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10.10.2019, Schweden, Stockholm: Mitglieder der Schwedischen Akademie, Anders Olsson (l-r), Par Westberg, Rebecka Kärde, Mikaela Blomqvist und Henrik Petersen, stehen nach der Bekanntgabe der Gewinner des Literatur-Nobelpreises 2018 und 2019 zusammen.
© dpa

Literaturnobelpreis: Wider die politische Korrektheit

Der Literatur verpflichtet: Mit der Entscheidung für Olga Tokarczuk und Peter Handke beweist die erneuerte Schwedische Akademie Mut. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerrit Bartels

Ach, was war es doch wieder spannend und ehrenvoll, als der smarte Mats Malm, der neue Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie, am Donnerstag im Haus der Börse in Stockholm vor die versammelten Weltmedien trat und verkündete, wer die Literaturnobelpreise 2018 und 2019 gewonnen hat: die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk und der Österreicher Peter Handke.

Und die Entscheidung war dann auch wieder verblüffend, ja, durchaus überraschend, wie in so manchem Jahr in der Vergangenheit. Weniger weil die vergleichsweise jugendliche Olga Tokarczuk, sie ist 1962 geboren, den vergangenes Jahr ausgesetzten Literaturnobelpreis 2018 gewonnen hat.

Tokarczuk gehörte mit zum engeren Favoritenkreis, sie hat gerade ihr Opus magnum veröffentlicht, den über tausendseitigen Roman „Die Jakobsbücher“, ein multiperspektivisches Porträt von einer der schillerndsten Figuren im Europa des 18. Jahrhunderts, Jakob Frank, eines Mannes, der gleichermaßen als Messias, als Ketzer und als Scharlatan galt.

Frank konvertierte mit seiner Gefolgschaft erst vom Judentum zum Islam, dann zum Katholizismus, zog durch das Habsburger und Osmanische Reich und ließ sich schließlich in Offenbach am Main nieder.

Ob Tokarczuk auch letztes Jahr gewonnen hätte, wäre der Preis nicht ausgesetzt worden, wäre die Akademie nicht gezwungen worden, sich in vielerlei Hinsicht zu verändern? Gut möglich, dass die Entscheidung sich nicht zuletzt gerade den fünf externen Mitgliedern verdankt, die zusammen mit vier von der alten Garde aus der Schwedischen Akademie dieses Jahr (und dann auch 2020) die Entscheidung gefällt haben (und von denen drei auch mit bei der von Anders Olsson vorgetragenen Urteilsbegründung auf dem Podium vor den versammelten Weltmedien standen).

Nein, die größere Überraschung dürfte die Wahl von Peter Handke sein. Handke wird zwar seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten genannt, wenn es um den Literaturnobelpreis geht. Doch ist Handke wegen seiner Haltung in den neunziger Jahren im Jugoslawien-Konflikt in Misskredit geraten.

Wegen seiner Parteinahme für die serbischen Nationalisten, seiner kruden politischen Ansichten in diesem Konflikt, ja, nicht zuletzt der Teilnahme an der Beerdigung des serbischen Präsidenten und Menschenschlächters Slobodan Milosovic.

Vergessen, das alles? Strikt von Handkes Literatur zu trennen? Zum Beispiel auch von seinen Büchern aus der Zeit, wie zum Beispiel „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“. Das war mitunter tatsächlich hoch poetisch, wollte der üblichen Berichterstattung von damals literarisch begegnen.

Man muss konstatieren, dass das Nobelpreiskomitee tatsächlich höchst autark entschieden, sich um politische Korrektheit nicht geschert, sondern ausschließlich für die Literatur argumentiert hat. Ein Autor, eine Autorin, das ist geschlechtergerecht, aber sonst?

Zwei Autoren aus Europa, zwei mit weißer Hautfarbe, ein Werk, das von aktueller Bedeutung ist, Tocarczuk, eines, das eigenständig den Gesetzen der Literatur folgt, Handke, alles ohne Rücksicht auf einen ethnischen oder geografischen Proporz. Die Entscheidung für Tokarczuk und Handke ist gerade in diesen aufgeladenen Zeiten eine mutige, man wird ihr vorwerfen, sie sei eurozentrisch, sie würde nur Traditionen fortschreiben.

Der Literatur aber, nicht zuletzt im Vergleich mit Preisträgern wie Bob Dylan oder Svetlana Alexijewitsch, wird sie nur guttun.

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