Filmkritik: "No Man's Land": Wild West in Fernost
Diese Berlinale liebt den abseitigen Genrefilm: Der chinesische Wettbewerber "No Man's Land" ist ein Western aus der Wüste Gobi - staubig, knallig, selbstironisch. Und mit einem vegetarischen Cowboy, der am liebsten mit Worten um sich schießt.
Boing! Peng! Woamm! Die bombastischen Produktionsfirmentrailer des dritten chinesischen Wettbewerbsfilms machen müde Marathon-Festivaliers munter, morgens um 8.30 Uhr im Berlinale- Palast. China boomt, Chinas Filmindustrie auch. Während die Zahl der Kinos in Europa sinkt, werden dort täglich neue Filmtheater eröffnet. Da braucht es Stoff für ein wachsendes Publikum, zumal für Kids, die in der vernetzten Welt längst locker zwischen Martial Arts und Hollywoodaction, Pekingoper und Youtube surfen.
Also her mit den chinesischen Filmen. Gleich drei liefen im Wettbewerb, von Arthouse bis Mainstream, Dokufiction bis Genre. Die Zeiten, in denen das chinesische Kino aus Staatspropaganda, der sogenannten fünften und sechsten Generation der Autorenfilmer (Zhang Yimou, Chen Kaige, Zhang Yuan ) und den Dissidenten mit DV-Kamera bestand – diese für den westlichen Zuschauer noch halbwegs übersichtlichen Zeiten sind passé. Die Fantasie ist entgrenzt: Der großartige Noir-Thriller „Black Coal, Thin Ice“ verbindet Elemente des Polizeikrimis mit dem spröde-poetischen Sozialrealismus eines Jia Zhangke. Der Ensemblefilm „Blind Massage“ lebt vom Charme seiner teils blinden Laiendarsteller. Gleich zwei weitere Festivalbeiträge präsentieren Ein-Kind-Familienstudien: „Einstein and Einstein“ in Generation und „Shadow Days“ im Forum. Und jetzt geht auch noch ein Spaghetti-Western, pardon: Glasnudel-Western aus der Wüste Gobi ins Bärenrennen.
Breitwand satt! Farbfilter! Cowboy-Boots in Großaufnahme! Salzwüste à la Rocky Mountains! Morricone-Gitarren! Das überall ausliegende Infoblatt preist die Macher von „No Man’s Land“ gleichsam mit Knarre im Anschlag als Supernasen an. „Regisseur Ning Hao: berühmter Filmemacher und Drehbuchautor. Huang Bo: berühmter chinesischer Schauspieler. Yu Zheng: berühmter chinesischer Schauspieler...“
Eine Westernkomödie also, staubig, knallig, selbstironisch mit Genre-Versatzstücken spielend, von Sergio Leone bis „Mad Max“. Zwei Falkenschmuggler und ein smarter Anwalt liefern sich mörderische Verfolgungsjagden um eben jene profitträchtigen Vögel, bald auch um eine Frau. Die westerntypische Salonhure wartet hier in einer gottverlassenen Tankstelle auf die Rettung aus ihrem Elend. Wir leben im 21. Jahrhundert, also mutiert das gute alte Cowboy-undIndianer-Spiel zum Roadmovie, zu dessen Personal noch zwei Fernfahrer, ein Polizist und der Tankstellenwart zählen. Der Rest sind Stunts, Duelle, Infernos.
Von sämtlichen zum Einsatz kommenden Fahrzeugen (PKWs, Trucks, LKW) überlebt nur das Pferd, und jeder Protagonist stirbt mindestens zweimal, – bis zum Showdown in der Ruinenstadt am Ende des Horizonts. Der Affe, heißt es anfangs, wurde zum Ahnen des Menschen, als er sich beim Birnenstehlen mit einem anderen Affen zusammentat, der Schmiere stand. Nein, sagt der Anwalt, er wurde Mensch, als er lernte, Feuer zu machen. Weshalb denn auch ein Feuerzeug eine Hauptrolle spielt.
Regisseur Ning Hao, Jahrgang 1977, hatte sich 2005 im Berlinale-Forum mit „Mongolian Ping Pong“ zum Publikumsliebling gemausert. Mit einem ungleich stilleren, poetischen Film über einen Nomadenjungen, der einen Tischtennisball findet und sich auf den Weg durch die mongolische Steppe macht, um herauszufinden, was dieses weiße, in der Sonne leuchtende Ding denn sein könnte. Schon da fiel auf, dass Ning Hau einen dritten Weg zwischen Staatskino und Dissidenz versucht, schon da bewies er einen sicheren Instinkt für die Komik des zweiten Blicks.
„No Man’s Land“ ist weniger wundersam als monumental: Popcornkino mit Sidekicks, eine Farce nach Art der Coen-Brüder. Ach der andere Thriller im Wettbewerb, „Kraftidioten“ aus Norwegen, eifert den Coens nach. Seltsam: Was die Uneigentlichkeit im Genrefilm betrifft, setzen die Brüder offenbar weltweit die Standards.
Nur folgt die Ironisierung in „No Man’s Land“ dem immer gleichen Schema: hier die Haudegen, dort der White-Collar-Cowboy, der Vegetarier ist, nicht trinkt und die Outlaws notfalls mit ausgefuchster Wortgewalt in Schach halten kann – das Muster wiederholt sich. Nichts gegen intelligenten Kommerz im Berlinale-Wettbewerb. Aber das bisschen Jonglieren zwischen Archaik (selbst gebastelte Wuchtbrumme, rostige Ölfässer statt Zapfsäulen) und digitaler Moderne (Pferderitt mit GPS) genügt auf Dauer nicht fürs Vergnügen. Ein bisschen mehr als Epigonentum sollte schon drin sein.
14.2,. 9.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 13 Uhr (Zoo-Palast), 22.30 Uhr (International), 16.2., 12 Uhr (Friedrichstadt-Palast)