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Stark. James Blake in Roskilde.
© dpa

Roskilde: Wenn die Bässe wieder durch die Zeltstadt rollen

Von Metallica und Kraftwerk zu Rihanna und James Blake: Das 43. Festival in Roskilde überzeugt als genreübergreifendes Spektakel.

Kraftwerk haben 3-D-Brillen verteilen lassen – um ihrem Sound auch optisch Tiefenwirkung zu geben. Vielleicht wollen die deutschen Elektropioniere zur Abwechslung aber auch nur mal Spaß haben, wenn sie ihre strenge Roboter-Choreografie inszenieren. Ulkig sehen die verlebten Festivalbesucher beim letzten Konzert des viertägigen Festivals im dänischen Roskile jedenfalls aus mit ihrer Nasenbekleidung. Dem immer noch fesselnden Sound von Kraftwerk fügt der Brillenblick allerdings keine bedeutende Dimension hinzu.

Die Modefarbe dieses Roskilde-Jahrgangs ist zudem weder Grün noch Rot, sondern Schwarz. Denn die Herren des eindimensionalen Rocksounds geben sich die Ehre: Metallica spielen in Roskilde ihr einziges Europakonzert in diesem Jahr. Gute Beziehungen zu Landsmann Lars Ulrich am Schlagzeug haben den Auftritt ermöglicht.

Für die Rockfans ist der Metallica-Auftritt am Samstagabend der Höhepunkt des langen Wochenendes. Aber auch wer gute Inszenierungen liebt, kommt auf seine Kosten. Noch bevor Metallica auf die Bretter gehen, dröhnt AC/DCs „It’s a long way to the top if you wanna rock’n’roll“ aus den Boxen. Wer in diesem Moment daran denkt, wie tief James Hetfield und Co. schon im Drogensumpf und narzisstischen Wahn gesteckt haben, muss schmunzeln. Was folgt, ist eine Mischung aus Raritäten des Metallica-Katalogs und Hits wie „One“, „Enter Sandman“ oder „Nothing Else Matters“. Mit beeindruckender Präzision, großer Spielfreude und krachwummernder Unterstützung eines Feuerwerks spielt die Band sich im Laufe von mehr als zwei Stunden in die Herzen des Publikums.

Doch in Roskilde denkt man längst mehrdimensional. Und so stehen neben Pionieren aus Elektro- und Rockmusik auch Hip-Hop-, RnB- und Popgrößen wie Rihanna gleichberechtigt auf dem Plakat. Als würde sie ahnen, welche symbolische Bedeutung ihrem Auftritt beigemessen wird, gelingt der 25-Jährigen eines der besten Popkonzerte in der langen Festivalgeschichte. Rihanna lässt sich dabei anders als bei ihrem Berlin-Auftritt nicht zu einer Verkleidungs- und Akrobatikshow à la Madonna hinreißen. Gekonnt bewegt sie ihren Körper in einem Gewand, das wie eine Mischung aus Beduinentracht und Baseball-Outfit aussieht, während sie ihre Stimme geschickt von Playbacks doppeln lässt. Erst bei den Balladen ist sie ganz auf sich gestellt und zeigt dabei eine gewisse Tiefe. Vor allem ein packender Mix ihrer Hits verwandelt den Acker vor der Hauptbühne in eine riesige Tanzfläche.

Die Rap-Hoffnungen Angel Haze und Azealia Banks enttäuschen

Ähnlich mitreißend verläuft schon am ersten Abend Kendrick Lamars Auftritt im größten Zelt des Festivals. Sein Gangster-Rap-Update zieht vor allem das junge Publikum an. 20 000 passen in die Arena, doch viele müssen draußen mitsingen. Kendrick Lamar ist sichtbar beeindruckt von den textsicheren Skandinaviern, die ihn auf ihre Weise feiern: mit der gegrölten Version von „Seven Nation Army“.

Zwei neue Sterne am Rap-Himmel verglühen allerdings in Roskilde. Angel Haze und Azealia Banks, die sich in Songs und sozialen Netzwerken gegenseitig zum Teufel wünschen, können beide nicht einlösen, was ihr forscher Elektro-Rap-Sound an Erwartungen geweckt hat. Angel Haze kommt in der Nacht von Samstag auf Sonntag fast eine Stunde zu spät auf die Bühne und kann trotz aller Bemühungen im überschaubaren Cosmopol die müden Geister nicht mehr wecken. Am darauffolgenden Nachmittag beginnt auch Banks eine Dreiviertelstunde zu spät. Vermutlich will sie in Sachen Verspätung ihrer Konkurrentin in nichts nachstehen. In Roskilde kann man mit coolen Verzögerungstaktiken jedoch weder beim Publikum noch bei den Machern punkten. Technische Probleme werden übrigens in beiden Fällen als Verspätungsgrund angegeben. Schwer zu glauben bei einem denkbar einfachen Aufbau mit Mikrofonen und DJ-Pult.

Im Cosmopol fließt dafür ziemlich ungehemmt die Energie, wenn neuere Electrodance-Phänomene wie Trap auf dem Programm stehen: Der amerikanische DJ und Produzent Baauer, berühmt geworden durch den Harlem Shake, bringt das Zelt zum Kochen, bei seinem dänischen Pendant Eloq werden Erinnerungen an Pogotänze bei Punk-Konzerten geweckt.

Die wummernden Bässe des Cosmopols erreichen auch das riesige Zeltlager für etwa 80 000 Menschen. Dort feiern mittlerweile die unterschiedlichsten Camps ihre eigenen Raves, beschallt von liebevoll zusammengeschraubten Soundsystemen. Während diese Entwicklung in ihrer Entstehungsphase von der Festivalleitung noch mit kritischen Blicken und Worten begleitet worden ist, hat man dieses Jahr gemeinsam Hand angelegt bei der Gestaltung einiger Camps. In „Dream City“ findet man zum Beispiel einen Saloon mit Schwingtüren. Außerdem verteilen „Ärzte ohne Skrupel“ auf der anderen Seite einer riesigen Vagina ihre Trostpflaster, und sogar eine Poststelle für Karten, Bierkisten und verloren geglaubte Menschen gibt es. So entwickeln Macher und Publikum das Roskilde Festival weiter. Am fruchtbarsten, wenn das Nebeneinander von anarchischer Party und professionellem Programm zu grenzüberschreitenden Momenten führt.

Die musikalischen Höhepunkte finden sich an den Schnittstellen. Und deshalb ist der größte Moment beim 43. Festival der am letzten Nachmittag scheinbar völlig fehlplatzierte Auftritt von James Blake. Kaum zu glauben, dass etwas so Eigenwilliges auf der riesigen Hauptbühne und zu dieser Tageszeit funktioniert. Mit dem Blick in die Sonne und in zehntausende Gesichter, lässt Blake die subtile Druckwelle seiner Bässe über den Platz rollen und singt mit seiner beeindruckend treffsicheren fragilen Stimme. So zugewandt kann ein Künstler aus dem elektronischen Feld sich bewegen. Bereitet haben es vor 40 Jahren die dagegen etwas steif wirkenden Herren aus Deutschland, die wenige Stunden später ihrer elektronischen Weltfolklore eine überflüssige Dimension hinzufügen.

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