Science-Fiction-Comic „Lescheks Flug“: Wenn Roboter Fernweh haben
Mit seiner utopischen Fabel „Lescheks Flug“ präsentiert sich der Comic-Debütant Sebastian Stamm als talentierter Zeichner, der von Klassikern wie Stanslaw Lem ebenso inspiriert ist wie von Videospielen.
Die Werke des 2006 verstorbenen polnischen Science Fiction-Autors Stanislaw Lem erfahren gegenwärtig eine Art Revival: So basiert Ari Folmans aktueller Film „Der Kongress“ auf Lems Roman „Der futurologische Kongress“. Und Jonny Negron setzte dessen Buch „Transfer“ treffenderweise gleich unter dem Titel „Adapt“ um - als mehrteiligen Comic im übergroßen Zeitungsformat (zumindest in der Printversion).
Auch „Lescheks Flug“, das Comicdebüt des hauptsächlich als Videospiel-Gestalters/Entwicklers für die von ihm mitbegründeten Black Pants Studios tätigen Sebastian Stamm, weist Bezüge zum Werk des mit Phantastik und Futurologie befassten Lem auf. Der war übrigens von der Etikettierung als Science-Fiction-Schriftsteller nie sehr angetan. Stamms utopische Fabel vom Roboter, der samt Bauernjungen und klapprigem Raumschiff von einem maroden Fabrikplaneten flieht, erinnert von den Figuren und der Handlungskulisse entfernt an Lems 1964 verfasste „Robotermärchen“.
Aber bevor man überhaupt mit der Lektüre beginnt, wird man angenehm von der zweifachen Deklarierung des Werkes als Comic überrascht. Einmal mittels eines Signets, welches prominent auf der Titelseite als - auch das noch - „Black Pants Adventure Comic“ platziert ist, und ein weiteres Mal im Text auf der Buchrückseite, wo sich obendrein das Wort 'Action' findet. Eine Thematik also, die irgendwo zwischen Independent und Genre einzuordnen und hierzulande sträflich unterrepräsentiert ist.
Ausbruch aus eingefahrenen Strukturen
Doch weiter im Text, der hier im Lettering sowie auffälligerweise in Englisch gehaltenen Soundwords durch die Rotopolpress-Mitbegründer Lisa Röper und Michael Meier daherkommt. Eine Erklärung dafür könnte die von Stamm kürzlich angekündigte Ausgabe für den englischsprachigen Markt sein. Die Sprechblaseninhalte versuchen sich stellenweise im Wortersatz mittels Bildsymbolik, was eine gewisse Leseerfahrung von Comics voraussetzt. Dieses Verfahrensweise sowie lautmalerische Details in den Hintergründen lassen an eine milde Variante von Brandon Grahams „Multiple Warheads“ und ihre galoppierenden piktogrammatikalischen Absurditäten (nebst ihrem skurrilen futuristischen Ambiente) denken. Das Artwork wird denn von Graham auch geschätzt, ist aber auch Ausdruck eines unkonventionellen Erzählens durch Bilder oder Wort-/Bildkombinationen. Zusätzlich unterfüttern sie subtil das Thema des Ausbruchs aus eingefahrenen Strukturen.
Zusammen mit seiner Freundin Julia Szabadics hat Stamm die dem schrottigen Ambiente angemessene düstere und vorwiegend in rostbraunen Tönen schwelgende Kolorierung besorgt. Hin und wieder wird diese von giftig leuchtenden Neonfarben, ergänzt um ein knalliges Space-Dog-Rot, aufgehellt. Vielleicht auch eine nette Reminiszenz des ehemaligen Studenten an die von ihm besuchte Kunsthochschule in Kassel, an der Space-Dog-Erfinder Hendrik Dorgathen eine Professur innehat. Außerdem ist „Lescheks Flug“ Sebastian Stamms Abschlussarbeit für seine Ausbildungsstätte.
Detailreichtum sowie der wilde Strich erinnern in der Mimik ihrer Figuren zuweilen an Paul Pope oder in ihrer Wimmeligkeit an die Brandon Graham-Kumpel James Stokoe und Farel Dalrymple. Zumindest was die Grafik betrifft, wird, trotz erahnbarer Referenzpunkte, ein künstlerisch sehr eigenständiges Ergebnis erreicht - ungebändigt setzt der hier zuweilen bewusst fahrig eingesetzte Strich die Figuren in turbulente Szenen. Mit Experimenten im Seitenlayout dagegen hat Sebastian Stamm nicht viel im Sinn: Die in klassischer Gitterstruktur befindlichen Panels sind nie rahmenlos oder ineinander überlappend und bis auf eine kreisrunde Ausnahme allesamt rechteckig. Wegen des unkonventionellen Striches, der passenden Farbgebung und der originellen Protagonisten stellt ein exzentrisches Seitenarrangement hier allerdings keine zwingende Notwendigkeit dar. Die genannten Elemente bewirken ausreichend visuelle Divergenz innerhalb der einzelnen Bildsequenzen.
Hoffen auf eine Fortsetzung
Dabei nimmt Stamm sich aber ebenso die Zeit, über mehrere Panels hinweg mit minimaler Veränderung und ohne jeglichen Text die Emotionen seines Roboterhelden, genannt Leschek, festzuhalten. Diese aus fünf kleineren Panels bestehende und strikt vertikal angelegte Sequenz wird von einem im Verhältnis dazu opulent erscheinenden Einzelpanel überthront. Zugleich werden in diesem noch einmal die Relationen von Wunsch und Wirkmacht auf das Schönste ausgelotet. Das hier in Abnutzung und somit geschichtsträchtiger Weise dargestellte Raumschiff, von der eine kombinierte Farbgebung aus matten und grellen Tönen erzählt, ist die Versinnbildlichung des von Träumen beherrschten und nach Freiheit dürstenden Leschek, der in den Niederungen monotoner Dienstverrichtung unterzugehen droht.
Auf Grund widriger Umstände ist der fernwehgeplagte Roboter nicht im Stande, selbst als Pilot tätig zu werden. Und so sucht er mittels Stellenanzeige nach einem geeigneten Helfer – aber bitte mit Eigenkapital, die kargen Ersparnisse der abenteuerlustigen Hauptfigur vermögen die anfallenden Kosten nicht abzudecken. Bis auf einen im agrikulturellen Bereich tätigen Jungen, Faarman, auch so ein doppelsinniger Wortwitz, der Trecker auf einer Fleischfarm steuert, meldet sich niemand. Den Farmerjungen treibt sowohl der Wunsch nach Anerkennung wie auch Erlebnishunger, allein, ihm fehlt es gleichermaßen an ausreichenden Rücklagen. Aus den Gemeinsamkeiten des nur scheinbar verschiedenen Paares und deren Träumen entwickelt sich der Plan zur nicht ganz legalen Beschaffung des benötigten – und das kann man hier wieder wörtlich nehmen - Startkapitals.
Das Vorstellungsgespräch in einer Spelunke gehört neben der Darstellung des von Leschek begehrten Raumfrachters sowie der Metamorphose Faarmans nach Einnahme der zur Steuerung des Vehikels nötigen Handbuchkapseln zu den Höhepunkten des Werkes. Dem Aussehen der liebevoll ausgearbeiteten Nebenfiguren merkt man Stamms Erfahrung im Charakterdesign an, einigen der sich nicht stetig im Focus der Erzählung befindlichen Protagonisten hätte etwas mehr biografischer Hintergrund jedoch gut getan. Wo im Videospiel Auslassungen zum Wohle der interaktiven Geschichtsentwicklung durchaus Sinn machen, gereicht diese Vorgehensweise der „nur“ zu rezipierenden Form zum Nachteil. „Lescheks Flug“ schlägt überdies einen Bogen zu „Tiny & Big“, dem prämierten Computerabenteuer aus der bereits erwähnten Black Pants-Produktion. Da der relativ konventionelle Plot nicht vollständig auserzählt wirkt, bleibt es dem Leser überlassen, auf eine wie auch immer geartete Fortsetzung zu hoffen.
Bezogen auf die eingangs angemerkte Nähe zu Stanislaw Lem stellt „Lescheks Flug“ also eher ein leichtes „Robotermärchen“ als ein tiefgründiges „Solaris“ dar. Ein weiterer Hinweis auf eine Teilverwandschaft zu Lems Werk ist die fast vollständige Abwesenheit positiv konnotierter weiblicher Identifikationsfiguren.
Doch trotz einiger Schwächen und dem Gefühl, manchmal eher Level innerhalb eines Videogames abzuarbeiten, ist das Können im Vermitteln von einzelnen Aspekten innerhalb seiner Erzählung bei Sebastian Stamm unübersehbar. Der Erzählrhythmus variiert gekonnt verschiedene Taktzahlen und beherrscht die Actionsequenz genauso souverän wie die Ruhe. Phantasie bei der Ausgestaltung des Handlungspersonals ist ebenfalls vorhanden, fehlt eigentlich nur eine wirklich packende Geschichte – aber Comicdeutschland leidet ja generell unter einem Autorenproblem. An talentierten Zeichnern mangelt es ihm jedenfalls nicht.
Sebastian Stamm: Lescheks Flug, Rotopolpress, 112 Seiten, 19 Euro, mehr dazu auf der Verlags-Website.
Oliver Ristau
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