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Auf der Suche nach der richtigen Mischung. Der Tenor Jonas Kaufmann, Jahrgang 1969, ist ein Weltstar.
© Dietmar Scholz

Der Tenor Jonas Kaufmann: Weltherzschmerzpathos

Die Phänomenologie des Erfolgs: Jonas Kaufmanns Liederabend in der Berliner Philharmonie. Im Idealfall führt ein solcher Abend dazu, wenigstens eine Handvoll Zuhörer zum Lied zu bekehren.

Wann ist ein Konzert ein Erfolg? Wenn das Publikum rast und spätestens nach der dritten Nummer innerlich auf den Stühlen steht – und es nach der 22. Nummer dann tatsächlich tut. Wenn Fans sich aus dem Tumult lösen, mit Blümchen in Händen oder ganzen Bouquets, und nach vorne ans Podium stürzen. Eine Dame übergab an diesem Abend zwei putzige Stoffstörchlein, „un souvenir d’Alsace“, wie sie betonte, um allen weiterreichenden Assoziationen vorzubeugen. Zum wahrlich bombastischen Erfolg aber wird ein Konzert erst, wenn den Interpreten die Zugaben ausgehen. Sechs Strauss-Lieder hatten der Tenor Jonas Kaufmann und sein Pianist Helmut Deutsch vorbereitet („Zueignung“ inklusive), als siebte blieb dann nur noch ein kleiner Lehár übrig, aus Noten gesungen. Und ein glückliches, sich befreit herzendes Künstlerpaar.

Ein Liederabend freilich darf schon als großartiger, ja bombastischer Erfolg gelten, wenn er die Reihen der Berliner Philharmonie so proper füllt, wie Kaufmann und Deutsch dies gelingt. Andere Musikmetropolen (Wien, München, London) haben traditionell ein Liederabend-Publikum – Berlin hat das nicht, oder wenn, dann eines, das sich auf kleinere und kleinste Säle beschränkt. Initiativen wie der TV-kompatible „Dasch-Salon“ im Radialsystem, Thomas Quasthoffs Wettbewerb „Das Lied“ oder die neu aufgelegte Reihe „Ein Abend mit ...“ im Konzerthaus versuchen an diesem schlechten Ruf seit geraumer Zeit zu sägen. Löblicherweise.

Nur leider hat die Tatsache, dass Kaufmann im Gegensatz zu so gestandenen Kollegen wie Matthias Goerne, Christian Gerhaher, Angelika Kirchschlager oder Mark Padmore große Säle füllt, weniger mit dem Lied zu tun als mit dem Latin- Lover-Image des deutschen Tenors – und entsprechend plakativen Marketing-Strategien. The Lied doesn’t sell? Bei einem Star wie Kaufmann spielt das keine Rolle, er kann machen, was er will – auch Lieder singen (stimmhygienisch ist das zwischen dem nächsten Don José in Salzburg und Wagners Siegmund an der Met ohnehin nur klug). Und so prustete und röchelte sich das Berliner Publikum denn tapfer durch die vier Gruppen mit Liszt, Mahler, Duparc und Richard Strauss hindurch, wild zu allem entschlossen.

Im Idealfall führte ein solcher Abend dazu, wenigstens eine Handvoll Zuhörer zum Lied zu bekehren: zu den gebrochenen Zauberfarben eines Henri Duparc, zum Weltherzschmerzpathos der Mahlerschen Rückert-Vertonungen. Dafür allerdings hätte Jonas Kaufmann nicht nur Jonas Kaufmann sein müssen und ein vollimprägnierter Podiums-Profi, sondern wirklich gut. Fähig, sein Herz auf den Tisch des Hauses zu legen, bereit, seine Seele zu zeigen. Und das wollte oder konnte er in der Philharmonie nicht.

Wer nur eine blasse Hörerinnerung an Liszts „Vergiftet sind meine Lieder“ oder an die Melancholie in „Ihr Glocken von Marling“ hat, erschrickt gleich zu Beginn: Vor der groben Kelle, die Kaufmann stilistisch ansetzt; vor der Beschränktheit seiner sängerischen Mittel; und vor dem Fehlen fast jeglicher Imagination. Was Kaufmann singt, scheint sein Timbre nicht im Geringsten zu affizieren, als würde eine innere Schranke den emotionalen Verkehr regeln. Liebe, Tod, Begehren, schlechtes Wetter – sein an sich schöner, baritonal gefärbter Tenor bleibt immer gleich: metallisch-heldisch in den gern aufgesuchten exponierten Höhen, eher verschattet in der Mittellage, durchwegs dunkel in den Vokalen, sehr gut textverständlich. Dass die Wagner-Singerei Spuren hinterlässt, merkt man an Kaufmanns kruder Pianotechnik: halb messa di voce, halb Flageolett, ein hauchiges, hoch artifizielles Sich- Herumschummeln ums Leise, Zarte, Wenige. Mahlers „Liebst du um Schönheit“ wirkt so regelrecht markiert, und spätestens beim dritten Mal ist es mit dem Einsatz solcher Effekte ohnehin vorbei.

Sobald es balladesker, narrativer wird, tut Kaufmann sich leichter. In Liszts „Es war ein König in Thule“ oder so manchem Strauss’schen Wald- und Wiesenlied weiß er sich gestisch zu behelfen, spielt, illustriert. Das lockt regelmäßig sogar Helmut Deutsch aus der Reserve, der zwar sehr kundig seines Amtes waltet, aber auch sehr zurückhaltend, fast homöopathisch.

Am eindrucksvollsten gelingt den beiden Duparcs „Chanson triste“ – weil Kaufmann hier alles ängstliche Kraftmeiern vergisst und sich dem Lyrischen ergibt: Jenem Ausdruck, der ist und keiner zirzensischen Herstellung bedarf. Das könnte überhaupt ein Weg sein, wenn es Kaufmann ums Lied ernst wäre: Das Heil weniger bei den spätromantischen Schlachtrössern zu suchen (die oft genug Orchesterbegleitung verlangen!) als bei Schubert, Schumann, Brahms. Lernen, auch ohne Kostüm Bekenntnisse abzulegen.

Wann ist ein Abend ein Erfolg? Wenn die Kritik mäkelt. Das alte Spiel. Spielen wir es noch ein bisschen weiter. Die Sache hat es verdient.

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