American Academy in Berlin: Wellen am Wannsee
Abschied und Aufbruch: Gary Smith, Direktor der American Academy, verlässt nach fast 20 Jahren die Villa der Stipendiaten – kurz nach Dekanin Pamela Rosenberg. Wie geht es weiter?
Der ideale Kandidat ist noch nicht in Sicht. Er spricht perfekt Deutsch und Englisch, ist bestens vernetzt in der universitären Landschaft auf beiden Seiten des Atlantiks, beherrscht Management, Fundraising und steckt voller Ideen. Gesucht wird: ein neuer Executive Director der American Academy am Wannsee. Denn Gary Smith, seit 17 Jahren geschäftsführender Direktor, hat seinen Abschied zum Ende des Jahres angekündigt. Beim nächsten Board-Meeting am 20. Mai wird die dringend benötigte Kandidaten-Shortlist das beherrschende Thema sein. Außerdem muss ein Leiter für das neue Holbrooke-Forum gefunden werden. Geeignete Interessenten dürften sich möglicherweise unter den Alumni finden oder unter den Distinguished Visitors, den prominenten Kurzbesuchern der letzten Jahre. Auch die Dekanin der Stipendiaten, Pamela Rosenberg, hat angekündigt, das Haus diesen Sommer zu verlassen.
Die Geschichte der American Academy begann vor 20 Jahren. Kurz vor dem Abzug der letzten US-Soldaten wollte der damalige amerikanische Botschafter Richard Holbrooke die deutsch-amerikanischen Beziehungen auf eine neue Ebene heben. Mitdenker und Mitstreiter fand er in Henry Kissinger, Richard von Weizsäcker und Fritz Stern. Kurz bevor er als Staatssekretär für Europa ins Außenministerium nach Washington ging, sicherte er selbst die ersten Millionen für die Villa am Wannsee, die einst der von den Nazis vertriebenen Familie Arnhold gehört hatte.
Hans Arnholds Tochter Anna-Maria und ihr Mann Stephen Kellen gaben damals die entscheidenden drei Millionen Dollar, die das Projekt möglich machten. Auch die Enkelin Nina von Maltzahn beteiligte sich. Sie sitzt im Kuratorium, dem bei der ersten Präsentation im Oktober 1997 neben von Weizsäcker und Kissinger Volker Schlöndorff, Erich Marx, Josef Joffe und auch der spätere Bundespräsident Horst Köhler angehörten. Im November präsentierte Holbrooke den Gründungsdirektor des Potsdamer Einstein-Forums, Gary Smith als Direktor. Ursprünglich wegen seiner Liebe zu Walter Benjamin, über den er promoviert hatte, aus Texas nach Berlin gekommen, wollte der studierte Philosoph eine geistige Luftbrücke schaffen.
Für ihn gibt es viele gute Gründe, jetzt einen Schnitt zu machen. Zum einen ist da das Buchprojekt „Die Zauberjuden“. Seit Jahren träumt er davon, die Hälfte seines Bücherregals ist mit Werken gefüllt, die dazu beitragen könnten. „Ich werde demnächst 60 Jahre alt, mein Leben ist endlich, es gibt noch so vieles, was ich machen will.“ Die Academy verlange einen Einsatz von über 70 Stunden in der Woche.
Es gibt wohl auch noch andere Projekte, die ihn reizen würden, Bühnenwelten haben immer eine besondere Faszination auf ihn ausgeübt. Die zweite Erklärung lautet: „Es läuft sehr gut, ich habe meine Arbeit getan.“ Smith möchte seine „Identität als Ideenmensch“ wiederfinden. Das nach dem Spenderwillen fest angelegte Kapital in Höhe von fast 40 Millionen Dollar liegt inzwischen auf der Bank, hinzu kommen laufende Zuwendungen.
Die dritte Erklärung geht so: Institutionen, die mit einer Person stehen und fallen, betrachtet er mit Skepsis – auch wenn er gegen Shepard Stone und die 1974 auf Schwanenwerder gegründete europäische Dependance des Aspen-Instituts nichts hatte: Das war so eine Geschichte im Kalten Krieg, miteingefädelt von seinem verstorbenen Schwiegervater, dem früheren Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz.
Eigentlich sollte die American Academy nur ein Stipendienprogramm für junge Amerikaner werden. Dass daraus eine Institution erwuchs, die die besten Köpfe Amerikas nach Berlin holt, ist wohl dem einzigartigen Gespann Richard Holbrooke und Gary Smith sowie dem starken Kuratorium zu verdanken. Holbrooke war ja nicht nur Spiritus Rector, sondern auch Motivator und Türöffner. „Es war ein Einschnitt“, sagt Gary Smith über den plötzlichen Tod Holbrookes im Jahr 2010. Vielleicht der Einschnitt, der nun zu einer neuen Ära führt. Für den Netzwerker, Fundraiser und Ideengeber war es Ehrensache, seine Talente voll auszuschöpfen. Auf die Verwaltungsarbeit hätte Smith sicher schon früher manchmal gern verzichtet. Auch war seine Informationspolitik unter den Kuratoriumsmitgliedern nicht immer unumstritten. Gut möglich, dass er der Academy in anderer Rolle erhalten bleibt.
Auch Dekanin Pamela Rosenberg nimmt Abschied
Für Pamela Rosenberg ist der Abschied nach vier Jahren eine ganz nüchterne Entscheidung für persönliche Prioritäten. Als die frühere Intendantin der Berliner Philharmoniker sich in den Ruhestand verabschiedete, war sie 65 Jahre alt. Gary Smith warb sie damals an als Dean of Fellows and Programs. Zu ihren Hauptaufgaben gehörte die Vernetzung der Stipendiaten mit anderen Institutionen. Das konnte aufwendig sein wie im Fall von Jonathan Laurence, der die Modalitäten der Integration von Muslimen in Deutschland erforschte. „Da haben wir über 50 Termine gemacht.“
In Stuttgart, wo mit Holtzbrinck, Bosch und Daimler große Förderer der Academy sitzen, hat sie die Vorlesungsreihe „Head to Head“ aufgebaut, bei der jeweils ein Stipendiat und ein deutscher Kontrahent miteinander diskutieren. Da liest sie zur Vorbereitung schon mal vier Bücher und zusätzliche Referate, „um mich nicht zu blamieren“.
Es kommen Geisteswissenschaftler und Schriftsteller zusammen, die es als Luxus empfinden, sich schon beim Frühstück austauschen zu können über ihre Themen. Drei Professoren aus Berkeley gaben einmal zu, dass sie sich zu Hause nie kennengelernt hätten. Und es kann passieren, dass der Professor einer Elite-Universität wie Harvard auf die Frage, wen er in Berlin sprechen möchte, sagt: „Auf jeden Fall Herrn Schäuble und Frau Merkel.“
Seit Januar hat Rosenberg bereits reduziert, sie ist nur noch für die Stipendiaten zuständig. Ende Juni ist ganz Schluss. Doch die dann 69-Jährige hat noch einiges vor. Die musische Früherziehung liegt ihr persönlich am Herzen. Mit ihrer verbleibenden Energie will sie dem Barenboim-Musikkindergarten zum Erfolg verhelfen. Sie bereut die vier Jahre nicht, im Gegenteil. Sie boten ihr die Gelegenheit, sich in Sujets zu vertiefen, auf die sie sonst nicht gekommen wäre. Die Serie „Head to Head“ wird sie weiter betreuen. Um die Academy macht sie sich keine Sorgen. In Zeiten des NSA-Skandals sei sie so wichtig, wie man es sich vor zwanzig Jahren nicht hätte vorstellen können. „Wir können nicht für die US-Regierung sprechen. Aber wir können Menschen zusammenbringen.“
Es gibt Stimmen, die dieses „Wir“ gern erhalten und sie selber an der Spitze der Academy sehen würden. Dagegen spricht der Wunsch nach deutlicher Verjüngung, für die der Literaturwissenschaftler Ulrich C. Baer oder die mit dem polnischen Außenminister verheiratete Ex-Stipendiatin Anne Applebaum stünden. Vielleicht wäre auch Debra W. Stewart, die Präsidentin des Council of Graduate Schools, eine Kandidatin. Zufällig legt sie ihr Amt zum 30. Juni nieder.
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