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"Fidelio" gespielt von Flüchtlingen.
© Jens Kalaene/dpa

Expat Philharmonic Orchestra: Welch Lust, den Atem frei zu heben

Noch nicht ganz rund: Beethovens „Fidelio“ als Flüchtlingsprojekt des "Expat Philharmonic Orchestra" überzeugt mit guter Musik, greift aber seine eigene Gründungsgeschichte nicht stimmig auf.

Beethovens „Fidelio“, musiziert von Auswanderern und Flüchtlingen aus dem arabischen Raum? Das klingt nach einer guten Idee. Denn schließlich knüpfen sich an das Werk dieser nicht nur für die europäische Musikkultur prägenden Künstlerpersönlichkeit eine Vielzahl von aktuellen Assoziationen. Angefangen von der Notwendigkeit, sich mit der Realität politischer Unterdrückung auseinanderzusetzen, bis hin zu Gedanken beim Libretto-Text des Ministers: „Es sucht der Bruder seine Brüder – und kann er helfen, hilft er gern.“

Völlig gelungen ist das Projekt des Expat Philharmonic Orchestra im Sendesaal des RBB indes noch nicht. Kein Grußwort und kein Programmzettel stellen die Musiker unter Julien Salemkour vor. So bleibt zwar die etwas unrunde Gründungsgeschichte außen vor – man spaltete sich im Januar beim ersten Projekt mit Beethovens 9. Symphonie in Rostock von dem syrisch geprägten „Syrian Expat Philharmonic Orchestra“ ab – aber so erfährt man auch nichts über den persönlichen Hintergrund der aus 13 Nationen stammenden Musiker.

Gut ist die Idee, die Dialoge der Oper weitgehend durch ein Interview mit einem syrischen Flüchtling zu ersetzen, der von einem politischen Gefängnisaufenthalt berichtet: Die Lust der Gefangenen, „in freier Luft den Atem leicht zu heben“, Florestans Hunger und Roccos Ausspruch „Das Herz wird hart durch Gegenwart bei fürchterlichen Dingen“ erhalten ohne inszenatorischen Aufwand eine aktuelle Kraft. Leider wird diese Wirkung durch Filmaufnahmen und Zitate rund um das muslimische Internierungslager Wünstorf aus dem Ersten Weltkrieg wieder beeinträchtigt – hier wird thematisch ein Feld eröffnet, das zu komplex ist, um sich auch noch mit Beethovens Geschichte zu verbinden.

Gute Musik, gute Sänger

Zu locker sind auch die Auftritte des Kinderchores der Staatsoper einmontiert, auch wenn sie mit arabischen Kompositionen für einen multikulturellen Akzent sorgen. Was über die dramaturgischen Schwächen des Abends tröstet, ist die musikalische Qualität: Salemkour und seine Musiker setzen die Partitur mit viel Feuer und Klarheit um, wobei der differenzierte Streicherklang, mit dem das Ensemble „Mir ist so wunderbar“ beginnt, nicht weniger berührt als die allzeit präzise geführten Blechbläserpartien.

Erfreulich ist auch die Sänger: Mit bisweilen leicht gedeckter, aber dramatisch sicherer Stimme gibt die an der Realisierung des Projekts mitbeteiligte Barbara Krieger eine präsente Leonore, der mit Ünüsan Kuloglun ein eher heldenhaft als still leidender Florestan gegenübersteht. Sein türkischer Landsmann Tuncay Kurtoglu stattet den Bösewicht Pizarro mit kraftvoller Autorität aus, Tobias Schabel gibt einen klar deklamierenden Rocco, während Narine Yeghiyan mit berückendem Timbre als Marzelline auf sich aufmerksam macht. Höchst engagiert ist auch der Gastauftritt von Mitgliedern des Staatsopernchores. Zu wünschen bleibt dem Projekt, dass es in Zukunft über das rein Musikalische hinaus zu einer klareren und fokussierteren Außendarstellung finden möge.

Carsten Niemann

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