Iranisches Drama „Yalda“: Wenn eine TV-Show über Leben und Tod entscheidet
In Massoud Bakhshis Film „Yalda“ wird das Schicksal eines verurteilten Mörders im TV verhandelt. Solche Shows wurden im Iran tatsächlich schon veranstaltet.
Tippen Sie die 1 oder die 2, die Abstimmung läuft über SMS. It’s showtime im Fernsehen am Abend von Yalda, dem persischen Feiertag zur Wintersonnenwende. 30 Millionen Iraner sitzen vor den Bildschirmen. Am Ende stimmen 14 Millionen mit Ja, so viele wie noch nie.
Aber es gibt in „Yalda“ keinen Schönheitswettbewerb zu gewinnen, keine Wette zu verlieren, es geht um Leben und Tod. Solche Shows wurden im iranischen Fernsehen tatsächlich schon veranstaltet. Vor der Kamera sitzen ein verurteilter Mörder und ein Familienmitglied des Opfers, das live eine Begnadigung aussprechen kann.
Die Scharia erlaubt das. Vergibt die Familie nicht, wird der Täter gehängt. Vergibt sie und die SMS-Zustimmung für den Delinquenten ist hoch, zahlen die TV-Sponsoren das sogenannte Blutgeld an die Opferfamilie.
Wie eine Discokugel strahlt der Milad Tower, der Fernsehturm von Teheran, in bunten Farben hoch über den Lichterschlangen der Autokolonnen. Glitzerstadt, ein Bild wie aus L.A. Die Kamera richtet den Fokus auf ein sirenenorgelndes Polizeiauto, es hält vor dem Sendehaus, uniformierte Männer führen die junge Maryam in Handschellen hinein.
Der Rest des dokumentarisch anmutenden, durchweg in elegantem Flow fotografierten Films von Massoud Bakhshi spielt im TV-Studio. Ein Mikrokosmos, in dem sich ein Gesellschaftsdrama entfaltet, mit Werbepausen, Song-Einlagen und einem hektisch wuselnden Fernsehteam.
Der Fall: Die Chauffeurstochter Maryam war in einer Zeitehe mit Nasser verheiratet, einem 42 Jahre älteren, reichen Unternehmer, dem Chef ihres Vaters. Zum Ehedeal gehörte, dass er sie nicht schwängern darf.
Als sie doch schwanger wird, drängte Nassers Tochter Mona zur Abtreibung, aber Maryam behält ihr Kind. Bei einem Streit mit Nasser kommt es zu einem tödlichen Sturz. Maryam wird als Mörderin verurteilt, ihr Sohn stirbt bei der Geburt. Seit 15 Monaten sitzt sie im Gefängnis.
In der Show wird sie von allen herumgeschubst, von ihrer Mutter, dem Produzenten, dem Moderator. Sie will endlich gehört werden, will ihre Geschichte erzählen, wird unruhig, verzweifelt, panisch – schlecht für die Show.
Nur Mona, der sie sich schwesterlich verbunden fühlt, kann ihr Leben retten. Doch Mona zögert, kommt zu spät, bleibt verschlossen, flüchtet, kehrt wieder zurück – auch die Fernsehleute werden immer nervöser.
„Yalda – Die Freude der Vergebung“, der Titel der TV-Show mag satirisch gewählt sein. Den Justizalltag und die Konflikte im Iran dürfte er aber kaum überspitzen. Alleine 2019 gab es der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights zufolge 374 solcher Begnadigungen durch Opferfamilien, wenn auch nicht vor laufenden Kameras.
Mindestens 280 Hinrichtungen wurden 2019 vollzogen, die Dunkelziffer ist hoch. Im Juli protestierten Millionen Iraner, darunter Oscar-Preisträger Asghar Farhadi, via Twitter gegen die Todesurteile für drei junge Iraner, die 2019 an Demonstrationen teilnahmen.
Der Film wirft ein Schlaglicht auf viele brisante Themen
Maryam (Sadaf Asgari) und Mona (Behnaz Jafari), das mittellose Mädchen und die Tochter aus reichem Hause: Massoud Bakhshi verhandelt in „Yalda“ – mit etwas zu vielen überraschenden Twists – brisante iranische Themen, etwa die Klassengesellschaft und das Patriarchat.
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Während der Show-Einspieler Maryam der Habgier bezichtigt, wird hinter den Kulissen deutlich, dass die wohlhabende Mona auf das Blutgeld aus ist und um ihr Erbe fürchtet. Und die bei Schiiten erlaubte Zeitehe gestattet Männern mehrere eheliche Verbindungen, sie wird nicht nur von Frauenrechtlerinnen kritisiert. Arglosigkeit, Rechtlosigkeit, die Macht des Geldes, das Verhältnis der Oberschicht zum Dienstpersonal, die Liaison von Justiz und Religion, auf all das wirft „Yalda“ ein Schlaglicht.
Dem Regisseur wird Vaterlandsverrat vorgeworfen
Bakhshis Regiedebüt „A Respectable Family“ von 2012 durfte im Iran nicht gezeigt werden. Es ging um einen heimkehrenden Akademiker, der sich mit den korrupten Geschäften seines gestorbenen Vaters konfrontiert sieht.
Dem Regisseur wurde Vaterlandsverrat vorgeworfen, für seinen zweiten Spielfilm erhielt der jetzt 48-Jährige lange keine Dreherlaubnis. Erst als internationale Koproduktion konnte er „Yalda“ schließlich realisieren.
Premieren feierte der Film in Sundance und in der Generation-Reihe der Berlinale. Dort hatte Mohammad Rasoulof mit „Es gibt kein Böses“ den Goldenen Bären gewonnen. Auch ein Film über die Todesstrafe im Iran, nicht über Verurteilte, sondern über Soldaten, die sie ausführen müssen. Rasoulof ist rechtskräftig zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Zuletzt wurde er im Juni aufgefordert, seine Strafe anzutreten, und fürs Erste wieder nach Hause geschickt.
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