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Ein Stuhl blieb leer: Jan Chapman, Aamir Khan, Sandy Powell, Guy Maddin und Nina Hoss applaudieren bei der Berlinale-Eröffnung ihrem Jurykollegen Jafar Panahi, der im Iran im Gefängnis sitzt.
© Reuters

Solidarität mit Jafar Panahi: Wer sich wehrt, der lebt

Weltweit solidarisieren sich Künstler und Intellektuelle mit dem Regisseur Jafar Panahi, der im Iran im Gefängnis sitzt und der diesjährigen Berlinale-Jury daher nur in Abwesenheit angehören kann. Sein Bärengewinner „Offside“ von 2006 wird heute gezeigt.

Anfang Februar fand sich in einem Pariser Kino eine illustre Gruppe von Filmschaffenden zusammen. Michel Piccoli, Amos Gitai, Jane Birkin, Agnès Varda, Marjane Satrapi und andere protestierten, zusammengerufen von Bernard-Henri Lévy, gegen die Verurteilung der iranischen Regisseure Jafar Panahi und Mohammed Rasoulof. Bertrand Tavernier fordert den Ehren-César für Panahi, Hippolyte Girardot erklärt, bislang habe er Panahis Werk geschätzt, heute bewundere er ihn als Mensch. Am heutigen 11. Februar, dem 32. Jahrestag der Revolution im Iran, werden sich Filmemacher vor der Cinemathèque Francaise versammeln, die iranische Schauspielerin Golshifteh Farahani, die hierzulande gerade in Asghar Farhadis „Elly“ im Kino zu sehen ist, wird Panahis Verteidigungsrede vor Gericht verlesen.

Ähnliche Aktionen sind in Deutschland bislang ausgeblieben. Offizielle Protestnoten ja, Versammlungen, Diskussionen, Demonstrationen? Nein. Immerhin: Die Berlinale, die Jafar Panahi schon 2010 einlud – ein Ausreiseverbot im Iran verhinderte damals seinen Auftritt bei einer Diskussion – hat ihn früh in die Jury berufen und immer wieder auf seine Freiheit beharrt und auf seine freie Berufsausübung gedrängt.

Heute wird im Berlinale-Palast Panahis „Offside“ gezeigt, mit dem er 2006 den Silbernen Bären gewann. Solidaritätskundgebungen auf dem Roten Teppich, der an diesem Tag eigentlich ein Grüner Teppich sein müsste, sind ausdrücklich erwünscht. Dieter Kosslick wird mit einer Rede in den Film einführen, in allen Festival-Sektionen werden Filme von Panahi zu sehen sein, begleitet von Paten wie Rafi Pitts, Jasmin Tabatabai, Ali Samadi Ahadi und Ayat Najafi.

Jafar Panahi und Mohammed Rasoulof waren im März 2010 verhaftetet worden, während sie an einem neuen Filmprojekt arbeiteten. Beide sind international gefeiert: Panahi ist mit Filmen wie „Der weiße Ballon“, „Der Spiegel“, „Der Kreis“, „Offside“ auf den Festivals von Cannes, Venedig, Locarno und Berlin ausgezeichnet worden, Rasoulof war mit „Iron Island“ und „White Meadows“ auf den Festivals von San Sebastian, Cannes und Hamburg zu Gast. Beide sind Botschafter ihres Landes, Vertreter einer Filmsprache, die mit emphatischen Alltagsgeschichten und metaphorischen Bildern mehr über Stimmung und Lebensumstände im Iran sagen als jede politische Stellungnahme.

Nach internationalen Protesten kamen beide im Mai 2010 gegen Kaution frei, doch im Dezember folgte das brutale Urteil: sechs Jahre Gefängnis, und für Panahi zwanzig Jahre Berufsverbot, Ausreiseverbot, Redeverbot. All das nur, weil Panahi und Rasoulof an einem Film gearbeitet haben, der während der Demonstrationen rund um die iranischen Wahlen 2009 spielt – ein Film, der noch nicht gedreht war. Eine Verurteilung nicht für Taten also, nur für Pläne und Gedanken – das ist auch für Iran neu und Zeichen verschärften Vorgehens gegen Oppositionelle. Zwar ist das Urteil in Revision, doch Hoffnungen auf einen Gesinnungswandel macht sich keiner.

Zu einem internationalen Solidaritätsstreik für Panahi und Rasoulof hat der Regisseur Rafi Pitts aufgerufen, der mit seinem Film „Zeit des Zorns“ 2010 auf der Berlinale war. Alle Beschäftigten der Filmindustrie sollten heute für zwei Stunden die Arbeit niederlegen. Hollywood-Größen wie Sean Penn, Robert Redford, Martin Scorsese, Steven Spielberg und Francis Ford Coppola haben Unterstützung zugesagt. Die Seite cinefoundation.org hat dazu aufgerufen, mit Kurzfilmen gegen die Verurteilung zu protestieren – auch Regisseure wie Lav Diaz und Béla Tarr wollen sich beteiligen.

Die Berlinale hat sich dem Streik zwar nicht angeschlossen. Aber Rafi Pitts wird der Vorführung von „Offside“ beiwohnen, wie viele andere Filmschaffende von Wim Wenders bis Andres Veiel, von Maren Ade bis Jasmila Zbanic. Die „taz“ hat Anfang der Woche eine Unterschriftenaktion ins Leben gerufen, eine Petition für die Freilassung Panahis. Zeitschriften wie „Cicero“, Institutionen vom HAU über die Kunst-Werke bis zum ZKM in Karlsruhe, die Bundeszentrale für politische Bildung, die Bundeskulturstiftung, das Schauspiel Frankfurt und das Filmmuseum Wien werden am heutigen Freitag ihre Webseiten grün einfärben und über die Situation im Iran informieren.

Doch die Aussichten sind schlecht. „Jafars Situation ist viel schlimmer, als wir uns das vorstellen können“, sagt Rafi Pitts. Geradezu flehentlich habe ihn Panahi gebeten, dass die Welt nicht nachlasse in ihren Protestaktivitäten. Genaueres über die Gespräche möchte Pitts, der mit Panahi eng befreundet ist, lieber nicht sagen – Panahi ist es untersagt, mit ausländischen Medien zu sprechen. Doch dass der internationale Protest Wirkung zeige, davon ist Pitts ebenso überzeugt wie der in Köln lebende Regisseur Ali Samadi Ahadi, der zuletzt mit „The Green Wave“ einen eindrucksvollen Film über die Demonstrationen rund um die iranischen Wahlen gedreht hat. Immerhin wird Panahis Freilassung im Mai 2010 auch mit den vorangegangenen Protestaktionen in Cannes erklärt, wo Panahi ebenfalls in der Jury hätte sitzen sollen. Das Bild von Juliette Binoche, die weinend ein Schild mit Panahis Namen in die Kamera hielt, ging um die Welt. Auch das Protestschreiben der Berlinale gegen Panahis Verurteilung zeigte offenbar Wirkung: Einen Tag später erklärte Esfandiar Rahim Maschaei, Berater des iranischen Präsidenten, er halte das Urteil für überzogen.

Rafi Pitts und andere Beobachter halten das für ein Täuschungsmanöver. Der Revolutionstag solle ohne größere Proteste verstreichen, danach werde schon wieder Ruhe einkehren, so der vermutete Plan der Machthaber. Doch selbst im Iran steht die Filmszene hinter Panahi, berichtet Pitts. Beim Internationalen Fajr-Filmfestival soeben in Teheran sollte der Regisseur Massoud Kimiai am Eröffnungsabend für sein Lebenswerk geehrt werden und plädierte auf der Bühne stattdessen für Panahis Freispruch. Das Publikum stand auf und applaudierte. Ausländische Berichterstatter und Kollegen waren von den iranischen Filmleuten gebeten worden, dem Festival aus Protest fernzubleiben. „Das ist ein enormes Opfer“, sagt Rafi Pitts. „Das ist, als ob man dem eigenen Film eine Existenz außerhalb des Landes verweigert.“ Acht iranische Regisseure hatten ihre Filme als Zeichen des Protests aus dem Wettbewerb zurückgezogen.

Welche Folgen der Einsatz für Panahi für die eigene Arbeit haben kann, musste zuletzt Asghar Farhadi erfahren. Der Regisseur, der 2009 mit „Elly“ im Berlinale-Wettbewerb vertreten war, hatte sich auf einem Filmfestival in Teheran öffentlich für den Kollegen ausgesprochen und die Isolation von im Exil lebenden Künstlern wie Mohsen Makhmalbaf beklagt. Daraufhin war ihm die Drehgenehmigung für seinen neuen Film „Nader and Semin, A Separation“ verweigert worden. Erst als sich Farhadi öffentlich entschuldigte, wurde ihm die Drehgenehmigung erteilt. „Nader und Semin“, eine Scheidungs- und Familiengeschichte, läuft nun im Wettbewerb der Berlinale.

Auch die in Europa lebenden Regisseure Pitts und Samadi Ahadi wissen um das Risiko, das sie mit ihren Aktivitäten für Panahi eingehen: „Wir können nichts tun, als das, was wir können: Filme machen“, sagt Ali Samadi Ahadi, der seine Familie in Tabris seit 2008 nicht mehr gesehen hat und der nach „The Green Wave“ auch nicht mehr in den Iran reisen kann: „Ich hätte nicht mehr in den Spiegel sehen können, wenn ich zu dem Vorgehen gegen Panahi geschwiegen hätte.“

Gestern bei der Vorstellung der Berlinale-Jury blieb Jafar Panahis Stuhl neben Jury-Präsidentin Isabella Riossellini leer.

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