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Die Schwedische Akademie und namenhafte Literaturkritiker verteidigen den Autor
© AFP/Alain Jocard

Debatte um Peter Handke: Wer Handke Kriegstreiber nennt, hat ihn nicht richtig gelesen

Man kann Peter Handke moralische Blindheit vorwerfen. Doch das Werk des Nobelpreisträgers ist geprägt von Idealen des Friedens. Ein Kommentar.

Als Peter Handke kürzlich mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, sorgte dies wegen Einstellungen des Autors zum Balkan-Konflikt für Diskussionen. War die Entscheidung der Schwedischen Akademie korrekt? Dazu unser Pro und Contra. Den Contra-Kommentar von Caroline Fetscher finden Sie hier.

In einer Szene von Peter Handkes Film „Die Abwesenheit“ (1992) fahren Bruno Ganz in der Rolle eines alten Spielers und Sophie Semin als junge Frau in einem Kleinbus durch die französische Provence. Ein schwarzer Soldat (Alex Descas) hat sich seiner Uniform entledigt und rezitiert ein seltsames Mantra. Der neben ihm sitzenden Muslimin erklärt er, dass dies die Namen dreier hingerichteter chinesischer Menschenrechtler seien. Sie nickt: „Ich weiß.“

Wie kann man in Kenntnis solcher Momente, die von einem tiefen Sinn für die Weltlichkeit menschlichen Leids zeugen, auf die Idee kommen, er sei von Grund auf ein Immoralist? Handke, das zeigt sein über ein halbes Jahrhundert gewachsenes Werk, ist nur ein Zweifler der besonderen Art. Schreiben schließt bei ihm das Befragen der eigenen Wahrnehmung ein.

So ist sein liebstes Satzzeichen, gerade in den Jugoslawien-Büchern, nicht von ungefähr das Fragezeichen. Für ihn ist es das geeignete Mittel, vermeintlich Eindeutiges in seiner Ambivalenz zu erkennen. Mit anderen Worten: Er verfährt auch da, wo er poetische Gegenwelten evoziert, statt historische Fakten zu benennen, nicht eigentlich ideologisch – ihm misslingt höchstens der Versuch, einer in seinen Augen einseitigen Medienberichterstattung stichhaltig zu widersprechen.

Zur Kollision von Friedenssehnsucht und Krieg – oder allgemeiner: von Poesie und Politik – musste es in dem Moment kommen, als die blutige Wirklichkeit seine poetische Vision vom Vielvölkerstaat Jugoslawien widerlegte und er sich, um die Utopie zu retten, auf die Seite des Tyrannen Milošević  schlug. Er suchte jemanden, der ihm den Fortbestand seiner Fiktion versprach, fand aber nur den denkbar Falschen. Dieses moralisch blinde Verhalten wird nicht dadurch abgemildert, dass die Literaturgeschichte Dutzende ähnlicher Beispiele kennt.

Gegen Kriegstreiber und Tyrannen

Man darf es ihm ruhig vorwerfen, es wird jedoch nicht von der moralischen Dimension seines Werks gedeckt. Im Gegenteil, dieses Werk widerlegt sein eigenes Fehlverhalten, indem es jede Art von Kriegstreiberei und Tyrannentum ablehnt und stattdessen ein „Epos des Friedens“ fordert. „Ein Epos des Friedens – mein Ideal – ist nur mit dem persönlichen Einsatz zu schreiben; beim Epos des Krieges genügt schon der Krieg“, schrieb er 1982 in „Die Geschichte des Bleistifts“.

Peter Handke, Jahrgang 1942, ist ein Kriegskind und weiß, was Not und Mangel bedeuten, deren Glorifizierung ihm seine Gegner vorwerfen. Sein zwischen Autobiografie und ihrer Fiktionalisierung changierendes Werk beginnt – im 1966 erschienenen Roman „Die Hornissen“ – mit einem aus kindlicher Perspektive erlebten Bomberangriff. Ein Trauma, das sich für Handke 1999 in „Unter Tränen fragend“ mit der Nato-Bombardierung Belgrads wiederholt.

Die Lebensläufe seiner beiden slowenischen Onkel, die gegen ihren Willen in die Wehrmacht eingezogen und Hitlers Expansionskriegen geopfert wurden, ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Werk, zuletzt im Stück „Immer noch Sturm“ (2010), das den Kärntner Partisanenwiderstand thematisiert. Handkes Idyllen, sollten es denn welche sein, sind brüchig und von Gewalt bedroht. Was er gegen die Ohnmacht der zeitverhafteten Geschichte anführt, sind immer wieder Geschichten, die eine andere Zeit imaginieren, in der die Wahrnehmung für Momente in der Zeit der Steine, der Bäume, der Vögel oder des Lichts aufgeht.

Widersprüche der Existenz

Sein „Epos des Friedens“ steht in einer Tradition poetischer Gegenentwürfe, die sich von der Romantik über Robert Musil bis zu Botho Strauß zieht. Seine ausgedehnten Wanderungen durch Europas Karstregionen lassen ihn aus der ökologischen Perspektive von heute geradezu als Vorläufer des derzeit so erfolgreichen Nature Writing erscheinen.

„Noch einmal für Thukydides“, im Jahr 2007 herausgekommen, lautet der Titel von Peter Handkes schönstem Buch. In dichten Miniaturen lässt er noch vor Ausbruch des Kriegs in Jugoslawien Natur und Geschichtsschreibung aufeinanderprallen. Natur verwandelt sich in Geschichte: Nicht vom Krieg, sondern von unscheinbaren Ereignissen eines Tages wird erzählt. Das hat seine Grenzen.

Im „Versuch des Exorzismus der einen Geschichte durch eine andere“ steht die friedliche Stimmung eines Sommertags am Bahnhof von Lyon unversöhnt gegen die Gräuel, die von Klaus Barbies Gestapozentrale im Hotel Terminus verübt wurden: „Auf einer Schiene landete ein kleiner blauer Falter, blinkend in der Sonne, und drehte sich im Halbkreis, wie bewegt von der Hitze, und die Kinder von Izieu schrien zum Himmel, fast ein halbes Jahrhundert nach ihrem Abtransport, jetzt erst recht.“

Die Widersprüche unserer Existenz als geschichtliche und politische Wesen hat Handke nicht zu verantworten, aber er hat sie – mal mehr, mal weniger geglückt – zur Sprache gebracht.

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