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Kitsch und Kult. Röhrender Hirsch auf der Lithografie „Brunftmorgen“, nach einer Vorlage von Moritz Müller, um 1925.
© Aus dem Ausstellungskatalog

Die Deutschen und der Wald: Wie man hineinruft

Lauter Bäume: Eine neue Ausstellung im Deutschen Historischen Museum erforscht die Beziehung der Deutschen zu ihrem Wald..

Von Jan Oberlaender

Dass er überhaupt noch da ist! Die achtziger Jahre waren das Jahrzehnt des allgemein imaginierten Waldsterbens. Spätestens 1990, schrieben Experten, werde es in Deutschland keine Nadelbäume mehr geben, die Buchen würden folgen. Dieser verdammte saure Regen! Die Menschen bangten um ihre Umwelt, Zeitschriftencover und Mahnplakate zeigten verdorrte Stämme, die wie mahnende Zeigefinger in den verpesteten Himmel stachen.

Und heute? Heute wächst der deutsche Wald um jährlich 120 Millionen Kubikmeter (von denen wiederum 100 Millionen wirtschaftlich genutzt werden), fast ein Drittel der Republik sind mit Wald bedeckt. Schon 1989 wurde der „Waldschadensbericht“ in „Waldzustandsbericht“ umbenannt. Großes Aufatmen: Als Folge der Panik wurden flächendeckend Filter in Fabrikschornsteine und Katalysatoren in Autos eingebaut, das Umweltbewusstsein stieg – zudem waren Zweifel an den Diagnosemethoden der Baumdoktoren aufgetaucht. Waldsterben? Doch nur halb so wild. Aber erschreckt haben sich die Deutschen gehörig – zum Amüsement ihrer Nachbarn. Die Franzosen nahmen „Le Waldsterben“ gleich als Fremdwort auf.

Unsere Cent-Stücke sind mit Eichenlaub verziert

Die Deutschen und der Wald – ihrem besonderen Verhältnis ist nun die Ausstellung „Unter Bäumen“ im Deutschen Historischen Museum gewidmet, die an diesem Freitag eröffnet. Anschubfinanziert vom Bundesagrarministerium, will sie der krönende Abschluss des von den Vereinten Nationen ausgerufenen „Internationalen Jahrs der Wälder“ 2011 sein. Auf 1100 Quadratmetern, zwischen grün gestrichenen Wänden, präsentieren die Kuratoren Ursula Breymayer, Elke Kupschinsky, Bernd Ulrich und Andreas Bernhard rund 550 Exponate. Dazu gibt es einen lesenswerten Katalog mit vertiefenden Essays zu Waldwirtschaft, -kunst und -politik (Hrsg, von Ursula Breymayer und Bernd Ulrich, Sandstein Verlag, 320 Seiten, 25 Euro).

Drei große Entwicklungen werden dabei erforscht, wie Kurator Ulrich bei der Vorbesichtigung erklärt: Da sind der Beginn der forstwissenschaftlichen Lehre, zum anderen die Entdeckung und Wiederentdeckung des Waldes für die Kunst und die Literatur – sowie seine politische Aufladung als Freiheitsraum, als patriotischer, nationaler, auch nationalistischer Mythos: Wie die Pfennige zu DM-Zeiten sind auch unsere heutigen Cent-Stücke mit Eichenlaub verziert. Der deutsche Baum, er wurzelt tief.

Die Deutschen, ein Waldvolk

Die von Tacitus um 100 nach Christus in seiner Schrift „Germania“ besungene Schlacht im düsteren Teutoburger Wald, der Sieg des Arminius über die Römer, ist ein Anfangspunkt. Zur Zeit der antinapoleonischen Befreiungskriege (1813-15) wurde diese Geschichte zum nationalen Ursprungsmythos: wild, urtümlich, authentisch sind die Deutschen, die anderen, besonders die Franzosen, gelten als gekünstelt, verzärtelt, urban. Mit seinem „Chasseur im Walde“ brachte der Romantiker Caspar David Friedrich 1814 die Haltung auf den Punkt: Ein winziger napoleonischer Soldat, allein zwischen hohen Stämmen, oben dräut der Winterhimmel, in seinem Rücken wartet die Aaskrähe. Lange wird er es wohl nicht aushalten im deutschen Tann.

Leider kann die Ausstellung dieses Bild nicht im Original zeigen, sie präsentiert andere, romantischere Darstellungen, auch von Friedrich, von Ludwig Richter, von Spitzweg. Der Wald funktionierte auch als Fluchtbild zu den Umbrüchen der Zeit: knorrige Eichen, überwucherte Felsen, der „Waldesdom“ – eine entrückte, verklärte Welt.

Hexen und Kinder, Jäger und Räuber

Zugleich wurde die Wahrnehmung des Waldes von der Literatur geprägt. Von Klopstocks und Kleists Adaptionen des Hermannsschlacht-Themas, von Hölderlins „Eichbäumen“, Eichendorffs seelenvollem Waldesrauschen und Stifters „Hochwald“ – und von der Märchenwelt, die den Wald mit Hexen und Kindern, Jägern und Räubern bevölkert, der nahrungsreicher Lebensraum ebenso ist wie bedrohlicher Angstraum – auch hier bietet die Ausstellung viele Beispiele, für Kinder gibt es eine tiefergelegte Märchenvitrine – und nebenan eine mit Vorhang abgetrennte Höhle, in der Märchen vom Band laufen.

Ein Wald besteht aus vielen Bäumen, die Perspektiven sind verschieden. Die Bildende Kunst beschäftigt sich nur noch in der Nazizeit idealisierend mit dem Wald, die zeitgenössische Bildende Kunst kann nur noch ironisch mit dem deutschen Wald umgehen, zu lange wurde er vereinnahmt und missbraucht. Seit Ende des 19. Jahrhunderts gibt es die Schlafzimmerstücke (leichtbekleidete Nymphe auf Lichtung) und die Wohnzimmerstücke (röhrender Hirsch vor Bäumen). Letzterer ist in jüngerer Zeit als ironisches Kultmotiv wieder in Mode gekommen. Warum eigentlich? In meiner Stube, scheint der Patriarch zu brüllen, habe ich das Sagen! Die Hirschkuh spitzt fügsam die Ohren.

"Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume"

Schlimmer geht’s immer. Während des Nationalsozialismus wurde die Hitlerjugend im Wald kernig und geländegängig gemacht, Schilder hetzten: „Juden sind in unsern deutschen Wäldern nicht erwünscht“. So zeigt es ein Foto, aufgenommen 1936 in Mittenwalde. Der Reichsjäger- und Reichsforstmeister Hermann Göring lobte angesichts des Waldes „Gottes herrliche Schöpfung“ – Juden würden lediglich „Festmeter berechnen“. Die Ausstellung zeigt dagegen, wie KZ-Häftlinge ihre Lager buchstäblich aus dem Wald heraushauen mussten – und im Zuge dessen ihren Peinigern noch Gartenmöbel zimmerten. Der deutsche Wald – ein Schreckensort. Elias Canetti schrieb in „Masse und Macht“: „Das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: es war der marschierende Wald. (...) Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude.“

Das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung ist gestattet

Es wird noch viel mehr gezeigt und angesprochen: Die Bedeutung der Jagd als Repräsentationsbühne und Ort der politischen Männerbündelei etwa, mit dem Jagdrock von Wilhelm II., inklusive verkürztem Ärmel. Die Rolle des Försters als „Waldpolizist“ und Exekutive adliger Willkürherrschaft, aber auch als Held im Volkslied, in Filmen und Kinderbüchern – allein die ausgestellten Hutmodelle aus allen Epochen lohnen den Besuch. Dann ist da der Wald als Tatort, als Schauplatz von Krimis und realen Verbrechen. Und natürlich, Rehe statt Ruinen, der Wald als idyllischer Ersatz für die im Krieg verlorene Heimat im Heimatfilm der 50er Jahre, einem originär deutschen Genre. Im Begleitprogramm im Zeughauskino wird „Der Förster vom Silberwald“ ebenso gezeigt wie der Propagandafilm „Ewiger Wald“. Ansonsten beherzige der Besucher den Paragrafen 14, Absatz 1, des Bundeswaldgesetzes: „Das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung ist gestattet“. Auf zum Sonntagsspaziergang!

„Unter Bäumen“, Ausstellung bis 4. März 2012. Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden 2, Mitte. Täglich 10-18 Uhr, Eintritt 6 Euro.

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