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Turm an Turm. Die Fotografin Hilla Becher steht am 02.10.2008 im Musee d'Art Moderne de la Ville in Paris vor ihrer Fotoserie "Kühltürme".
© dpa

Nachruf auf Fotografin Hilla Becher: Wenn die Türme Trauer tragen

Die Fotografin Hilla Becher, Mitbegründerin der für ihre Sachlichkeit berühmten „Düsseldorfer Fotoschule“, ist tot. Ein Nachruf.

In manchen Kulturen wird der Lehrer und Meister höher geschätzt als das Werk, das er hinterlässt. Denn es ist seine Arbeit am Menschen, die Magie hat, indem er seinen Schülern hilft, sich selbst zu finden, das Unnötige sein zu lassen und das Wichtige unnachgiebig zu verfolgen. Das Ehepaar Hilla und Bernd Becher, das Ende der siebziger Jahre in Düsseldorf die so genannte Becher-Schule begründete, eine Fotografenklasse an der Kunstakademie, war wahrlich meisterhaft. Durch seine eigene Fotografie und seine zahlreichen später namhaften Schüler hat es eine eigene Kunstrichtung geschaffen. Es war einer der großen Momente der Kunst aus Deutschland. Ebenso folgenreich wie Kraftwerks Rechnermusik für die Popkultur, weil er sich mit dem Ingenieurswesen verbündete. 

Hilla Becher war fasziniert von den Industrieanlagen des Ruhrgebiets, diesen stählernen Kolossen, die über dem Eisenerz errichtet worden waren und nun, da Kohle heraufzuholen sich nicht mehr lohnte, verödeten. Die junge Frau schlich um die Anlagen herum, aber sie bekam sie nicht ins Bild gesetzt. Zu groß. Erst als sie dem Kunststudenten Bernd Becher begegnete, zeigte sich ihr der Schlüssel. Er wollte die Überbleibsel des Tagebaus, die Fachwerkhäuser und Hüttenanlagen im Siegerland zeichnen, in all ihren Einzelheiten. Aber er, dieser Fanatiker des Details, war nicht schnell genug. Sie verschwanden schneller, als er sie auf Papier bringen konnte. Also verlegte sich das Paar darauf, die Hinterlassenschaften des Kohle-Zeitalters zu fotografieren. Nicht als romantische Ruinenlandschaft, nicht als Panorama. Sondern als Ausschnitt, jedes einzelne Ding. Und das aus unterschiedlichen Perspektiven. Sachlich wollte Hilla Becher es haben, die fand, dass die beiden Künstler Gebäude betrachteten wie Schmetterlingssammler. Mit kühler Distanz. 

Hilla Worbeser, 1934 in Potsdam geboren, ist den Weg einer modernen Frau gegangen. Man schenkte dem Mädchen als Kind eine Kamera, später wollte sie in die Werbebranche, wofür sie nach Düsseldorf ging, dem kreativen Zentrum des westdeutschen Wirtschaftswunders. Der Zufall ließ sie ab 1959 dann gemeinsam mit Bernd Becher die schwere Fotoausrüstung durch vergiftete Fabrikareale schleppen.

Bahnschranken, Toilettenhäuschen und Verkehrsinseln in Serie

Die konzeptuelle Fotografie, die ihren Ursprung in den systematischen Serien der Bechers hat, sollte in den neunziger Jahren Stars wie Andreas Gursky, Thomas Ruff, Thomas Struth, Candida Höfer und Axel Hütte hervorbringen, deren großformatige Bilder in den besten Museen der Welt hängen würden. Sie beziehen sich auf Hilla Bechers Idee, typologische Muster in den Gegenständen zu finden und ihnen distanziert zu begegnen. Sie gewissermaßen auszustanzen aus der Unordnung des Alltags und in fahlem Nebellicht auf sich selbst zu reduzieren. In den monumentalen Ansichten von Struth und Gursky ist die Klarheit Bechers nach wie vor prägend. Allerdings sind sie zum Panorama zurückgekehrt, dieser "malerischen", opulenten Variante der Bildgebung. Andere Fotoschüler inhalierten Bechers enzyklopädisches Credo. Bahnschranken, Toilettenhäuschen und Verkehrsinseln, es gibt nichts, was die serielle Fotografie nicht in endloser Variation und bis zur Ermüdung des Kunstmarkts aneinander gereiht hat. Dafür ist den Bechers freilich nicht die Schuld zu geben. Ihre Akkuratesse hat sie selbst unempfindlich für das Kommerzielle gemacht. Erfolg hatten sie lange nicht. Bis sie auf der Biennale von Venedig geehrt wurden, vergingen 30 Jahre. Sei gut so gewesen, meinte Hilla Becher in einem "Welt"-Interview einmal. Da habe man ungestört arbeiten können. 

Ihre Bilder sind Monumente einer untergehenden Zivilisation. Die Hochöfen, Kohlebunker, Wassertürme und Förderanlagen, die Bauten der Industrialisierung, die sie aus streng formatierten Perspektiven festhielten, waren Menetekel des Untergangs. Ihre Bilder deshalb Industriefotografie zu nennen, greift deutlich zu kurz. Die Fabrik- und Bergbauruinen durchstreifte das Paar in dem Bewusstsein jedes Fotografen, der sich als Archäologe der Gegenwart begreift. Als einer, der seiner Zeit voraus ist und stets Angst hat, zu spät zu kommen. Sie hätten, meinte Hilla Becher einmal, jedes Objekt "festgenagelt". Das Bild sollte die Wahrnehmungskraft des Auges übertreffen. Das Dokumentarische wollte hyperreal sein. 

"Unser Werk ... das ist unendlich."

Personen kamen in der Becher'schen Welt nicht vor. Darauf angesprochen, sagte Hilla Becher in einem Gespräch mit dem "SZ-Magazin, dass Menschen jedes Bild dominieren würden, selbst wenn es gar nicht um sie gehe. Sie seien zudem immer, was sie sein wollten, nicht was sie sind. Hilla Becher strebte nach einer Ehrlichkeit, die sich nur in den Dingen offenbarte, die der Mensch aufgegeben hatte. Immer dasselbe, hundertfach. Sie gaben nicht auf. Um Schönheit im eigentlichen Sinne ging es bei dieser Akribie nicht. Überdies verriet die Serie das Gebot des Bildermachers, sich über die eigene Perspektive klar zu werden und sie gegen Alternativen zu verteidigen. Aber um die Welt vor der Massenfertigung zu zeigen, konnte es nur so gehen. Denn dass das Gleiche sich voneinander nur durch winzige Details unterscheidet, eröffnet den menschlichen Raum dieser Bildsprache. Jemand muss die Abweichung gewollt, ein Mensch muss sie in die Welt gesetzt haben.

In den letzten Lebensjahren Bernd Bechers, der 2007 starb, gab es mitunter "fast Streit" zwischen den beiden, die immer einer Meinung waren, weil er meinte, dass sie nicht fertig geworden seien mit ihrem Werk. Und sie, weise und geduldig, wie Frauen sind, meinte, dass sie doch gar nicht fertig werden könnten. "Unser Werk ... das ist unendlich." 

Am vergangenen Samstag ist Hilla Becher in Düsseldorf gestorben, wie der Verlag Schirmer/Mosel mitteilte. Sie wurde 81 Jahre alt. 

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