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Der Schriftsteller und Dramatiker Peter Weiss, 8.11.1916 - 10.5.1982.
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100 Jahre Peter Weiss: Widerstand und Wahrheit

Stilbildend, aber keine Ikone: Eine (nicht nur) persönliche Erinnerung an Peter Weiss.

Die Berliner Akademie der Künste tat gut daran, am Wochenende an Peter Weiss zu erinnern, denn der am 8. November 1916 in Nowawes bei Berlin geborene Autor, generationsmäßig näher an Böll als an Grass, hat einige Meisterwerke geschrieben: das Auschwitz- Drama „Die Ermittlung“, „Marat/Sade“ fürs Theater sowie „Die Ästhetik des Widerstands“. Seine frühe Prosa („Der Schatten des Körpers des Kutschers“, „Abschied von den Eltern“) war stilbildend für meine Generation. Dass Weiss als Maler debütierte und bei Hermann Hesse in die Lehre ging, ist heute fast vergessen, ebenso wie seine Experimentalfilme, an die Gunilla Palmstierna, die Witwe des Dichters, im Gespräch mit Florian Wüst erinnerte. Es war erhellend und bewegend, die Bühnenbildnerin und Mitarbeiterin über Weiss’ Frühwerk sprechen zu hören: hunderte Zeichnungen und Gemälde, die aus einem Depot in Stockholm gestohlen wurden und seither nicht wieder aufgetaucht sind.

Peter Weiss war ein lebenslanger Emigrant, ein Getriebener und Vertriebener, der mit den jüdischen Eltern aus Nazideutschland nach Schweden floh und hier seine Bücher schrieb, aber nirgends Wurzeln schlug außer in Kunst und Literatur. Davon erzählt sein Opus magnum, die „Ästhetik des Widerstands“. Kein Roman, sondern ein Epos, dessen Helden nicht wirkliche Menschen sind, sondern Kunstwerke wie der Pergamonaltar oder Picassos „Guernica“. Der Titel ist Programm, und wie „Das Kapital“ von Marx wurde das dickleibige, schwer zu lesende Buch in Gruppen und Zirkeln studiert.

Hans Christoph Buch, Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Chronist, Jahrgang 1944.
Hans Christoph Buch, Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Chronist, Jahrgang 1944.
© picture-alliance/ dpa

Alles schön und gut. Doch es ist unredlich, im Zuge einer wohlmeinenden Würdigung Peter Weiss als Kronzeugen für heutiges Flüchtlingselend zu bemühen. Stichwort Cap Anamur: Damals, Ende der siebziger Jahre, diffamierte Peter Weiss aus Vietnam fliehende Boat People als Verräter, die mit Schätzen beladen das Land verlassen hätten, ohne zu bedenken, dass die NS-Propaganda genau das den Juden nachsagte.

Peter Weiss war kein linientreuer Dogmatiker, aber auch kein Dissident

Und es ist widersinnig, die „Ästhetik des Widerstands“ dafür zu loben, dass ihr Autor die Wahrheit über Stalins Straflager und den Spanischen Bürgerkrieg schreibt. Die war seit Langem bekannt und wurde von Zeitgenossen wie George Orwell und Arthur Koestler, Warlam Schalamow und Alexander Solschenizyn glaubwürdiger bezeugt als von Weiss. Die DDR-Führung enthielt ihren Bürgern diese Wahrheit vor, wie übrigens auch die „Ästhetik des Widerstands“, die nur in winziger Auflage von tausend Stück gedruckt wurde.

Und es ist kein Ruhmesblatt für Peter Weiss, dass er vor der SED einknickte und sein Trotzki-Stück widerrief, obwohl er nicht auf die Einhaltung der Parteilinie verpflichtet war. Mit postumer Heiligsprechung ist niemandem gedient: Peter Weiss war kein linientreuer Dogmatiker, aber auch kein Dissident – und für den von Volker Braun artikulierten Phantomschmerz über den Untergang der DDR lässt er sich nicht vereinnahmen, weil er vor dem Mauerfall starb.

Von Hans Christoph Buch, Jahrgang 1944, erschien zuletzt der Roman „Baron Samstag“ und der Essay „Boat People: Literatur als Geisterschiff“ (Frankfurter Verlagsanstalt).

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