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Cover des Romans "Ich in Gelb" von Olga Flor
© PROMO

Olga Flors Blog-Roman "Ich in gelb": Wenn nichts mehr geht, einkaufen geht immer

Austria’s Next Topmodel erobert die Literatur: Olga Flors Blog-Roman „Ich in Gelb“ erzählt von dem Leben einer Teenager-Modebloggerin in Wien.

"NextGirl“ nennt sich die 13-jährige Wienerin Alice W. in ihrem Modeblog. Dieser Name ist ganz offensichtlich Programm: Alice will stets das letzte Wort haben und sich neu erfinden: „Ich bin schließlich wer, die jüngste Bloggerin der Szene. Immer noch.“ Ständig ist sie in Sorge, dass sie nicht die Jüngste bleiben könnte. Das Bloggen reizt Alice als Ausdrucksform, in der man sich nicht festlegen muss.

Die 1968 geborene österreichische Schriftstellerin Olga Flor ist seit ihrem Debüt von 2002, der sarkastischen Unternehmer-Saga „Erlkönig“, durch kühne Erzählkonstruktionen und ebenso kühne Sprachbilder bekannt geworden. Bei der vorlauten Alice handelt es sich um ihre mit Abstand jüngste Protagonistin. Nicht von ungefähr erinnert der Name an Lewis Carrolls Kinderbuch-Klassiker „Alice im Wunderland“ und „Alice hinter den Spiegeln“, die mit der Umkehr von Räumen spielen. In dem Roman „Ich in Gelb“ geht es um die Umkehr der Zeitebenen, wobei die Autorin bewundert, „dass Carroll das geschrieben hat, lange bevor Quantenmechanik ein Thema war. Und dieser Begriff des ‚Durchtunnelns' an einen anderen Punkt des Raum-Zeit-Kontinuums, der bei ‚Alice in Wonderland' passiert, das fand ich interessant.

Olga Flor hat Physik studiert, das spürt man bei jedem ihrer so kühl wie raffiniert konstruierten Werke, so wie zum Beispiel bei der in Chicago spielenden „Macbeth“-Hommage „Die Königin ist tot“, die 2012 veröffentlicht wurde. Auch „Ich in Gelb“, ein Roman, der von dem Internetauftritt dasistkeinblog.com begleitet wird, stellt ein formales Wagnis dar: Die Abbildung eines Blogs, bei dem das Neueste zwangsläufig an oberster Stelle steht, in der statischen Form eines gedruckten Buches. Als typische Vertreterin ihrer egomanischen Generation plappert Alice munter drauf los, erzählt von ihren unzähligen Interessen bis zur selbstkreierten Hose aus Rollrasen: „Einkaufen. Wenn nichts mehr geht, einkaufen geht immer."

"Gelb ist schwierig"

Mit den Aussagen von Alice verschränkt ist ein zweiter, chronologisch aufgebauter Erzählstrang: die Kommentare des älteren Models Bianca, einer „anämischen Anemone“. Um eine hartnäckige Lebensmittelallergie loszuwerden, hat sich Bianca einen Bandwurm einpflanzen lassen. Nun wandert dieser auch nicht so angenehme Parasit durch ihren Körper. Dabei beult der Wurm seine geplagte Wirtin an den unterschiedlichsten Stellen aus, was wiederum das Interesse des Fotografen Josef weckt. Denn der Wurm symbolisiert den zum äußersten getriebenen Wandel der eigenen Erscheinung, ist somit topmodisch und Biancas gewinnbringende „Particularity“. Offenbar invadiert Austria’s Next Topmodel damit endgültig die Belletristik.

Olga Flors Recherchen führten sie in das Naturhistorische Museum in Wien, wo die Handlung in einer spektakulären Modeschau-Performance kulminiert. Das Buch zieren Schwarzweiß-Fotografien von naturkundlichen Exponaten wie in Alkohol eingelegten Medusen oder anderen Meerestieren. Plausibel demonstriert dieses – etwas schulbuchartig anmutende – Text-Bild-Verfahren eine Parallele zwischen der Sammelleidenschaft des 19. Jahrhunderts und dem Benennungs- und Verschriftlichungsdrang der Internet-Generation.

NextGirl verweist auf ihre Lieblingsfarbe Gelb, dazu zeigt sie eine rosa Medusa, die ebenso auf dem Umschlag prangt: „Gelb ist schwierig, da muss man gar nicht erst mit Judensternen und Maria Magdalenas kommen. Doch ja, immer auch: Brandmarkungsfarbe, was für ein Wort: Brandmarkierung. Auch wenn die selbst wohl eher selten in Gelb gehalten ist. Da denke ich mehr an Rotschwarz, verbranntes Fleisch eben. Brandmarkierung: Branding. Was für eine Evolution! Sehr strange.“

Hinter solchen Täuschungsmanövern wie den Internet-typischen „Red Herrings“ – man denke nur an den unlängst international ausgetragenen Streit um die Farbe eines Abendkleides – verbirgt sich für Olga Flor immer auch die „panische Angst vor der denkenden Frau“ (wofür die geköpfte Medusa steht), selbst wenn sie erst dreizehn Jahre alt ist: ein mit feministischen Postulaten überladener Teenager in Rollrasen-Hose.

Aber wer stellt hier wirklich unentwegt steile Thesen auf? Nichts Genaues weiß man nicht – darin liegt sowohl der Reiz dieses Textes als auch dessen grundsätzliche Problematik. Olga Flors ultramoderner Jungmädchen-Dialog – sind es überhaupt zwei, die da miteinander chatten? – sprüht vor apart kolorierten Einfällen in „abwartendem Grau“ oder „krankenhausgrün“. Als Romanganzes jedoch bleibt „Ich in Gelb“ zu amorph, zu undefiniert.

Olga Flor, Ich in Gelb. Roman, Verlag Jung und Jung, Salzburg 2015, 215 S. mit 42 Abb, 22 €.

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