zum Hauptinhalt

"Shit Year" und "I'm Still Here": Wenn die Stars am Ende sind

Kühler Essay gegen freche Fake-Doku: Cam Archers "Shit Year" und Casey Afflecks "I’m Still Here" zeigen Star-Leben aus unterschiedlichen Perspektiven.

Wenn ein Schauspieler eine Rolle besonders überzeugend interpretiert, scheint es meist, dass ein Stück von seinem wahren Selbst in dieser Rolle steckt, dass also plötzlich hinter der Figur auf der Leinwand die Person dessen durchscheint, der sie verkörpert. Dann freut sich der Zuschauer und glaubt, seinem Helden auf die Schliche gekommen zu sein. Der Star fasziniert nicht nur durch sein Talent, sondern durch sein Doppelleben, von dessen Entschleierung die gesamte Klatschpresse lebt.

Läuft die Sache besonders gut, dann gelingt es dem Star, wie George Clooney, nur jene Teile des Privatlebens der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die zum glamourösen Leinwandimage passen. So schafft man sich den eigenen Mythos: ein Freizeitauftritt hier, eine Premierenfeier da, äußerste Eleganz selbst noch im legeren Outfit und als Dekor schöne Frauen, schöne Autos, schöne Landschaften. Läuft es aber schlecht, gerät alles durcheinander, nicht nur für die Fans, sondern auch für das Objekt ihrer Bewunderung: Jede Rolle scheint Beweis für privates Glück oder Unglück und umgekehrt – der Star ist auch nur ein Mensch, der altert, säuft, liebt, leidet, frisst, sich gehen lässt. Und wenn einer selber nicht mehr trennen kann zwischen Leinwandpersona, öffentlicher und privater Selbstdarstellung, dann bezahlt er dafür schlimmstenfalls mit dem Tod wie der 2008 verstorbene Heath Ledger.

Nun kommen zwei Filme ins Kino, die auf ihre Weise das Elend des Schauspielers thematisieren: In „Shit Year“ spielt Ellen Barkin die gealterte Diva Colleen West. Mittels Bühnenauftritt, sehr jungem Liebhaber, Workshop und Einsiedlertum versucht sie, ihren Karriereknick in den Griff zu kriegen. Der Schwarz-WeißFilm wirft buchstäblich Schlaglichter auf Stationen ihres Wegs in die Depression. Und Ellen Barkin – kettenrauchend, mit offenen Schnürsenkeln, gern mit Sonnenbrille und oft bloß im Bademantel, gebührt höchster Respekt für die eindringliche Darstellung eines Verfallsprozesses, die sie im Kontrast zur überstilisierten, statischen Inszenierung sehr lebendig anlegt.

Von absurder Komik sind die Dialoge mit einer zudringlichen Nachbarin, ebenso einsam wie Colleen West selbst, die sie zum Apfelpuppenbasteln einlädt und – stellvertretend für die imaginäre Öffentlichkeit im Film und das Kinopublikum – ein klammheimliches Vergnügen daran hat, dass der vergötterte Ex-Star nun zum Anfassen nahe gerückt ist. Regisseur Cam Archer stellt dabei den realen Situationen immer wieder die klaustrophoben und paranoiden Fantasien der Heldin gegenüber. Dazwischen liegt die kalte Welt des Therapie-Workshops, komponiert aus gestochen scharfen, zu grafischen Mustern geordneten Bildern.

Im krassen Gegensatz zum ästhetischen Konzept von „Shit Year“ steht „I’m Still Here“, Casey Afflecks gefälschte Dokumentation über seinen Schwager Joaquin Phoenix. Der Film stellt den amateurhaften „Ich halte jetzt einfach mal die Kamera drauf“-Reflex nach und ironisiert damit nebenbei die YouTuberei einer Generation selbst ernannter Dokumentaristen, die alle ihren eigenen Wahrheitsanspruch erheben.

Casey Affleck tut das auf seine Weise – und genau darin liegen Intelligenz und Witz dieses auch ziemlich anstrengenden Films. Joaquin Phoenix, der für seine Johnny-Cash-Darstellung 2006 für einen Oscar nominiert war, spielt in diesem Film Joaquin Phoenix, der nicht mehr Schauspieler sein will, sondern Rap-Musiker, und vergeblich versucht, den Rapper Sean „P.Diddy“ Combs als Produzent zu gewinnen. Die Fake-Doku führt Phoenix nach Art eines Road Movies von der Westküste bis nach New York und Miami, und sie zeigt schonungslos einen dramatischen sozialen Verfallsprozess. Phoenix säuft und kifft unablässig, lässt Haare und Bart wachsen und verfilzen, fläzt sich auf Hotelbetten herum, redet wirr und schurigelt seine Angestellten, die ihn ständig begleiten.

Regisseur Casey Affleck ist mitunter selbst im Bild, dann scheint einer der anderen beiden Homeboys die Kamera zu übernehmen. Dadurch entsteht die Illusion der Intimität, erst recht, wenn der Mann hinter der Kamera gleichzeitig Dialogpartner ist.

Immer wieder behauptet Phoenix, dass er in diesem Film endlich sein wahres Selbst zeige. Und immer wieder fragt man sich, ob schlechtes Benehmen und schlechte Musik – man sieht ihm bei einem furchtbar gescheiterten Rap-Auftritt zu – alles ist, wozu der wahre Phoenix in der Lage ist. Aber das heißt natürlich nur, dass der Trick funktioniert: Es ist ja Fälschung! Und zwar eine geniale.

„I’m Still Here“ (OmU) läuft im Central und im Lichtblick, OV im Moviemento; „Shit Year“ läuft im fsk (OmU)

Daniela Sannwald

Zur Startseite