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Otto Sander und Bruno Ganz, fotografiert von Ruth Walz
© .Foto: Ruth Walz

Bruno Ganz über Otto Sander: Wie wir spielen

Am 12. September ist Otto Sander in Berlin gestorben. Am Sonnabend wird er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beerdigt, nach einer Trauerfeier im Berliner Ensemble.

Bruno Ganz und Otto Sander, beide Jahrgang 1941, kamen 1970 an die Schaubühne am Halleschen Ufer. Sie waren die herausragenden Protagonisten eines Ensembles, das in Inszenierungen von Peter Stein und Klaus Michael Grüber Weltruhm erlangte. 1982 drehten Sander und Ganz einen Film („Gedächtnis“) mit und über ihre Kollegen Curt Bois und Bernhard Minetti, die komischen und traurigen Helden einer anderen Generation. 1987, im „Himmel über Berlin“, und 1993 („In weiter Ferne, so nah“) spielten Ganz und Sander in Berlin- Filmen von Wim Wenders. – Hier erinnert sich Bruno Ganz an seinen Freund und Schauspielpartner Otto Sander. Die Fotos sind von Ruth Walz, sie hat die Schaubühne über all die Jahre mit der Kamera begleitet, ist ihr Gedächtnis.

Was hast du denn da gemacht, beim Abgehen“, sagt George. „Wieso? Nichts. War ich zu früh?“, fragt Jannings. George sagt: „Ja, viel zu früh. Und irgendwie so anders ...“.

Otto und ich reden manchmal so, nach dem Applaus. Auf dem Weg in die Garderobe. Wie Schauspieler: „Ich hatte Probleme mit dieser Ringgeschichte. Ich pack es einfach nicht. Wie spielt man das?“ Etwa ein Dezennium haben wir miteinander probiert, gespielt am renommierten Haus, mit großen Regisseuren, von denen einer sehr viel wusste über die Frage, wie spielt man das?

Dennoch ließ sie uns nicht los, die Frage nach dem Wie. Es gibt Gesetze auf der Bühne. Wir forschten weiter, in der Kantine, in Kneipen, in Wohnungen, in der Garderobe, im Freien, in Hoppegarten oder im Olympiastadion, auf hoher See, in Bahnhöfen, auch an irgendeinem Sandstrand. Wein und Zigaretten. „Hast du gesehen, den linken Arm, wie sie den leicht anwinkelt, wenn sie an die Rampe geht? Wunderbar!“ Sagt Otto. Wie spielt man das? Handwerk. Doubletake. Pause. Die Pause wie lang? Timing ist alles, zumal bei Komikern.

Und Otto, mein Kumpel, mein Kollege, mein Konkurrent, mein Freund ist Komiker. Und was für einer. Ein Bursche toll von Witz, wie Shakespeare von ihm hätte sagen können, und natürlich Melancholiker. Ein neugieriger Melancholiker.

Wie spielt man das?

„Wenn sie über mich lachen, steh ich nicht mehr so bloß vor ihnen“, so sagt er im Film, auf die Frage von Curt Bois, warum wir Schauspieler geworden sind. „Auf dem Heuwagen , am Abend als Bub, so ein starkes Gefühl. Alle sollten das sehen“, das sage ich bei derselben Gelegenheit. Ist das die Regung am Anfang? Ihr sollt mich lieben. Wird man deshalb Schauspieler?

Ja, Otto, wir lieben Dich. Emil Jannings und Heinrich George haben wir gespielt in Peter Handkes „Ritt über den Bodensee“, in einer der linkesten Fraktion der Schaubühne abgetrotzten Aufführung, im ersten Jahr dort. Wir haben uns als Schauspieler in der revolutionären Zelle der Therese Giehse kennengelernt. Wir waren Trolle; wir waren Peer Gynts; wir waren, bei Kleist, Kottwitze und Homburger. Ganz selbstständig haben wir uns befasst mit Flaubert und Turgenjews Briefen, als Lesung. Otto suchte sich Flaubert aus.

Zweimal haben wir die Engel gegeben in Wim Wenders’ Filmen. Und dann wieder waren wir ganz bei uns selbst – das Mündel will schließlich Vormund sein, wie es bei Handke heißt. Und einen Film haben wir gemacht, einen Film als Autoren sozusagen. Völlig ahnungslos.

Aber unbedingt sollten Curt Bois und Bernhard Minetti uns erzählen, wie sie das gespielt haben, ihre Sachen. Eine Superkonstellation: Zwei im Gehen, zwei im Kommen; Zwei Komiker; zwei Seriöse. Geschichte, die bekannten grauenhaften deutschen Jahre. Viel Handwerk, viel Leben, in einem Film.

Eigentlich konnten wir das nicht, aber doch ... und doch, ich sehe, was wir wollten, wir wollen sie bewahren, sie sind unsere Ahnen. Wir wollen sie erhalten, sie sollen für uns da bleiben.

„Gedächtnis“, so heißt Ottos und mein Film, „Gedächtnis – ein Film für Curt Bois und Bernhard Minetti“. Nichts wird das löschen.

Niemals.

Bruno Ganz

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