Kultur: Wenn wilder Wind weht
Albern, prollig, großartig: Iron Maidens Auftritt in Berlin
„Die Zeit von Iron Maiden ist definitiv vorbei“, wusste anlässlich einer Diskussion über ein Comeback des Opel Manta die Online-Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“. Von wegen. Sogar Lady Gaga ist ein glühender Fan der britischen Metal-Legende. Beim Konzert in Florida hat sie die Musiker von Iron Maiden nicht nur backstage getroffen, sondern bügelte auch deren Bühnen-Outfits. Am liebsten würde sie einen Song mit ihren erklärten Vorbildern aufnehmen, deren Titel sie früher nachgespielt hat: „Bevor mich irgendjemand kannte, war ich ständig nackt auf Acid mit meinen Freunden unterwegs. Ich coverte ,Run to the Hills‘ und sprang während der Performance mit brennendem Haarspray auf der Bühne herum. Das war verrückt.“
Verrückt ist auch die Meute, die sich im Bierdunst der ausverkauften O2- Arena versammelt hat, die Blicke verzückt zur Bühne gerichtet, die Ekstase erwartend: Kuttenträger, Schnauzbartfetischisten, trunkene Altfans und Metal-Soziologen mit Nietengürteln, jede Menge Tattoos und T-Shirts mit schleimigen Monstern drauf oder Sprüchen wie „HEAVY as fuck and METAL to the bone“. Das Licht verlöscht, der Vorhang fällt, Nebel wallt, Blitze zucken und alle werden gaga, als die Band die Bühne besteigt, angeführt vom Bassisten und Gründungsmitglied Steve Harris. Es geht los mit „Satellite 15 ... the Final Frontier“, dem Titelstück des aktuellen Albums, das keine neuen Maßstäbe setzt, aber als charmante, vollkommen außerhalb der Zeit liegende Metalmottenkiste richtig dufte ist. Dabei ist es ganz egal, ob Iron Maiden auf die Gitarren dreschen oder sanft daherklampfen wie beim Intro von „The Talisman“. Hauptsache, sie sprühen diese faulen, fiesen Funken, auf die es ankommt und die für die Gänsehaut sorgen. Die alte Heulboje Bruce Dickinson sprintet durch die spacige Satellitenabsturz-Kulisse, als gäbe es kein Morgen. Der 52-jährige Sänger ist topfit, was nicht weiter erstaunt. Der Mann ist ausgebildeter Pilot, der auf Tourneen die bandeigene Boeing 757 namens „Ed Force One“ fliegt und schon gestrandete Landsleute aus Ägypten gerettet hat. Bei „The Trooper“ wird der Superheldentenor zum Union-Jack- schwingenden Zinnsoldaten. In scharfer Konkurrenz zu Dickinsons Kreischen und Jaulen stehen die Gitarrenläufe von Adrian Smith und Dave Murray, die im Lauf der Jahre eine erstaunliche Qualität entwickelt haben (Pathos! Wahn!) und die für die zweistimmig galoppierenden Passagen verantwortlich sind. Der dritte Gitarrist Janick Gers setzt sich dagegen vor allem mit breitbeinigen Posen, gewagten Pirouetten und Kunststückchen wie dem Gitarren-Hüftwirbler in Szene.
Bewegend ist auch das zittrige Balladensentiment von „When the wild wind blows“, der alte Gänsehautexistenzialismus kommt hier voll zur Geltung. Es folgen die Klopper, die tief in die Körper der Fangemeinde eingedrungen sind und sich dort abgelagert haben: „Fear of the Dark“, „Iron Maiden“, „The Number of the Beast“, „Hallowed Be Thy Name“ und „Running Free“. Da kommt Freude auf, die noch größer wird, als es am Ende des zweistündigen Auftritts den obligatorischen Höhepunkt eines jeden Iron-Maiden-Konzerts gibt: Das beliebte Maskottchen Eddie („Eddiiiiiie!!!") taucht hinter dem Schlagzeug des großartigen Nicko McBrain auf, als riesiges Geisterbahn-Wackelkopfmonster mit mahlenden Kiefern und rot leuchtenden Augen. Einmal mehr zeigt sich dabei, was die aus der britischen Arbeiterklasse der siebziger Jahre stammende Band stets ausgezeichnet hat: Die erhabene Sinnlosigkeit, die prolligen Gesten, das alberne Gehabe, das Ausleben des hart erarbeiteten Feierabends. In diesem Sinne: Arbeitsplatz gesichert. Publikum begeistert.
Volker Lüke
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