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Mit Leib und Seele für die Kultur engagiert sich André Schmitz (links), ehemals Berliner Kulturstaatssekretär.
© imago

Wirtschaft und Kultur: Wer wird Kulturmanager des Jahres?

Für den Kulturmarken-Award sind drei Giganten des Kulturmanagements nominiert: Hedy Graber, André Schmitz und Gerd Harry Lybke. Sie haben eines gemeinsam: den großen Horizont.

Wer am 30. Oktober tatsächlich auf der großen Opernbühne im Schillertheater stehen wird, um den Kulturmarken-Award in der Kategorie „Europäischer Kulturmanager des Jahres“ in Empfang zu nehmen, ist noch völlig offen. Mehr als 20 Bewerbungen waren eingegangen – auf durchaus recht heterogenem Niveau, wie man hört –, und nur einer kann die undotierte Ehre davontragen.

Klar ist aber schon jetzt: Es wird ein Gigant sein. Denn die drei Nominierten haben in ihren Biografien vor allem eines gemeinsam: den großen Horizont, der weit über das eigentliche Berufsbild hinaus reicht. Beworben haben sie sich natürlich nicht selbst, sondern sie wurden vorgeschlagen.

Zwar ist es nicht das Verdienst von Hedy Graber, dass sich der Schweizer Lebensmittelhändler Migros schon in den Fünfzigerjahren selbst verpflichtet hat, jährlich ungefähr ein Prozent seines Jahresumsatzes in gemeinnützige Projekte zu reinvestieren. Bei einem Umsatzvolumen von nahezu 27 Milliarden Franken kommt da leicht ein dreistelliger Millionenbetrag zusammen, 2013 waren es mehr als 120 Millionen Schweizer Franken, von denen ungefähr ein Drittel für Kultur und Soziales aufgewendet wurde. Auch wenn diese Selbstverpflichtung Unternehmensgründer Gottlieb Duttweiler dereinst in den Statuten verankerte – selbstverständlich fortgeschrieben wurden bei Weitem nicht alle seiner vielfältigen Ideale, die ganz auf die demokratische und soziale Teilhabe möglichst aller Schweizer zielten.

Freiwillig auf Gewinn verzichten

So ist es also vor allem Kulturchefin Hedy Graber, die mit Geschick und gutem Netzwerk den ursprünglichen Leitbildern ein Gesicht gibt und dafür eine ganze Direktion innerhalb eines in der Schweiz ziemlich mächtigen Konzerns führt. Ihre Abteilung, die etwa den Direktionen Einkauf oder Vertrieb völlig gleichberechtigt ist, wurde als festes Unternehmensziel definiert. Selbstverständlich ergibt sich aus dem Engagement auch ein PR-Effekt, aber das Ideal, freiwillig auf Gewinn zu verzichten, dürfte wohl in der Unternehmenskultur einmalig auf der Welt sein.

Hedy Graber, Leiterin der Direktion Kultur und Soziales beim Migros-Genossenschafts-Bund in der Schweiz.
Hedy Graber, Leiterin der Direktion Kultur und Soziales beim Migros-Genossenschafts-Bund in der Schweiz.
© Suzanne Schiwertz

Hedy Graber gehört dabei zu den Menschen, deren Projektliste sich auf mehrere Seiten verteilt, deren joviale Natur in jeder Faser zielgerichtet wirkt, die eigentlich mit jedem vernetzt ist, den man braucht, wenn man anspruchsvolle Pläne durchsetzen will. Und die Bandbreite ist extrem groß: Die von Graber zum Teil nicht nur unterstützten, sondern sogar initiierten Projekte reichen vom Architekturwettbewerb über die Filmförderung bis hin zum Jugendprogramm „Mit den Enkeln zur Klassik“.

Um Kräfte zu bündeln, kooperiert die 53-Jährige gern mit anderen Förderinstitutionen und übernahm der Einfachheit halber gleich die Leitung des Vereins „Forum Kultur und Ökonomie“, in dem sich alle wichtigen öffentlichen und privaten Kulturfinanzierer der Schweiz zusammengeschlossen haben. Sie greift der freien Kunstszene mit Förderkrediten ebenso unter die Arme, wie sie das verfallene Löwenbräu-Areal in Zürich für die Kunst sanierte und wieder zugänglich machte. Sowohl Publikum als auch Künstler kommen seitdem aus ganz Europa in die Schweiz – ein wichtiges Kriterium für die Jury, den europäischen Gedanken des geehrten Kulturmanagers hervorzuheben.

Auch Berlins ehemaliger Kulturstaatssekretär ist nominiert

Ein glänzender Netzwerker, vielleicht sogar ein Hansdampf in allen Gassen ist auch Berlins ehemaliger Kulturstaatssekretär André Schmitz, der mehrere Dutzend Ämter in Stiftungskuratorien, Kulturfonds und Fördervereinen innehat. Wenngleich er im Februar wegen Steuerhinterziehung aus der Kulturverwaltung ausscheiden musste, wurde das Verfahren gegen eine geringe Geldbuße doch eingestellt, so dass seiner Nominierung nichts im Wege stand. Das kulturelle Berlin, so heißt es in der Begründung der Jury, wäre ohne ihn wohl nicht das Berlin, das es heute ist: Immerhin verfügte er über einen weltweit wohl einmalig hohen Kulturetat von fast 430 Millionen Euro. 2006, als Schmitz sein Amt im notorisch klammen Berlin antrat, hatte er noch bei 343 Millionen Euro gelegen.

Der Kulturstaatssekretär holte prominente und mittlerweile sehr erfolgreiche Intendanten wie Berndt Schmidt (Friedrichstadtpalast) oder Barrie Kosky (Komische Oper) in die Bundeshauptstadt. Einen bundesweit beachteten Akzent des interkulturellen Austausches setzte André Schmitz zudem durch die Berufung von Shermin Langhoff als erste Intendantin mit Migrationshintergrund an einem deutschen Stadttheater, nämlich dem Maxim Gorki Theater.

Schmitz half, den Friedrichstadtpalast vor der Insolvenz zu retten und akquirierte dank seiner guten Kontakte zusätzlich mehrere Millionen privater Gelder für die Kultur. Als eigentlich zweiter Mann hinter Klaus Wowereit, der dereinst den Posten des Kultursenators gestrichen und in seinen eigenen Zuständigkeitsbereich geholt hatte, war es André Schmitz, der weit über ein politikerhaftes Verwalten hinaus die Fäden spann und dies auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Kulturpolitik weiter betreibt. Natürlich konnte eine so prominente Figur nie ganz unumstritten bleiben – die Verdienste des 57-Jährigen sind es aber wohl doch.

International berühmt: Galerist Gerd Harry Lybke

Die schillerndste und unter den drei Nominierten wohl wirklich internationale Figur indes dürfte Gerd Harry Lybke sein, genannt Judy, der von Leipzig aus einer der umtriebigsten und wohl auch umsatzstärksten Galeristen wurde. Dass die Neue Leipziger Schule unter ihrem großen Stern Neo Rauch international bekannt wurde, ist auch Lybke zu verdanken, der den „Maler, der aus der Kälte kam“, wie ihn die New York Times beschrieb und damit zum Star in den USA machte, seit vielen Jahren vertritt.

Der Galerist Gerd Harry Lybkke (Eigen + Art).
Der Galerist Gerd Harry Lybkke (Eigen + Art).
© Herlinde Koelbl

Lybke, der in Leipzig und Berlin seine Galerie „Eigen + Art“ betreibt, versteckt sich nicht mit seinen guten Umsätzen, auch weil er es sich leisten kann, seine Verdienste sprechen zu lassen. Seine Bewunderer bescheinigen ihm trotz aller internationalen Erfolge bis heute, ein „ehrlicher Galerist“ geblieben zu sein – will heißen: ohne Allüren, ohne falsche Bescheidenheit, aber geradeheraus. Vor allem die Treue und freundschaftliche Verbundenheit zu seinen Künstlern, deren Entwicklung er über Jahrzehnte hinweg begleitet, heben den im Jahr des Mauerbaus in Leipzig Geborenen wohltuend von vielen Berufskollegen ab. Allzu oft geraten Künstler mit ihren vor allem profitorientierten Galeristen aneinander, weil beide Seiten unterschiedliche Vorstellungen und Ziele haben.

Dabei kommt Gerd Harry Lybke, der bis heute gänzlich ohne Arroganz auskommt, auch seine Sozialisation zugute: Es dürfte wohl kaum einen Galeristen geben, der als Maschinenmonteur seine ersten Brötchen verdiente und Weltraumfahrt in Moskau studieren wollte. Weil er während seiner Armeezeit „Macht Liebe, nicht Krieg“ an die Kasernenmauer schrieb, wurde er mit Studien- und Berufsverbot belegt – der eigentliche Motor seiner Kunstförderung.

Lybke pflegt das Querdenkertum

Denn seit der damals 22-Jährige in der berühmten Grafikhochschule in Leipzig Aktmodell saß, stellte er die Bilder seiner Malerfreunde in seiner Privatwohnung aus. Die erste komplette Ausstellung, kritisch beäugt von den sogenannten Sicherheitsorganen, markierte die Geburtsstunde seines heutigen Berufes, zu dessen Erfolg auch ziemlich viel Glück gehörte.

In der Wiedervereinigungseuphorie war es Lybke gelungen, eine Bürgschaft Arend Oetkers für die Teilnahme an der Frankfurter Kunstmesse einzuwerben. Neugierig auf die ostdeutschen Newcomer, stürzte sich das Publikum auf die Werke, bis sie alle verkauft waren. Die Anekdote, dass die Künstler auch auf Verpackungsmaterial weitermalten und Lybke diese Papierfetzen wiederum verkaufte, ist angeblich verbürgt.

Aber selbst wenn sie nicht stimmen sollte: 25 Jahre nach der Revolution, die maßgeblich von Leipzig ausging, partizipiert Gerd Harry Lybke auch heute noch von dem Aufbruchsgedanken, von der Überzeugung, dass man es schaffen kann. Dass aus Ruinen spannende Szenen werden können, bewies er zum Beispiel im Leipziger Stadtteil Plagwitz, dessen einstige Industriebrache sich dank seiner Galerieansiedlung zu einem prosperierenden Kunststandort entwickelte, der regelmäßig von internationalen Sammlern und Künstlern gleichermaßen heimgesucht wird.

Im heutigen Markt, dem er weniger nachrennt, statt ihn vielmehr zu dominieren, pflegt Lybke das Querdenkertum, sucht Architekten in galerieähnlichen Niederlassungen zu vertreten oder fördert besonders Künstlerinnen, deren Preisniveau unter dem ihrer männlichen Kollegen liegt. Nach 120 Messen und 360 Ausstellungen ist Lybke ein gut vernetzter, leidenschaftlicher, aber erdverbundener Typ geblieben. Er machte im Westen Karriere und vergaß seine Wurzeln nicht. Ein Erfolgsrezept, das sich bewährt.

Christian Schmidt

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