Interview mit Marina Münkler: „Wen soll der Direktor fragen?“
Der Wissenschaftsrat hat die Staatlichen Museen genau unter die Lupe genommen. Ein Gespräch mit der Aufräumerin.
Marina Münkler leitete die Arbeitsgruppe im Wissenschaftsrat, die das Gutachten zur Struktur der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) erarbeitet hat. Die Ergebnisse der Evaluation wurden diese Woche an Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Stiftungspräsident Hermann Parzinger übergeben. Marina Münkler ist Literaturwissenschaftlerin an der TU Dresden. Im Wissenschaftsrat ist sie seit 2019 stellvertretende Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission. Der Wissenschaftsrat bezeichnet die Struktur der SPK als „dysfunktional“. Vor allem bei den Staatlichen Museen müsse sich vieles ändern.
Frau Münkler, der Wissenschaftsrat kommt zu dem Schluss, dass viele Probleme der SPK mit zu wenig Geld und Personal zu tun haben. Können Sie ein Beispiel nennen?
Das Haus Bastian auf der Museumsinsel wurde als neues Zentrum für Kulturelle Bildung eingerichtet, das ist gut. Aber es gibt kein Personal. So ein Haus nicht mit Stellen zu unterlegen und zu hoffen, dass irgendjemand es bespielen wird, das geht nicht.
Daran sieht man, dass es an einer strategischen Perspektive im Stiftungsrat fehlt. Die Einrichtungen sind personell unterfinanziert. Aber auch wenn es in einem Haus nicht genug Mittel gibt, muss man sich fragen, wo man Prioritäten setzen will.
Das Gutachten stellt auch Defizite bei der Verbindung zum Publikum fest. Beim Ausstellen und Vermitteln hätten die Staatlichen Berliner Museen teilweise international den Anschluss verloren. Von welcher Rolle moderner Museen gehen Sie aus?
Zu den Kernaufgaben gehört das Präsentieren, Bewahren, Aufarbeiten und Erforschen von Beständen. Gleichzeitig müssen die Museen in aktuelle Diskurse eingebunden sein, um zu sehen, welche Themen die Menschen interessieren. Hier sind die SMB zu wenig präsent. Die Exponate der Häuser sind großartig, aber für das Publikum nicht per se interessant.
Staatliche Museen nutzen soziale Medien zu wenig
Die Museen tun auch aufgrund fehlender Finanzmittel nicht genug dafür, dass die Sammlungen im Gespräch bleiben. Im Marketing und in der Kommunikation gibt es zu wenig Stellen. Die Meisterwerke in der Gemäldegalerie sind ebenso berühmt wie die in den Uffizien, aber die Uffizien haben ganz andere Besucherzahlen. Man muss jede Sammlung erklären. Dafür sollten auch die modernen Kommunikationsmedien genutzt werden. Da machen die Staatlichen Museen zu wenig.
Sie meinen Instagram, Twitter.
Viele internationale Museen haben in den sozialen Medien eine große Anzahl an Followern, die sich laufend dafür interessieren, was im Museum passiert. Die Museen müssen mit dem Publikum schon in Kontakt sein, bevor diese ins Museum kommen. Ausstellungen können über Ankündigungen vorbereitet werden, man kann Apps zu den Ausstellungen erstellen – das geht dann in Berlin schon nicht mehr, weil es in vielen Museen kein W-Lan gibt.
Sie schreiben, aktuelle Themen würden in den Ausstellungen zu wenig aufgegriffen.
Es gibt im Moment viele Diskussionen zum Thema Provenienzforschung. Zum einen, was jüdisches Eigentum betrifft, aber auch über die Bestände aus der Kolonialzeit. Die Staatlichen Museen haben dazu Projekte, das sind vor allem eingeworbene Drittmittelprojekte, bei denen etwa mit Vertretern der sogenannten Herkunftskulturen kooperiert wird.
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Aber es passiert zu wenig Dauerhaftes. Dafür stehen den Häusern auch keine großen Summen zur Verfügung. Andere Museen in Europa investieren wesentlich mehr. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben bereits vor einigen Jahren 50 Millionen Euro in diesen Bereich investiert.
Woran liegt es, dass es bei den Berliner Museen nicht funktioniert?
Die Museumsleitungen haben uns berichtet, dass sie viel zu wenig Spielraum haben, um selbstständig Entscheidungen zu treffen. Vor allem haben sie kein eigenes Budget. Das erzeugt eine gewisse Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern.
Der Ausstellungsetat ist sehr gering. Pro Jahr stehen für alle Häuser circa 1,6 Millionen Euro zur Verfügung. Dazu kommen die Einnahmen aus den Eintrittsentgelten, macht 4,8 Millionen Euro für das Veranstaltungsbudget, laut Ihrem Bericht.
Dazu kommt, dass die Gesamtsumme der Ausstellungsmittel erst zu Jahresbeginn feststeht. Das erschwert den Museumsleitern die Ausstellungsplanung enorm.
Eine der konkreten Empfehlungen des Gutachtens ist die, dass die Staatlichen Museen deutlich mehr gemeinsame, sammlungsübergreifende Ausstellungen konzipieren sollten. Fehlt es an Ideen?
Es gibt natürlich gute Ausstellungen, auch kleine, feine Kooperationsprojekte wie „Busoni. Freiheit für die Tonkunst!“ mit Beteiligung der Staatsbibliothek. Aber viele Gelegenheiten ziehen ungenutzt vorbei.
Sie sprechen in dem Bericht immer wieder den Geldmangel an. Der Stiftungshaushalt wird anteilig vom Bund (86 Prozent), von Berlin (8 Prozent) und von den Ländern (6 Prozent) finanziert. Wie ist es mit der Einwerbung zusätzlicher Mittel?
Fundraising gibt es bei der SPK in viel zu geringem Umfang. Auch dafür bräuchte es entsprechendes Personal. Und natürlich attraktive, publikumswirksame Ausstellungen. Aus all diesen Gründen schlagen wir einen neu konzipierten Stiftungsrat für die Staatlichen Museen vor. Die 16 Länder leisten nur einen geringen Kostenanteil, sitzen aber alle im Stiftungsrat. Für sie spielen inhaltliche Fragen eine untergeordnete Rolle.
„Man braucht auch große Sponsoren“
Wen kann der Präsident oder der Generaldirektor fragen, wenn er das Gefühl hat, es läuft nicht so gut? Eigentlich niemanden. Zwar gibt es einen Beirat, aber der tagt einmal pro Jahr für zwei Stunden. Wir empfehlen einen strategiefähigen Stiftungsrat, der die Diskussionen moderner Museen kennt; der alle drei Monate tagt und auch zwischendurch ansprechbar ist. Der Stiftungsrat sollte sich wirklich für die Museen engagieren. Das gibt es im Moment nicht.
Neue Strukturen, neues Personal, mehr Ausstellungsbudget, das kostet alles Geld. Wo soll das jetzt herkommen?
Mit Corona ist es nicht einfacher geworden, aber man muss kreativ mit der Situation umgehen. Die Ausstellungen werden sicher nicht allein vom Bund finanziert werden können. Man braucht auch große Sponsoren. Mit einer soliden Basis vom Bund könnte das aber funktionieren.
Monika Grütters hat betont, dass der Bund in der Vergangenheit punktuell die Haushaltsmittel für die Stiftung aufstocken wollte. Das ist daran gescheitert, dass das Land Berlin seinen Anteil nicht entsprechend erbringen konnte. Deshalb finden wir eine Entkoppelung der Finanzierung von Bund und Berlin unabdingbar. Wir sagen aber nicht nur, es muss mehr Geld her. Es braucht einen entschiedenen Eingriff in die Organisationsstrukturen.
Die Arbeitsgruppe hat für die Evaluierung sehr viele persönliche Gespräche geführt, mit dem Stiftungspräsidenten, den Direktoren der Häuser, mit Mitarbeitern auf allen Hierarchiestufen. Wurden externe Berater beauftragt? Oder wer macht das alles?
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe. Sie erarbeiten die Fragen, führen die Gespräche, werten aus, leiten Empfehlungen ab.
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Wer ist Teil der Arbeitsgruppe?
Die Namen nennen wir nicht. Das ist eine grundsätzliche Handhabung des Wissenschaftsrates, um eine Beeinflussung der Beteiligten auszuschließen. In jeder Arbeitsgruppe sitzen Mitglieder des Wissenschaftsrates sowie Vertreter des Bundes und der Länder.
Außerdem werden Experten hinzugezogen. Es war eine Person von einer großen wissenschaftlichen Bibliothek in Deutschland dabei, es waren Museumsleiterleiter dabei, eine Expertin für „Material Culture“, Personen mit Leitungserfahrung, Juristen.
Wie sind Sie persönlich zur Arbeitsgruppe gekommen?
Ich bin Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrates, seit 2019 im Vorstand. Ich wurde gefragt. Es gibt auch andere Geisteswissenschaftlerinnen in dem Kreis, aber die sind zum Teil aus Berliner Universitäten. Wissenschaftlerinnen aus Berliner Einrichtungen gelten bei diesem Projekt als befangen.