Graphic Novel: Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?
„Kafka für Afrikaner“, das semi-autobiografische Debüt der flämischen Autorin Judith Vanistendael, ist eine Liebesgeschichte im Schatten des europäischen Asylrechts.
„Doch nicht etwas ein Türke? Oder ein Marokkaner?“ – Schlimmer: es ist ein Asylbewerber aus Togo, in den sich die junge Belgierin Sofie verliebt hat. Und die schockierte Reaktion der sich durchaus zur aufgeklärten, weltoffenen Mittelschicht zählenden Eltern ist nur das erste Problem, das diese Beziehung mit sich bringt.
Schon bald bekommen Liebe und Leidenschaft unangenehme Gesellschaft von amtlichen Schreiben, Verwaltungsfragen und Formularen. Das Asylrecht erscheint in der Erzählung „Kafka für Afrikaner“ als ein undurchdringlicher Dschungel, vor dem der Flüchtling Abou, Sofie und deren teilnahmsvolle Eltern ein ums andere Mal kapitulieren müssen.
Das Happy End ist nur vorläufig
Dass in einer Heirat die einzig sichere Möglichkeit liegt, die drohende Abschiebung Abous nach Togo und die ihn dort erwartenden Repressalien zu vermeiden, ist bei aller Liebe für keinen der Beteiligten leicht zu schlucken. Dennoch wenden sie die alternativlose Lage in einen Grund zum Feiern. Und so schließt der erste Teil der Geschichte tatsächlich mit einem vorläufigen Happy End.
Dass es damit nicht getan ist, damit befasst sich die zweite Hälfte. Vanistendaels Semi-Alter Ego Sofie blickt auf ihre Liebe zurück, auf ihre Faszination für das Fremde und Andere, und auf die Probleme, die Abous traumatische Geschichte von politischer Verfolgung und Flucht mit sich bringt. Mit ein bisschen Wehmut, aber ohne Bitterkeit erzählt sie davon, dass nicht alles so gekommen ist wie erhofft; dass Unterschiede und psychische Belastungen zu groß werden können, und das Verständnis nicht immer reicht.
Es wird viel gesprochen in diesem Band, man diskutiert und informiert sich, spricht miteinander und lernt die jeweiligen Eigenheiten des Anderen kennen. Einzig für die überwältigenden Gefühle der Leidenschaft und der Angst verzichtet die Autorin auf Worte, und nur hier lösen sich die sonst klar strukturierten Panels und die Konturen der einfachen Zeichnungen auf.
„Mannomann, waren wir naiv“
Was man der Erzählung vorhalten kann ist allzu milde Selbstkritik im Hinblick auf die Bequemlichkeiten der bürgerlichen Mittelschicht. Man kann sich deutlich vielfältigere und subtilere Formen der Diskriminierung und Voreingenommenheit vorstellen als die wenigen, etwas plumpen Beispiele. Dass Abou nicht wirklich Kontur bekommt, hat wohl dieselbe Ursache: Die Perspektive bleibt westeuropäisch – mitfühlend, interessiert, auch moralisch, aber ganz in der eigenen Normalität verhaftet. „Mannomann, waren wir naiv... Wir wussten wirklich nichts über diese Schwarzen“, reflektiert Sofie einmal – und letztlich bleibt es auch mehr oder weniger dabei.
Aber vielleicht ist das nicht einmal das Wichtigste – vielleicht müssen es auch nicht immer die Vorbehalte der Gesellschaft gegenüber dem schwarzen Mann sein. Vanistendael zielt auf die systemischen Fehler im Asylrecht, auf die europäische Angst um den eigenen Wohlstand und das damit einhergehende Versagen bei der Erfüllung der eigenen Ansprüche. Die Kritik an der Abschottungspolitik der Festung Europa wird durch den angehängten Überblick über das Asylverfahren in Belgien und – für die deutsche Ausgabe ergänzt – Deutschland untermauert.
Wenn das ihr Anliegen ist, wenn also der Flüchtling Abou mehr als Beispiel dient denn als greifbare Figur, dann ist die Botschaft angekommen. Es geht nicht nur um eine interkulturelle Liebe, es geht auch um Verantwortung für Menschenleben. Und so gelingt Judith Vanistendael das Kunststück, mit Witz und Leichtigkeit einen persönlichen Zugang zu einem hochpolitischen und drängenden Thema zu schaffen.
Judith Vanistendael: Kafka für Afrikaner – Sofie und der schwarze Mann, aus dem flämischen Niederländisch von Andrea Kluitmann, Reprodukt, 152 Seiten, 20 Euro. Leseprobe hier.
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