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Die Wirkliche. Die Niederländerin Anne Frank, um 1940.
© akg-images

Streit um Tagebuch-Verfilmung: Wem gehört Anne Frank?

Anfang 2015 ist ihr 70. Todestag. Das Schicksal der Tagebuch-Autorin, die von den Nazis ermordet wurde, soll gleich zwei Mal verfilmt werden – für Kino und Fernsehen. Darum gibt es heftigen Streit.

Das Datum ist aufgeladen. Im März 1945 ist Anne Frank im Konzentrationslager Bergen-Belsen gestorben. Ihr Tod jährt sich 2015 zum 70. Mal. Daran können, daran dürfen die Medien nicht vorbeigehen. In kaum einem anderen NS-Opfer zeigt sich der Terror der Nazis derart sinnbildhaft und emotional. Der Holocaust bekommt mit dem jüdischen Mädchen Anne Frank aus Amsterdam ein Gesicht. Hier ist ein Mensch gestorben, keine Zahl.

Das ist ein besonderer Stoff, keine Frage. Und jetzt gibt es heftigen Streit darum. Ein Kinoprojekt und ein ZDF-Zweiteiler sind auf den Weg gebracht worden, beide Produktionen werden Anfang 2015 um die Aufmerksamkeit des Publikums konkurrieren. Dahinter steht die große Frage: Wem gehört Anne Frank?

Das ZDF ist vorerst in die Defensive geraten. Der öffentlich-rechtliche Sender muss sein noch titelloses Projekt, das Oliver Berben („Die Krupps“, „Das Adlon. Eine Familiensaga“) realisieren wird, gegen scharfe Vorwürfe der Anne-Frank-Erben verteidigen. Der Anne Frank Fonds Basel, der von Franks Vater Otto gegründet und von ihm als weltweiter Universalerbe eingesetzt wurde, wirft der Fernsehanstalt und Berben „respektloses Verhalten“ vor, Sender und Produzent würden gegen „Fairness und Anstand“ verstoßen, denn der Fonds habe dem Projekt nicht zugestimmt, eine Anfrage bei ihm als Rechteinhaber habe es nicht gegeben. Stattdessen würden Berben und das ZDF „mit der Brechstange“ vorgehen.

Dabei ist der Stoff dem ZDF sogar zuerst für eine Kino-Co-Produktion angeboten worden, sagt Drehbuchautor Fred Breinersdorfer: „Doch der Sender wollte lieber eine TV-Eventverfilmung.“ Der Vorteil dabei für den Sender: Er muss nicht erst auf die Kinoausstrahlung warten, bevor er zur Zweitverwertung kommt. Breinersdorfer aber hat ein Projekt mit internationaler Ausstrahlung vor Augen wie den Film „Sophie Scholl – Die letzten Tage“, für den er ebenfalls das Drehbuch schrieb und der für den Oscar nominiert wurde.

Die beiden Seiten kamen nicht zusammen, die weltweiten Rechte für einen deutschsprachigen Spielfilm wurden daraufhin vom Fonds anderweitig „exklusiv“ vergeben: an die Produktionsfirma AVE, ein Unternehmen der Verlagsgruppe von Holtzbrinck, und die Firma Zeitsprung Pictures. Sie sollen zusammen mit Breinersdorfer und Regisseur Hans Steinbichler den ersten deutschsprachigen Kinofilm über die Geschichte der Familie Frank realisieren.

„Berben hat sich vor einiger Zeit zwar mit der Idee für eine Miniserie bei uns vorgestellt, aber die Rechte sind weder von ihm noch vom ZDF jemals konkret angefragt worden“, sagt Yves Kugelmann, Stiftungsratsmitglied des Anne Frank Fonds. Gegen ein Fernsehprojekt an sich habe der Fonds keine Einwände. „Uns geht es aber um die Authentizität, um die integre Geschichtsschreibung. Und die ist nicht möglich, ohne sich auf die Originalquellen, neu erschlossene Archive oder weitere Dokumente zu beziehen“, betont Kugelmann. „Anne Frank ist doch kein Produkt für die Quotenplanung, sondern ein Mensch mit Identität, ein Opfer, das auch posthum geschützt und dessen Geschichte ganzheitlich erzählt werden muss. Gerade in Deutschland hätten wir von einem öffentlich-rechtlichen Sender mehr Sensibilität erwartet.“ Breinersdorfer ist es ein Rätsel, wie das ZDF den Film ohne Rechte an den Dokumenten realisieren will: „Wenn man die Geschichte der Familie erzählen möchte, kommt man um das Tagebuch von Anne Frank nicht herum.“

Berben will sich auf Anfrage zu den Vorwürfen nicht äußern, der Sender  erklärte am Dienstag, „es war und ist nicht die Absicht des ZDF, der Familie und dem Fonds respektlos zu begegnen. Im Gegenteil will der Sender gemeinsam mit dem Produzenten die herausragende historische Bedeutung von Anne Frank zum 70. Todestag im Jahr 2015 würdigen.“ Dem Anliegen schade es aus der Sicht des ZDF nicht, wenn sich mehrere Projekte dieser Aufgabe annähmen. Die Produktionsfirma werde die Rechte Dritter bei der Umsetzung beachten, erklärte die Mainzer Anstalt weiter.

Der Sender hat nach eigenen Angaben mehrere Angebote für eine Verfilmung der Geschichte Anne Franks und ihrer Familie gehabt und sich dann für die Berben-Variante entschieden. Das Projekt werde vom Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn, und der Anne-Frank-Stiftung in Amsterdam unterstützt. Das ZDF sieht seine Ambitionen offiziell wie öffentlich beglaubigt.

Der Sender muss nun zusehen, wie er aus der Schwäche, dass die Produktion nicht über die Rechte an der Quelle schlechthin, dem weltberühmten Tagebuch der Anne Frank verfügt, Stärke gewinnt. Also wird die „Lebensgeschichte der Familie verfilmt – andersartig und und neu für eine fiktionale Geschichtsdarstellung im deutschen Fernsehen“. Mit einem modernen Ansatz, der die Familie Frank so erzähle, dass ihr Schicksal neben den älteren besonders auch jüngere Generationen anspreche.

Der Film wird offenbar aus dem Zentrum in die Peripherie ausweichen. Drehbuchautorin Andrea Stoll will der Lebensgeschichte einen neuen Blickwinkel verschaffen, indem „die Ereignisse während des Krieges und der Besetzung Hollands durch die Nazis aus Sicht Anne Franks, ihrer Familie und Freunde erzählt werden. So viel Anne Frank wie rechtlich möglich, so wenig Anne Frank wie nötig. Eine Phasenverschiebung der besonderen Art.

Der Anne Frank Fonds behält sich juristische Schritte gegen das geplante Berben/ZDF-Projekt vor. Die Aussicht auf Erfolg dürfte allerdings gering sein. Rechtlich geschützt sind zwar die konkrete Erzählweise, der zeitliche Ablauf und der Ton des Tagebuchs, nicht aber das Leben und Leiden von Anne Frank selbst. Die Erben könnten sich wohl nur gegen eine Verfälschung der Biografie wehren.

Der Fall erinnert an den Streit um die ARD-Verfilmung des Lebens von „Wüstenfuchs“ Erwin Rommel, bei dem die Erben um die falsche Darstellung ihres Großvaters fürchteten, auch ein Romy-Schneider-Biopic platzte unter anderem, weil die Erben der Schauspielerin die Rechte nicht für eine Verfilmung freigaben. Der Anne Frank Fonds als Universalerbe will ebenfalls in der Hand behalten, wie Anne Franks Leben filmisch inszeniert wird.

Doch noch ein wesentlicher Grund kommt hinzu. Werden beide Filme zeitnah hintereinander ausgestrahlt, könnten sich TV-Zweiteiler und die Kinoversion kannibalisieren. Ein merkwürdiges Wettrennen um Quoten- versus Kassenerfolg steht an.

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