Falken in der Großstadtwüste: Wie malische Sänger für die Einheit ihres Landes kämpfen
Stimme der Tuareg: Der Musiker Moussa ag Keyna lebt im Exil in Paris. Seine Band Toumast kämpft für die Einheit Malis. Die Musiker besingen ein Leben, von dem sie sich in der Realität schon längst haben verabschieden müssen.
Moussa ag Keyna ist zuversichtlich. Die Medien berichten dieser Tage von Erfolgen der französischen Armee im Kampf gegen die Islamisten in Mali. „Sie werden unsere Kultur nicht zerstören können“, sagt er und betont, keine der islamistischen Gruppen, die derzeit in der Region aktiv sind, repräsentierten das malische Volk. Auch nicht sein Volk, die Tuareg, deren Siedlungsgebiet sich über die Sahara und den Sahel erstreckt und die rund zwanzig Prozent der Bevölkerung des Norden Malis ausmachen.
Im Kampf um einen unabhängigen Staat hatten sich Tuaregrebellen zunächst Auseinandersetzungen mit den islamistischen Gruppen geliefert, dann aber mit diesen gemeinsame Sache gemacht. „Es fließt Geld aus dem Ausland, da haben die Tuaregführer zugegriffen“, sagt Moussa ag Keyna. „Unsere Rebellen aber sind nicht alle mit den Islamisten.“ Die meisten der im Pariser Exil lebenden Tuareg wie Moussa ag Keyna und seine Band Toumast blicken mit Sorge auf das, was gerade in ihrer Heimat passiert, zumal auch von Übergriffen und Hinrichtungen der Nomaden durch die malische Armee berichtet wird. Sie fürchten, zerrieben zu werden zwischen den Interessen der Islamisten und den Streitkräften.
Als ein Signal für Frieden und Verständigung haben mehr als vierzig malische Musiker gemeinsam einen Song für die Einheit ihres Landes aufgenommen und in der Hauptstadt Bamako vorgestellt. Im Norden des Landes kann das Lied nicht gehört werden: Radiostationen dort dürfen keine Musik mehr spielen, dort haben die Islamisten das Sagen.
Moussa ag Keyna schaut aus dem Fenster seiner Wohnung im sechsten Stock eines Pariser Mietshauses. Statt sich in der Weite der afrikanischen Wüste verlieren zu können, endet sein Blick hier an der Mauer des benachbarten Blocks. Der zierliche Mann, der bedächtig und ruhig spricht, lebt seit 1993 in der französischen Hauptstadt. Er hat bei den Tuaregaufständen in Mali und Niger Anfang der 90er Jahre auf Seiten der Rebellen gekämpft und identifiziert sich bis heute mit der MNLA, jener säkularen Bewegung, die für einen unabhängigen Tuaregstaat Azawad eintritt. Im vergangenen Jahr paktierte die MNLA mit jenen islamistischen Kräften, die ag Keyna so ablehnt. Nun aber spielen Kräfte der MNLA auch den französischen Truppen in die Hand. Schon bei der Eroberung von Timbuktu durch die Islamisten war lange nicht klar, welche Rebellengruppe nun das Ruder übernommen habe. Es ist ein verworrenes und undurchsichtiges Spiel in Mali.
Auch Telefonate mit Verwandten im Norden des Landes brächten nicht wirklich Klarheit, meint Moussa ag Keyna. Viele Bewohner Nordmalis hätten Angst, über die Situation offen zu sprechen. Als er aufsteht, um die Balkontür zu schließen, fällt auf, dass er das rechte Bein nachzieht. Es ist die Folge einer Verwundung, die er sich bei Kämpfen mit malischen Regierungstruppen zugezogen hat. Zuvor hatte er in der libyschen Armee gedient. Die Armut habe ihn nach Libyen gebracht, sagt er, wie so viele seiner Landsleute. Viele dieser ehemaligen Brigadisten haben nach dem Sturz Gaddafis die Waffenarsenale des einstigen Herrschers geplündert, um sie im Krieg gegen die malische Regierung einzusetzen. Moussa ag Keyna aber hat 1993 die Kalaschnikow gegen die Gitarre eingetauscht.
Mit seinem riffigen Gitarrensound, der traditionelle Melodien und Rhythmen mit Einflüssen von Jimi Hendrix oder den Dire Straits verbindet, gehört Moussa ag Keyna zu den Vertretern jenes Stils, der für eine ganze Generation junger Tuaregmusiker steht und der als Ishumar bezeichnet wird, abgeleitet vom französischen chomêur, Arbeitsloser. Dürreperioden zwingen seit den 70er Jahren viele Tuareg dazu, ihr nomadisches Leben aufzugeben und in den Städten von Algerien, Libyen, Niger, Burkina Faso oder Mali nach Arbeit zu suchen, als unausgebildete, schlecht bezahlte Tagelöhner.
Moussa ag Keyna hat nie eine Schule besucht. Das sei nichts für einen Imazighen, einen freien Menschen, wie die Berber auch genannt werden. Stattdessen lernte er schon früh, die Kamele zu hüten. Er besingt mit seiner Musik jenes Leben, von dem er sich schon längst hat verabschieden müssen. „Wenn ich ein Falke wäre, könnte ich fliegen, um meine Nächte in der Wüste zu verbringen, zu meinen Ahnen zurückzukehren, in jene Zeltstädte, die so weit entfernt liegen“, heißt es auf seinem ersten, 2006 erschienenen Album „Ishumar“. Auch auf „Amachal“ besingt er das Exil und die politische Situation seines Volkes. Ein Jahr später erschien ein Dokumentarfilm über ihn und das autobiografische Buch „Toumast – Wege eines Kämpfers“.
Dem bedrohten Nomadenvolk ist vonseiten der Europäer viel Sympathie und Bewunderung entgegengebracht worden. Schon die Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts ist gespickt mit Romantizismen und Verklärungen der stolzen Männer aus der Wüste mit ihren indigofarbenen Turbanen. Zugleich mischt sich Abwertung in diesen Blick, waren es doch die Tuareg, die zwar mit den ehemaligen Kolonialherren kooperierten, die zugleich aber den größten Widerstand in dieser für die Europäer ehedem nicht beherrschbaren Region leisteten. Auch die moderne Literatur spricht nicht frei von Pathos. „Die Nomaden suchen nicht danach, die Natur zu beherrschen“, schreibt etwa der französische Literaturnobelpreisträger Le Clézio. „Sie kennen weder die Obsession des Besitztums noch den Hunger der Gier, die Negierung des Leids oder des Todes.“ Aus den Besitzlosen aber wurden schnell auch Rechtlose, die für ihre Forderungen nach den Waffen griffen.
Seit 1960 verlangen die Tuareg nach einer eigenen Nation. Eine Vision, die im vergangenen Jahr mit Ausrufung des Staates Azawad Wirklichkeit geworden zu sein schien. Es geht um Selbstbestimmung, um politische Teilhabe, eine Infrastruktur und gesundheitliche Versorgung. Bislang werden die Menschen in Nordmali von einer über tausend Kilometer entfernten Regierung vertreten. Die Wüstenstadt Gao liegt in etwa so weit von Malis Hauptstadt Bamako entfernt wie Zürich von Kopenhagen.
Dass die im benachbarten Niger beheimateten Tuareg sich diesmal nicht an den Auseinandersetzungen beteiligten, liegt wohl mit daran, dass sie seit den Aufständen Anfang der 90er Jahre in Niger politisch integriert wurden und in der Regierung vertreten sind.
Wenn Toumast vom Nomadentum, von Freiheit und Würde singen, dann klingt das nicht bloß nach Nostalgie. Ag Keynas Stücke sind durchtränkt von jenem politischen Bewusstsein, das alle Ishumarmusik auszeichnet. Bands wie Tinariwen, aber auch Tamikrest, Terakaft oder Tiwitine haben diese Musik bis weit über die Landesgrenzen hinaus, auch jenseits der Weltmusikszene, bekannt gemacht. Toumast, das ist ein rockiger, manchmal aber auch tranceartiger Sound, maßgeblich geprägt von der Sängerin und Gitarristin Aminatu Goumar. Sie wird auch das aktuelle Album mit gestalten, an dem die Band derzeit arbeitet und das Ende des Jahres erscheinen soll. Ihre Rolle sei alles andere als ungewöhnlich, sagt die Musikerin. Traditionell spielen bei den Tuareg die Frauen die Instrumente: „Die Verwunderung darüber rührt von einem jener Missverständnisse her, die es immer schon gegeben hat und die durch die aktuelle Situation in Mali nun verstärkt werden: Dem Glauben, dass wir Tuaregfrauen ein untergeordnetes Dasein führen. Das Gegenteil ist der Fall“, sagt sie.
Wie neunzig Prozent der Gesamtbevölkerung Malis sind auch die Tuareg Muslime, die nach den Regeln des Islam leben. Die Unterdrückung der Frauen sei darin nicht vorgeschrieben, sagt Aminatu Goumar. Auch die Musik macht dies deutlich: Sie ist vitaler Bestandteil nicht nur der Tuaregidentität, sondern der gesamten malischen Kultur. Selbst wenn diese seit Einführung der Scharia in weiten Teilen Nordmalis verboten ist – „die Menschen spielen und hören dennoch weiter ihre Musik“, sagt Aminatu Goumar. „Wir haben immer wieder aufbegehrt.“
Kai Britta Adler
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