zwischen 1933 und 1945 geschrieben wurde: Es seien Bücher, die „weniger als wertlos“ seien. „Man sollte sie alle einstampfen.“ Aber natürlich gab es auch im „Dritten Reich“ einen Literaturbetrieb, Buchmessen und so etwas wie Bestsellerlisten. Der Berliner Literaturwissenschaftler Christian Adam hat eine aufregende Inspektionsreise durch Hitlers Leseland unternommen. Zunächst skizziert er die Literaturpolitik und die Bedingungen des Marktes. Ungeachtet der massiven Eingriffe ins freie Publizieren zeigt gerade die Vielzahl von Verbotslisten, dass es keine flächendeckende Gleichschaltung gab.

Mehr als Bücher wurden die Autoren kontrolliert. Sie waren zur Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer verpflichtet und hatten sich als „zuverlässige Volksgenossen“ auszuweisen. Die Schere in den Köpfen der Schreibenden war wirksamer als die eines Zensors. Der Kompetenzwirrwarr spielte auch bei der Literaturpolitik eine wichtige Rolle. Der pragmatische Propagandist und Volksbelustiger Goebbels verfolgte andere Ziele als der Ideologe Rosenberg. Robert Ley wiederum, Leiter der „Deutschen Arbeitsfront“, zielte beim Aufbau seines Verlagsimperiums vor allem auf Kraft durch Profit; Ideologie diente eher als Deckmantel.

Die Blut-und-Boden-Schwarte bestimmt unsere Vorstellung von der Literatur im „Dritten Reich“. Solche Werke – aus der Feder von Hanns Johst, Will Vesper oder Hans Grimm – spielten aber nur eine Nebenrolle. Edgar Wallace lasen die Deutschen dagegen wie süchtig; auch Goebbels lobte die „tollen“ Krimis und ließ sie erst zu Kriegsbeginn als britische „Feindkultur“ auf den Index setzen. Einig waren sich Lesevolk und Propagandaminister auch in der Verehrung des englisch schreibenden Schweizer Erfolgsautors John Knittel („Via Mala“).

Wie der Schotte A. J. Cronin, dessen Bücher wegen ihres kritischen Blicks auf die englische Gesellschaft offiziell empfohlen wurden, war Knittel in der Bundesrepublik noch jahrzehntelang ein Liebling der Buchclubs. Auch Karl May kam zu Auflagerekorden. Hitler, bekennender Fan des Sachsen, hatte gleich nach der Machtübernahme angeblich noch einmal die Gesamtausgabe durchgeschmökert. Auch Göring, der über eine pompöse, mit allerlei Wissenschaft munitionierte Angeber-Bibliothek verfügte, hatte auf dem Nachttisch „Winnetou“ liegen.

Einer der erfolgreichsten Buchtypen im „Dritten Reich“ trug modern-neusachliche Züge: Es war das Sachbuch als Tatsachenroman, der Wissenschaft mit human touch vermittelte. Mit knapp einer Million verkauften Exemplaren war Karl Aloys Schenzingers (Verfasser auch des „Hitlerjungen Quex“) Rohstoffroman „Anilin“ das erfolgreichste Buch jenseits der offiziellen NS-Schriften wie „Mein Kampf“ (Auflage über zwölf Millionen).

Es ist die Geschichte des Chemikers Friedlieb Ferdinand Runge, Entdecker des Farbstoffs Anilin; die Story der chemischen Industrie und der I. G. Farben. Statt Propaganda gab es eher eine „subtile Kumpanei“ mit dem Regime: Technikgläubigkeit mit nationalistischen Zügen, Forschung mit dem Vokabular der Schlachtbeschreibung. „Anilin“ blieb ein Bestseller auch in der jungen Bundesrepublik. Wo es aber vorher hieß: „Der künstliche Werkstoff ist zur deutschen Lebensfrage geworden“, las man nun: „Der künstliche Werkstoff bedingt heute die Zukunft der deutschen Wirtschaft.“

Goebbels fand: „Je mehr ein Volk von den Sorgen des Alltags angefressen wird, umso mehr hat es Anspruch auf Entspannung und Erholung.“ Je weniger die Volksgenossen zu lachen hatten, desto höher stand Heiteres im Kurs, insbesondere die Romane Heinrich Spoerls, aber auch anderer Humor ohne Ecken und Kanten. Amüsantes von der Stange wie die millionenfach als Marschgepäck auch an der Heimatfront verwendete Anthologie „Darüber lache ich heute noch – Soldaten erzählen heitere Erlebnisse“.

Ein Problem bestand darin, dass viele der besseren Unterhaltungsautoren nicht für Regimetreue bekannt waren. Ehm Welk zum Beispiel. Sein heiterer Dorfroman „Die Heiden von Kummerow“, später auch in der DDR sehr geschätzt, gehörte zu den meistgelesenen Büchern und erhielt höchste Lobpreisungen – obwohl der Autor 1934 wegen Kritik an der Gleichschaltungspolitik kurzfristig im KZ Oranienburg inhaftiert worden war. Gute Autoren, auch der leichteren Gangart, waren eben Mangelware. International gab es nur einen Schriftsteller von Weltrang, der sich trotzig zu Nazideutschland bekannte: Knut Hamsun. Es gehört zu den größten Absurditäten des literarischen Lebens im 20. Jahrhundert, dass dieser Pionier der ästhetischen Moderne schließlich dem „Idealisten“ Goebbels seine Nobelpreismedaille schenkte.

Wenig überrascht die Flut der Romane, die das Fronterlebnis des Ersten Weltkriegs schilderten und die Leserschaft auf kommende Waffengänge einstimmten. Sie schwanken zwischen krassem Naturalismus und heroischer Stilisierung – und vermeiden die pazifistische Tendenz, die Goebbels an Remarques Mega-Bestseller „Im Westen nichts Neues“ so verdross. Der „Dichter unter Waffen“, der sich zugleich als Parteisoldat bewährte, war ein Erfolgstyp. Wir lernen bei Christian Adam Autoren wie Werner Beumelburg und Paul Coelestin Ettighofer kennen – literarische Landser als Großverdiener. Besonders widerwärtig erscheint Hans Zöberlein, dessen Kriegserinnerungen „Glaube an Deutschland“ sich allein 740 000 Mal verkauften. Der fanatische Nazi beteiligte sich noch im April 1945 als Anführer eines „Werwolf“-Kommandos an Kriegsverbrechen.

Aber bei aller heroischen Leitkultur – wie heute wurden die Bestsellerlisten von Autorinnen geprägt, die die zuverlässigsten Lieferanten schwülstiger NS-Belletristik waren. Es sind heute vergessene Namen wie Josefa Berens-Totenohl, Betina Ewerbeck oder Felicitas Rose. Der meistverkaufte Roman (Auflage 750 000) stammte von Kuni Treml-Eggert: „Barb. Der Roman einer deutschen Frau“, eine der wenigen Blut-und-Boden-Lektüren mit Breitenwirkung. Der größte internationale Bestseller war Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“ – der kultivierte Rassismus der Südstaatler passte zu NS-Denkmustern. Von der Parteipresse kamen Hymnen; mit dem Kriegseintritt der USA war das Buch allerdings „nicht mehr lieferbar“.

Lieferbar blieb dagegen bis 1945 „Wind, Sand und Sterne“, der Bestseller Antoine de Saint-Exupérys, ein exponierter Kämpfer gegen das „Dritte Reich“. Auch andere Erfolgsbücher wie Werner Bergengruens „Der Großtyrann und das Gericht“ oder Ernst Jüngers „Auf den Marmorklippen“ ließen regimekritische Lesarten zu. NS-Literatur, die gewisse Qualitätsstandards einhielt, blieb dagegen ein Wunschtraum der Funktionäre.

Der Gewinn von Adams Darstellung ist die Konkretion. In anschaulichen Darstellungen wird eine verschollene Leselandschaft vorgeführt. Der Autor erklärt, was den Erfolg der Bücher ausmachte und wie sie ins Gefüge des Systems passten, auch wenn sie sich unpolitisch gaben. „Lesen unter Hitler“ ist nicht nur eine wissenschaftliche Studie, sondern ein spannendes Stück Mentalitätsgeschichte.

Christian Adam: Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller und Leser im Dritten Reich. Galiani, Berlin 2010. 384 Seiten, 19,95 €.

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