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Bereit zum Abheben. Thilo Bock, 40, wohnt in Tiergarten und hat den einstigen Flughafen Tempelhof zum Schauplatz seines dritten Romanes gemacht.
© Mike Wolff

Romanpremiere mit Thilo Bock: Wiese der Wollust

Das Tempelhofer Feld hat jetzt einen eigenen Roman. Thilo Bock stellt ihn heute vor. Ein Freilufttreffen vor dem Volksentscheid.

Skaten? Muss nicht. Spazieren gehen sei ihm lieber, verkündet Thilo Bock vorab. „Skaten kann ich gar nicht.“ Geschweige denn so schnittig auf Inlinern über die Rollbahnen des ehemaligen Flughafens fegen wie Luis, die sexy Protagonistin seines Romans „Tempelhofer Feld“, der heute Abend von ihm und Jakob Hein im Heimathafen Neukölln vorgestellt wird.

Stimmt. Beim Treffen am Eingang Oderstraße auf der Neuköllner Seite des Geländes sieht Thilo Bock, wie er da so in Karohemd und Jutebeutel in die Nachmittagssonne blinzelt, nicht nach einem Anhänger körperlicher Ertüchtigung aus. Er ist eher der gemütliche Typ und gehört damit potenziell zur Feld-Fraktion der Rumhänger, Picknicker, Wolkengucker. Wenn überhaupt.

Der Schriftsteller, dessen bisheriger Ruhm vor allem auf den Romanen „Senatsreserve“, „Die geladene Knarre von Andreas Baader“ fußt, widmet der Brache, die vielen so kurz vor dem Volksentscheid am 25. Mai als Schicksalsbrache, als das Megasymbol gegen Gentrifizierung und Kommerzialisierung Berlins gilt, nun zwar ihren ersten Roman. Stammgast ist er deswegen aber nicht.

Bock schüttelt amüsiert sein Kindergesicht. Aber als sich der in Reinickendorf aufgewachsene und nun in Tiergarten ansässige Autor dann im Schlepptau von Freunden doch mal hinverirrte, hat ihn gleich die Begeisterung gepackt. Für den städtischen Leer- und den geschichtlichen Hallraum, ja den gefühlt tiefsten Punkt der Stadtsilhouette. Vom „Nullpunkt Tempelhof“ aus könne man so unendlich weit in die Stadt hineinsehen, sagt er in die Ferne deutend.

Im Buch, das für Bock auch ein Heimatroman ist, legt er das seinem Helden Sven in den Mund. Der Bibliothekar ist 40 – so wie Bock – und wird erstmals von Luis’ erotischem Skaterinnen-Sog auf das Feld gelockt. Es wird dem typischen Berliner Dauerjugendlichen einen müßigen Sommer lang zur Wiese wollüstiger Gefühlsverwirrungen, historischer Halluzinationen, wunderlicher Begegnungen, persönlicher Nabelschau und endloser Labereien. Mit den Hipstern Joshua und Florian etwa, die solche Sätze sagen: „Das Tempelhofer Feld ist voll das analoge Internet: Jeder kann sich ausprobieren, weil Platz ist übelst genug für alle da.“ Noch. Denn selbstredend sind im Roman, der eine „Zustandsbeschreibung und keine Argumentationshilfe“ für die Gegner der Senatspläne zur Bebauung sein soll, genau die in den ausufernden Dialogpassagen Thema.

Womit man trotz des Flanierens über glitzernde Tautropfen und vorsommerlich flirrenden Asphalt bei einer nicht länger aufschiebbaren Frage ankommt: Ist dies der Roman zum Volksentscheid? Nein, schüttelt der sanfte Bock überraschend energisch den Kopf. Den will er auf keinen Fall geschrieben haben. Das Volksbegehren habe ja noch gar nicht festgestanden, als er mit dem Schreiben anfing. Dass es jetzt rechtzeitig dazu heraus- und deshalb so rüberkommt, ist ihm klar, daran hat er tätig mitgewirkt. Bock grinst. „So schnell habe ich noch nie ein Buch fertig bekommen.“ Aktuelle politische Brisanz beschleunigt nun mal selbst den langstieligsten Poeten.

Thilo Bocks Hauptfigur hat Tagträume voller historischer Bezüge

Farbenfroh, rührend und ein bisschen spießig blüht das Bullerbü-Idyll der Holzkistengärtner. „Laubenpieper 2.0“, sagt Thilo Bock. Das passt. So nennt er sie auch im Buch, wo der mit ihm – abgesehen vom Alter – biografisch nicht weiter deckungsgleiche Protagonist Sven von der grünen Aktivistin Antonia zum Knutschen wie zum Tomatenanbau verführt wird. Die Urban-Gardening-Fraktion, die Ornithologen, die Flaschensammler, die Griller, die Hundehalter, die Sportler, die Freaks, die Reporter – jede Spezies, die sich Tempelhof untertan gemacht hat, ist in Bocks lakonischem Sittengemälde eines utopischen Provisoriums vertreten.

Linkerhand knattert Rot-Weiß-Band. „Hier brütet die Feldlerche von April bis Juni“, informiert ein angehängtes Schild. Und wenn sie nicht brütet, tiriliert sie. Aber wie. So prachtvoll wie ein Paradiesvogel im Freizeitparadies. Lauschen, rasten, seufzend auf rot-weiße Betonpoller sinken. „Mama, ich bin in Scheiße getreten“, ruft ein Junge. Erdnussschalen liegen in Gras. Die motorisierte Parkaufsicht rollt vorbei, die Ranger tragen Bart zum Wachsgesicht. Das Nichts zu bewachen, muss ermüdend sein. „Leider gibt es immer mehr Menschen, die Angst haben vor dem Nichts“, heißt es im Buch. Die den „Horror vacui“ des Lebens vertreiben wollen, indem sie freie Stellen beplant und gefüllt sehen. Ein einleuchtender Gedanke für Bock, der sein Romanpersonal trotzdem ganz paritätisch verschiedene Positionen zur Zukunft des Feldes vertreten lässt. Seine eigene ist klar: gegen die Randbebauung, für eine Zentralbibliothek – auf dem Humboldtforum, im Schloss.

„Da, wo die Bäume stehen, war das erste Flughafengebäude, das in den Zwanzigern eingeweiht wurde“, zeigt er. „Und da, wo der Rasen jetzt noch eine andere Farbe hat, existierte im Nationalsozialismus ein Zwangsarbeiterlager der Rüstungsindustrie.“ Nicht dass Thilo Bock zwecks Romanrecherche monatelang in Archiven gehockt hätte. „Ich wollte ja kein Sachbuch schreiben.“ Aber klar hat er sich, um die von geschichtlichen Ereignissen nur so wimmelnden Tagträume seiner Hauptfigur anzureichern, die Historie angelesen. Des Feldes, das sich die Menschen und Herrschenden schon immer zu eigen gemacht haben – als Sportplatz, Freizeitvergnügen, Exerziergelände, Flugfeld, Filmstudio oder als Zwangsarbeitslager und Folterstätte. „Das zwanzigste Jahrhundert auf knapp 400 Hektar“, wie es im Buch heißt.

Wegen dessen ausgeprägt dunklen Zeiten gefällt dem Autor auch die Bezeichnung „Tempelhofer Freiheit“ nicht. „Die ist unglücklich und geschichtsvergessen – in der Nazizeit war dies ein Ort der Unfreiheit.“ Und auch jetzt sei die viel beschworene Freiheit hier nur reglementiert, sprich mit Öffnungs- und Schließzeiten zu haben. Oder, wie er einen der Tempelhofer Tagediebe quengeln lässt: „Voll die verordnete Unfreiheit ist das.“ Bock selbst hat Verständnis dafür. „Anarchie funktioniert in der Großstadt nicht.“ Hier auf dem Feld funktioniere dagegen erstaunlich vieles, findet er. Zum Beispiel ein Park, der ohne Parkstruktur sauberer ist als viele andere mit angelegten Baumhainen oder Rabatten.

Graue Wolken ziehen auf. Gewitter sind angesagt. Das wär’s ja noch, Blitz und Donner auf dem Tempelhofer Feld und man selbst der höchste Punkt in der Landschaft. Besser die Schritte beschleunigen. Jetzt wären Inline-Skates doch schön. Ziemlich viel Himmel, der einem hier auf den Kopf fallen kann. Thilo Bock hat eh noch zu tun. Den Beutel geschultert, strebt er zum Ausgang Columbiadamm. Was steht jetzt an: schreiben, noch ein Interview? Nö. Er muss zum Kindergeburtstag.

Thilo Bock: Tempelhofer Feld. Ein Freiluftroman.Fuchs & Fuchs, Berlin 2014. 208 S., 17 €. Buchpremiere 13.5., 19.30 Uhr, Heimathafen Neukölln, Karl-Marx-Straße 141.

Gunda Bartels

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