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Osman Kavala, Vorsitzender des Kulturinstituts Anadolu Kültür, spricht am 11.12.2014 auf einer Pressekonferenz im EU-Parlament in Brüssel.
© Wiktor Dabkowski/dpa

Kulturmäzen und Unternehmer Osman Kavala in Istanbul verhaftet: Wer die Vielfalt pflegt

Nach einem Treffen mit dem Goethe-Institut: Die türkische Polizei nimmt einen führenden Vertreter der Zivilgesellschaft fest.

Die türkische Polizei hat einen führenden Vertreter der Zivilgesellschaft des Landes festgenommen. Der Unternehmer und Kulturmäzen Osman Kavala wurde nach der Rückkehr von einer Inlandsreise mit Mitarbeitern des deutschen Goethe-Instituts von Polizisten am Flughafen von Istanbul noch im Flugzeug abgeführt. Die Vorwürfe gegen den 60-Jährigen sind nicht bekannt: Das Verfahren gilt als Verschlusssache. Presseberichte legen nahe, dass Osman Kavala im Zusammenhang mit dem Putschversuch des vergangenen Jahres verhört werden soll. Menschenrechtler und EU-Vertreter zeigten sich entsetzt.

Laut Medienberichten wird Kavala gegenwärtig von der Istanbuler Antiterror-Polizei verhört. Erst nach sieben Tagen hat er Anspruch auf Kontakt mit einem Anwalt. Die Polizei durchsuchte derweil auch Kavalas Stiftung in Istanbul und beschlagnahmte Computer. Sein Anwalt Ferat Cagil sagte der Nachrichtenplattform T24, dass er selbst als Rechtsbeistand wegen der Geheimhaltung nichts über die Vorwürfe gegen seinen Mandanten in Erfahrung habe bringen können.

Seit dem Umsturzversuch vom 15. Juli 2016 rollt in der Türkei eine Festnahmewelle gegen mutmaßliche Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan in allen Teilen der türkischen Gesellschaft. Neben Anhängern der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, der von Ankara für den Putsch verantwortlich gemacht wird, richtet sich der Druck auch gegen Oppositionspolitiker, Journalisten, Akademiker und Menschenrechtler. Mehr als 150 000 Menschen wurden bisher festgenommen, mehr als 50 000 sitzen in Untersuchungshaft.

Mit der Festnahme Kavalas erreicht die Verfolgung angeblicher Regierungsgegner nun eine neue Dimension. Der reiche Unternehmer führt die Stiftung für anatolische Kultur, die sich der kulturellen Vielfalt des Landes verschrieben hat und diese vor dem Vergessen und der Zerstörung bewahren will. Es geht dabei um zum Teil uralte einheimische Kulturen, die von der türkischen Republik jahrzehntelang vernachlässigt, geleugnet oder unterdrückt wurden – von den Armeniern über die Kurden bis zu den Jesiden. Mit Ausstellungen, Filmen, Konzerten, Werkstätten und weiteren Kulturprojekten bemüht sich die Stiftung, das verschüttete Erbe ans Tageslicht zu holen, bevor es zu spät ist.

Osman Kavala ist Jahren der Regierung Erdogans ein Dorn im Auge

Durch sein besonderes Engagement befindet sich der Unternehmer und Kulturmäzen bereits seit Jahren in einem Spannungsverhältnis zur türkischen Staatsideologie, die das homogene Einheitsvolk propagiert. Weil er mit dem amerikanischen Philanthropen George Soros und mit deutschen Stiftungen kooperiert, wird Kavala in der türkischen Öffentlichkeit schon seit Langem unterstellt, im Auftrag eines feindlichen Auslands die Einheit der Türkei untergraben zu wollen. Diese Vorwürfe dürften Hintergrund seiner Inhaftierung sein.

Kavala wurde am Istanbuler Flughafen nach der Rückkehr von Terminen mit Vertretern des Goethe-Instituts in der südostanatolischen Stadt Gaziantep festgenommen, wo er mit dem deutsche Kultur-Institut gemeinsame Projekte betreut. Mit seiner Kooperation mit dem Goethe-Institut aber hat die Festnahme offenbar nichts zu tun. Die regierungstreue Tageszeitung „Sabah“ meldete unterdessen unter Berufung auf das Innenministerium, bei den Verhören gehe es um diverse Treffen, die vor dem Putschversuch des vergangenen Jahres stattgefunden hätten. In den vergangenen Jahren war Kavala außerdem vorgehalten worden, kurdische Separatisten und die Gezi-Proteste unterstützt zu haben. In sozialen Medien begrüßten Erdogan-Anhänger die Festnahme des Unternehmers deshalb als längst überfällig.

Dagegen forderten die Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Amnesty International die Freilassung des Sechzigjährigen. Kati Piri, die Türkei-Berichterstatterin des EU-Parlamentes, bezeichnete die Festnahme auf Twitter als „sehr verstörend“. Sie will nach eigener Aussage den Fall in der europäischen Volksvertretung zur Sprache bringen.

Knapp eine Woche vor Beginn des Prozesses gegen den Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner und andere Menschenrechtsaktivisten am 25. Oktober in Istanbul ist Kavalas Festnahme ein Zeichen dafür, dass die Türkei an ihrer harten Haltung gegenüber Kritikern festhält.

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