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© AFP

Berlinale: Wer ist Werner Herzog?

Als Regisseur liebt er das Abenteuer, laut „Time Magazine“ ist er einer der hundert einflussreichsten Menschen der Welt – und in diesem Jahr Präsident der Berlinale-Jury Wer ist Werner Herzog?

WARUM WURDE ER JURYVORSITZENDER?

Weil er ein Star ist – im Ausland. Und weil er eine Legende ist – hier in Deutschland. Immerhin: Der Mann, der 2009 beim Filmfest in Venedig als Erster mit gleich zwei Filmen im Wettbewerb antrat, der mit schöner Beharrlichkeit fast jedes Jahr einen Film dreht, manchmal auch zwei, dazu Bücher schreibt und Opern inszeniert und der vom „Time Magazine“ 2009 zu den hundert einflussreichsten Menschen weltweit gezählt wurde – seine Filme fanden in Deutschland zuletzt nicht mehr den Weg ins Kino, sondern landeten gleich im DVD-Regal, Abteilung Special Interest.

Der bekennende Bayer, der über seinen neuesten Film „Bad Lieutenant“, gedreht in New Orleans, sagt, selbst der sei eigentlich ein bayerischer Film – dieser Regisseur gilt hierzulande als Exot. Für Deutschland hat er sich in den vergangenen Jahren kaum interessiert, auch für den deutschen Film nicht, von dem er in den USA, wo er seit 1996 lebt, ohnehin nicht allzu viel mitbekommt. Vor lauter eigenen Dreharbeiten kommt er selten ins Kino, sagt er selbst, er vermisst auch nicht viel. Und doch ist er ein Glücksfall für einen Jurypräsidenten – einer der eigenwilligsten Filmregisseure, die wir haben.

WAS HAT IHN BERÜHMT GEMACHT?

Vieles. Vor allem die Legenden. Zu denen er selbst kräftig beigetragen hat. Er erzählt sie gern, mit seiner sanften, singenden Schamanenstimme. Wie er mit dem amerikanischen Dokumentarfilmer Errol Morris gewettet habe, dass der nie einen Film zuwege bringen würde, und, als er die Wette verloren hatte, verabredungsgemäß seinen Schuh verspeist hat, fünf Stunden hat er ihn gekocht und dann vor Publikum aufgegessen, bis auf die Sohle – „Ich esse doch auch keine Knochen“. Oder wie er 2006 während eines Interviews in Los Angeles angeschossen wurde, weil ein Verrückter von seinem Balkon aus mit dem Luftgewehr herumgeballert hat, und er, Herzog, habe einfach weitergeredet und erst später gemerkt, dass er tatsächlich verletzt worden war.

Doch am berühmtesten sind die Geschichten vom „liebsten Feind“, seinem Hauptdarsteller Klaus Kinski, mit dem er sich oscarwürdige Schaukämpfe lieferte, bei den Dreharbeiten zu „Aguirre “ 1972, zu „Fitzcarraldo“ oder „Cobra Verde“. Wie Kinski Herzog als „Zwergenregisseur“ beschimpft habe – ein früher Herzog-Film hieß „Auch Zwerge haben klein angefangen“. Wie er, Herzog, Kinski dann mit dem Gewehr bedroht habe, als der das Set von „Aguirre“ vor Drehschluss verlassen wollte. Wie die peruanischen Indianer, Statisten, ihm angeboten hätten, Kinski zu töten. Dabei hätten sie doch viel mehr Angst vor ihm, dem Regisseur, gehabt, weil er so still, so gefährlich still geblieben ist.

WAS MACHT ER HEUTE?

Zuletzt hat Werner Herzog eine Filmschule in Los Angeles gegründet. Er selbst hat aber nie eine besucht, sondern sich das Filmen selbst beigebracht – mit einem Lexikon und geklauter Kamera, und das Geld für seinen ersten Film hat er als Schweißer verdient. Kein Wunder also, dass in der „Rogue Film School“, deren erste Seminare im Januar stattfanden, nicht nach Lehrbuch unterrichtet wird. Es sei keine Schule für schwache Nerven, ließ Herzog vorab verkünden, sondern für Menschen, die zu Fuß gewandert sind, die in Sex-Clubs gearbeitet haben oder als Aufseher im Irrenhaus und die lernen wollen, wie man Schlösser aufbricht oder Drehgenehmigungen in fremden Ländern fälscht. Als Lehrmaterial dienen Vergils „Georgica“, Hemingways Afrika-Novelle „Short Happy Life of Francis Macomber“ und der germanische Epos Edda, kündigt er auf seiner Homepage an. „Kurz gesagt: Es ist eine Schule für die, die einen Sinn für Poesie haben. Für Pilger. Für solche, die vierjährigen Kindern Geschichten erzählen können und dabei deren Aufmerksamkeit aufrechterhalten. Für die, in denen noch Feuer brennt. Für Menschen mit einem Traum.“ Es ist eine Schule, wie er sie selbst gern besucht hätte.

WAS VERBINDET IHN MIT BERLIN?

Wohlgefühlt hat er sich hier nie, der Bayer, der die Preußen hasst. Und der seine Haltung zu Deutschland mit der eines Schotten zu Großbritannien vergleicht. Und doch hat Berlin, hat vor allem die Berlinale Herzog groß gemacht, 1968, als sein Debütfilm „Lebenszeichen“ den Silbernen Bären für den besten Erstlingsfilm erhielt. Herzog selbst, ganz Rebell der 68er-Generation, kündigte auf dem Festival an, dass ihn das Trara auf dem Roten Teppich nur nerve. Er mietete deshalb in Neukölln ein Kino an, um dort Wettbewerbsfilme kostenlos zu zeigen, für die, die sonst nie ins Kino gehen.

Noch einmal, 1979, nimmt er mit „Nosferatu“, erneut mit Kinski, am Festival teil. Das war das Jahr, als das Festival sich über Michael Ciminos Vietnam-Film „Deer Hunter“ zerstritt. Es gewinnt Peter Lilienthals „David“. Werner Herzogs letzter Berlinale-Auftritt war 1992, als er seinen Kuwait-Film „Lektionen in Finsternis“ zeigte und dafür vom Publikum wild beschimpft, ja sogar angespuckt wurde, wegen angeblicher Ästhetisierung des Golfkriegs. „Ein Erlebnis, das ich nicht missen will“, sagt Herzog heute.

WAS IST ER FÜR EIN TYP?

Der Wolf hat Kreide gefressen. Werner Herzog, der Berserker, der Wahnsinnige, das Enfant terrible des deutschen Films, ist im Gespräch der freundlichste Mensch der Welt. Entspannt sitzt er auf der Terrasse am Lido, während des Filmfestivals in Venedig, hinter ihm das Meer, vor ihm das Glas mit Wasser, und beantwortet geduldig die immergleichen Fragen zu Kinski, zu Deutschland, zu seinen Filmen. Doch der freundliche Gesprächspartner ist nur Tarnung. Nicht im Gespräch, in seiner Arbeit ist der wahre Herzog zu finden. „Was ich bin, sind meine Filme“, hat er einmal gesagt, und so ähnelt er seinen Filmhelden: Sweeney Fitzgerald alias Fitzcarraldo, der verrückte Unternehmer, der ein Schiff über den Berg schaffen lässt und vom Opernhaus im Dschungel träumt. Dieter Dengler, der Deutsche, der als US-Pilot in Vietnam abgeschossen, gefangen genommen und gefoltert wird und barfuß quer durch den Dschungel flieht, monatelang – dessen Geschichte hat er in „Rescue Dawn“ verfilmt. Kaspar Hauser, das Kind, das jenseits von jeder Zivilisation aufgewachsen ist. Oder auch der „Grizzly-Man“ Timothy Treadwell, der in Alaska die Bären schützen will und am Ende von ihnen gefressen wird.

Werner Herzog, so entspannt er inzwischen mit seiner Frau Lena in einer Villa in den Hollywood Hills lebt, ist im Herzen das Kind aus den Bergen geblieben, der Einzelgänger, der Rebell. Der manische Fußgänger, der schon als 14-Jähriger nach Albanien gewandert ist und später einmal von München aus zu Fuß nach Paris, zu der erkrankten Filmhistorikerin Lotte Eisner, Ende November, in Regen und Schnee – daraus ist sein wunderbarer Tagebuchbericht „Vom Gehen im Eis“ geworden. Es zog ihn immer wieder in alle Welt, nach Peru und an den Amazonas, in die Antarktis oder nach Alaska. Film und Wirklichkeit, Dokumentation und Fiktion hält er ungern auseinander, im Dienste einer höheren Wahrheit, die er „ekstatische Wahrheit“ nennt.

Sollte Werner Herzog einmal der Stoff ausgehen – was nicht passieren wird, er hat noch über hundert Ideen, sagt er, und die Filmstoffe kriechen in sein Leben wie die Einbrecher ins Haus –, aber wenn doch, dann kann er getrost sein eigenes Leben verfilmen. Und versprochen: Bären kommen bestimmt drin vor.

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