Konzertkritik: Weltzentrale der verdrehten Träume
Meister des Funk-Rock: Die Red Hot Chili Peppers geben in Berlin ein mitreißendes Konzert. Sie mischen fünf neue Songs in ihr Greatest-Hit-Programm, das gut ankommt beim bunt gemischten Publikum
Josh Klinghoffer hat einen Traumjob, um den ihn wahrscheinlich Tausende beneiden. Gleichzeitig ist es einer der härtesten Arbeitsplätze, die es derzeit im Rock-Geschäft gibt: Der 32-Jährige spielt Gitarre bei den Red Hot Chili Peppers. Sein Vorgänger – und guter Freund – heißt John Frusciante, einer der besten Gitarristen seiner Generation. Mit ihm kamen die Hits und der Superstar-Status. Vor zwei Jahren verließ Frusciante die Band aus Los Angeles zum zweiten und letzten Mal. Sein Erbe anzutreten ist eine Herkulesaufgabe. Klinghoffer löst sie passabel.
Zu Beginn des Konzerts in der bis unters Dach voll besetzten O2 World steht er noch steif am rechten Bühnenrand. Er trägt ein schwarzes, bis oben zugeknöpftes Hemd und wirkt, als habe er nichts mit den drei tätowierten, agilen Herren an seiner Seite zu tun. Doch die Zurückhaltung legt er bald ab und hüpft immer wieder quer über die Bühne. Bei seinem ersten Solo entlockt er seinem Instrument lange, verzerrte Tonfäden. Klinghoffer spielt flächiger, halliger und weniger melodieverliebt als sein Vorgänger. Manchmal vergisst man den Gitarristen auch fast, weil Flea am Viersaiter die Führung übernimmt. Er eilt voran beim Opener „Monarchy Of Roses“, slappt wie ein Wilder in „Can’t Stop“ und spielt ein irre virtuoses Intro zu „Throw Away Your Television“.
Wie immer mit freiem Oberkörper, die Haare derzeit türkisfarben, ist der Mann, der eigentlich Michael Balzary heißt, auch mit 49 Jahren noch ein Energiebündel. Dasselbe gilt für Sänger Anthony Kiedis, mit dem er die Band Anfang der Achtziger gründete. Versteckt unter einer großen Truckerfahrer-Kappe, beherrscht Kiedis die Bühnenmitte. Er faltet die Hände um das Mikro, als bete er seine Texte hinein. Und obwohl der Sound hart an der Übersteuerungsgrenze ist, steht sein Gesang strahlend im Zentrum. Denn Kiedis ist ein Niemals-Untergeher, einer, der unzählige Traumata, Drogenprobleme und Bandkrisen durchgestanden hat. Er und die Red Hot Chili Peppers sind Rock ’n’ Roll-Überlebende. Doch das Weitermachen ist ihnen – anders als anderen Großbands – nicht zur Ersatzdroge geworden. Sie sind immer noch süchtig nach Musik.
Flea hat in den fünf Jahren seit der letzten Platte „Stadium Arcadium“ Musiktheorie studiert. Drummer Chad Smith engagierte sich in einem Nebenprojekt. Ihre Spielfreude ist auch während des rund 100-minütigen Berliner Konzerts unüberhörbar. Sie zeigt sich etwa bei den kleinen Interludes, für die Flea und Klinghoffer zum Schlagzeug herüberkommen. Sie haben eine jamhafte Anmutung und gehen dann elegant in den nächsten Song über. Besonders schön gelingt ihnen das bei „Otherside“, dessen markantes Gitarren-Intro jubelnd begrüßt wird. Die ganze Halle singt die todessehnsüchtige Ballade mit, derweil auf den Leinwänden ein Sternbild aus chemischen Verbindungen schwebt. Wahrscheinlich steckt dahinter irgendeine bewusstseinsverändernde Substanz. Haufenweise Tabletten werden bei „Californication“ eingeblendet, was gut zu diesem Abgesang auf die Weltzentrale der verdrehten Träume passt, in den der Keyboarder einen kleines „California Dreaming“-Zitat einschmuggelt.
Die Red Hot Chili Peppers haben ihre Heimat meist in melancholischen Liedern mit düsteren Texten besungen. Bei ihnen ist Los Angeles nicht die Stadt des Hollywood-Glamours, sondern eine Metropole der Einsamen und Verzweifelten. So beschreibt Kiedis im Durchbruchs-Hit „Under The Bridge“, wie er allein durch die Stadt wandert und sich an die Zeiten erinnert, in denen er Drogen genommen hat. Im Konzert singt er das bald 20 Jahre alte Stück leicht abgewandt vom Publikum, das ihn leidenschaftlich begleitet.
Neben den alten Fans sind viele junge Leute gekommen. Teenager stehen direkt neben Alt-Fans mit eintätowierten Bandlogos. Es ist für alle etwas dabei an diesem Abend: funky Rocksongs, gefühlvolle Balladen und sogar ein Neil-Young-Cover. Fünf Stücke des neuen Albums „I’m With You“ mischt die Gruppe, die von einem Perkussionisten und einem Keyboarder unterstützt wird, in ihr hitgespicktes Set. Vor allem „Look Around“ und „The Adventures Of Rain Dance Maggie“ kommen gut an. Die Höhepunkte wie die extraschnelle Version von „By The Way“ und das immer noch unwiderstehliche „Give It Away“ stammen jedoch von älteren Werken.
Zu den Zugaben kommt Flea auf den Händen hereingelaufen. Anthony Kiedis legt Kappe und T-Shirt ab und seinen durchtrainierten Oberkörper frei. Dass er nächstes Jahr 50 wird, ist schwer zu glauben – Sport und makrobiotische Ernährung machen es möglich. Für den finalen Jam braucht die Band ihn dann gar nicht mehr. Flea und Josh Klinghoffer, der vor seinem Kollegen kniet, spielen ein derart betörendes Duett, dass allerspätestens hier klar ist: Der Neue ist angekommen.
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