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"Bully" als "Buddy": Michael Herbig spielt in seinem neuen Film einen Schutzengel.
© FOTO: Warner

Himmlischer Weihnachtsfilm: Wie macht sich „Bully“ als „Buddy“?

Michael „Bully“ Herbig spielt in seinem neuen Film „Buddy“ einen Schutzengel. Damit steht er in einer langen Kinotradition - von Frank Capra bis Wim Wenders.

Da sitzt einer im Schrank. Sieht absolut nichtssagend aus, der Typ. Allerweltsgesicht, Allerweltsklamotten. Und wieso Schrank? Da sitzen in Filmen entweder die Einbrecher oder die Ehebrecher. So treudoof, wie der guckt, ist er beides nicht. Und dass er ein höheres Wesen ist, das erkennt Eddie nicht. Wie soll er auch? Der Playboy hat zwar als Erbe eines Hamburger Sprudelkonzerns reichlich Geld, ein Designerloft und ein Bett voll Partyluder, aber Müßiggang und Schampus haben seine Geisteskräfte stark geschwächt. Und einen Engel im Schrank hat man so häufig nicht. Also fällt Eddies Reaktion eher skeptisch aus, als ihm der Typ erzählt, dass er „Buddy“ heißt und sein Schutzengel ist.

Anzusehen ab Weihnachten in den Lichtspieltheatern der Stadt, wo Michael „Bully“ Herbigs erste Familienkomödie pünktlich zum Lichterfest anläuft. Dass die vom Regisseur, Autor und Produzenten auch noch selbst gespielte Lichtgestalt so gar nichts Rauschgoldengelhaftes oder Erhabenes hat, führt Herbig im Gespräch auf ein weitverbreitetes Informationsdefizit zurück. Er habe viel herumgefragt, aber niemanden gefunden, der schon mal einen Schutzengel gesehen habe, sagt er mit seriöser Miene. „Keiner weiß, wie Engel aussehen, also kann man alles behaupten.“ Auch, dass sie Jeans und Kapuzenjacke tragen. Oder ein Nachthemd unter dem Straßenanzug, einen weißen Lendenschurz zu weißen Umhängeflügeln oder lange dunkle Mäntel, um nur ein paar Bespiele für himmlische Kleiderordnungen im groben Abstand von 20 Jahren zu nennen, die Regisseure vor Herbig für ihre Götterboten ausgewählt haben.

Engelserscheinungen haben eine mehrtausendjährige bildnerische Tradition, die schon vor dem Entstehen der drei großen monotheistischen Religionen beginnt. Natürlich in der Bildhauerei und Malerei, die vor strahlenden Cherubim, mit schimmernden Brustpanzern kämpferisch gerüsteten Himmelsheerscharen und niedlichen Putten nur so überquillt, aber eben auch im Kino. Und weil dieses das Bildmedium der Moderne ist, sind die Geistwesen auf der Leinwand deutlich häufiger in auffällig unauffälliger Aufmachung unterwegs als im barocken Federstaat mit Heiligenschein.

Eine Ausnahme ist der blinde Adonis Pygar in Roger Vadims durchgeknalltem Science-Fiction „Barbarella“ von 1967, der absichtsvoll verkitschte Rauscheschwingen zum engelreinen Wesen trägt. Wim Wenders’ Helden Damiel (Bruno Ganz) und Cassiel (Otto Sander) aus „Der Himmel über Berlin“ von 1987 verkörpern dagegen in ihren langen Mäntel die ikonografische Strenge, die ihnen als zeitlosen Zeugen mauerstädtischer Verlorenheit zukommt. In „It’s a wonderful life/Ist das Leben nicht schön?“ von 1946 jedoch sieht Frank Capras Weihnachtsengel Clarence (Henry Travers) als gemütlicher alter Herr mit Knollennase genauso irdisch wie „Bully“ Herbigs Buddy aus.

Die beiden sind sowieso miteinander verwandt. Nicht nur, weil sie Herbig am Herzen liegen, der „It’s a wonderful life“ für den schönsten Engelfilm der Filmgeschichte hält: „Der war damals ein kommerzieller Misserfolg, jetzt ist der Film Kult. Hoffentlich kommt nie jemand auf die Idee, ein Remake herauszubringen: Das wäre Blasphemie.“ Sondern weil Buddy und Clarence beide als Schutzengel noch in der Ausbildung sind, beide einen verblendeten Menschen retten, beide ihn auf den rechten Weg führen wollen. In Capras herzzerreißendem New-Deal-Klassiker ist es James Stewart als vom Bankrott bedrohter Bausparkasseninhaber George Bailey, der sich am Weihnachtsabend umbringen will. Bei Herbig ist es der eitle Geck Eddie, den Schutzengel Buddy mit allen faulen Tricks in die Arme einer alleinerziehenden Altenpflegerin treibt. Richtungswechsel, Menschwerdung, das ist der Auftrag – seit alters her ein Engel-Kerngeschäft. Und auch diesmal Auslöser für allerlei komödiantische Wirrsal. Sie fällt für einen Engel-Film ungewohnt actionreich und für einen Herbig-Film ungewohnt romantisch aus. Schließlich hat der seinen Kinoruhm als Grob-Parodierer erworben und den Film zuerst völlig unspirituell als Buddymovie konzipiert. Aus zwei möglichst unterschiedlichen Charakteren wurden schließlich Mensch und Engel. Und aus der Kumpelkomödie eine Romanze.

Wie Pygar, Damiel, Cassiel und viele andere Kinoengel kommt auch Buddy völlig ohne einen sichtbaren religiösen Background aus. Nur Clarence ist Teil einer durch sprechende Sterne und Galaxien versinnbildlichten göttlichen Hierarchie. Engel im Film, das heißt nicht notwendigerweise auch Götterbote, Willensverkünder, Mahner, aber es heißt immer Gefährte, Zwischenwesen, Mittler zwischen einer sichtbaren und einer unsichtbaren Welt. Und das als Licht- oder Schattengestalt (auch im Kino gibt es gefallene Engel, etwas in Pasolinis „Teorema“ oder Cocteaus „Orphée“), in Form einer das Wesen des Kinos perfekt reflektierenden Kreatur. „Agenten der Wahrnehmung“ und „Agenten der Kinematografie“ nennt sie der Filmwissenschaftler Norbert Grob im Begleitbuch zur Ausstellung „Flügelschlag – Engel im Film“, die 2003 im Berliner Filmmuseum zu sehen war. Ersteres bezogen auf die Wächter Damiel und Cassiel, die im „Himmel über Berlin“ das sonst unhörbare Gedankengemurmel der Menschen verfolgen. Letzteres bezogen auf Clarence, der dem lebensmüden George Bailey als Film im Film vorführt, wie das Leben der von ihm geliebten Menschen ohne ihn gelaufen wäre und ihm damit den Blick für das Eigentliche, die Wahrheit hinter der Oberfläche öffnet.

Die schöne Vorstellung, dass es einen Schutzengel geben könnte, gefällt „Bully“ Herbig. So wie vielen Menschen gerade in unsicheren Zeiten, etwa den vierziger oder neunziger Jahren bis zur Jahrtausendwende, wo besonders viele Lichtgestalten über Leinwände flatterten, wie die Ausstellung „Flügelschlag“ festgestellt hat. Aber richtig an Schutzengel glauben? „Ich fürchte eher nein“, sagt der katholisch erzogene, aber nicht religiöse Münchner. Aus der Kirche ist er schon lange ausgetreten, statt Seele benutzt er lieber Worte wie Bauchgefühl oder Intuition, einen Glauben allerdings hat er. „An Pünktlichkeit, Fleiß, guten Geist, eine positive Kraft, nicht an negative Energie.“

Gute Vibrationen also. Noch so ein Engel-Kerngeschäft, seit paradiesischen Zeiten. Damiel und Cassiel im „Himmel über Berlin“ können nichts für die Menschen tun, außer ihnen durch bloßes Zuhören die Würde zu geben, die ihnen ignorante Mitmenschen versagen. Auch wenn die Kinder sie sehen. Aber: Sie können ihnen geistige Impulse übertragen, ein bisschen Lebensmut, ein paar neue Funken. Das aus Frust flugunfähig gewordene, naive Federwesen Pygar ersetzt, nachdem es Sex mit der von Jane Fonda gespielten Barbarella hatte, mit seinen wiedererlangten Flugkünsten gar ihr abgestürztes Raumschiff. Und der knuffige Clarence springt laut platschend in den Fluss und zeigt Filme im Kopf. Nur Buddy kann nichts außer singen. Nicht im Stil von Sphärenchören, die im Hollywood-Historienfilm der Fünfziger und Sechziger häufig in körperlicher Gestalt anwesende Engel ersetzen. Sondern im Stil von Stevie Wonder oder Karel Gott. Die persifliert Herbig als Engel hingebungsvoll, um Druck auf seinen bockigen Schützling Eddie zu machen, der seine Existenz einfach nicht akzeptieren will.

Musik als Waffe also, quasi als himmlische Trashtrompeten von Jericho. Die Möglichkeit hatte selbst der Erzengel Michael, in der christlichen Angelologie als bewaffneter Krieger Gottes und Teufelsbezwinger ausgewiesen, nicht. Da hat der „Bully“ Herbig dem Engelfilm mit seinem alten Lieblingsstilmittel noch eine neue Facette hinzugefügt. Und einen guten Gag. Um seinen Worten mehr Gewicht zu geben, deutet Buddy seinem Schützling Eddie an, seinen Auftrag von ganz oben zu haben. „Von Gott?“, fragt Eddie verschreckt. Darauf Buddy: „Gott wird er nicht so gern genannt, er ist ein wahnsinnig bescheidener Typ.“

Das leuchtet gerade Weihnachten ein, wo nach Auskunft des Evangelisten Lukas die himmlischen Heerscharen ausgerechnet armen Hirten auf dem Felde die Geburt des Heilands Jesus Christus anzeigen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ Außer einer leuchtenden Aura, bezeichnet als „Klarheit des Herrn“, sind keine näheren Angaben über Kleidung und Auftreten der Götterboten bekannt.

In 14 Berliner Kinos.

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