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Der Nachbau des Direktorenhauses von Walter Gropius.
© epd / Christoph Rokitta

Bauhaus-Meisterhäuser in Dessau wiederaufgebaut: Weiße Pracht

Im Krieg zerstört, lange vergessen, jetzt neu aufgebaut: Die Bauhaus-Stadt Dessau hat nach siebzig Jahren ihre Meisterhäuser wieder komplettiert. Allerdings haben die Architekten auf ein "Konzept der Unschärfe“ gesetzt. Durch die Fenster kann man weder heraus- noch hereinschauen.

Strahlend weiß stehen sie wieder da auf der grünen Wiese, die legendären Dessauer Meisterhäuser. Wenn man die Augen zusammenkneift, dann scheint die Zeitreise fast perfekt: die messerscharfe Silhouette, die imposante Kubatur der Gebäude stimmt, die Kombination aus strenger Moderne und lauschigem Baumbestand besticht sofort. Deutschlands berühmteste Künstlerkolonie ist nach siebzig Jahren wieder hergestellt. Doch mit geöffneten Augen verfliegt die Illusion schnell. Die von einem britischen Jagdbomber im Zweiten Weltkrieg gerissene Fehlstelle, die Zerstörung des Direktorenhauses von Walter Gropius gleich an der Spitze und der unmittelbar benachbarten Doppelhaushälfte von Moholy-Nagy, wurde nicht einfach revidiert.

Wenn Bundespräsident Joachim Gauck am heutigen Freitag zur offiziellen Übergabe des Ensembles kommt, dann wird er zwei dezidierte Neubauten einweihen, die sich allerdings dem großen Erbe fügen. Das Berliner Architekturbüro Bruno Fioretti Marquez versuchte die Quadratur des Kreises, bei ihnen „Konzept der Unschärfe“ genannt. Aufgegangen ist es nicht. Die durch transluzente Scheiben wie erblindet wirkenden Fenster sorgen für einen abrupten Aufprall des Zeitreisenden in der Gegenwart. Weder kann herein- noch herausgeschaut werden. Sie signalisieren, dass hier keiner wohnt, sondern die reine Kunst regiert.

Das Ergebnis sind begehbare Archiskulpturen, die von außen schroff und abweisend wirken. Beim Direktorenhaus sollen sie für Besucherempfang und Ausstellungen, bei Moholy-Nagy zur Erweiterung des Kurt-Weill-Archivs dienen, das bislang in der erhaltenen Haushälfte logierte. Mit einem gewissen Bedauern kommt einem David Chipperfields elegantes Galeriegebäude gegenüber der Berliner Museumsinsel in den Sinn. Wäre der englische Architekt für die Dessauer doch nicht allein nur Berater geblieben. Trotzdem verdankt die Stadt ihm viel, zerschlug er doch den gordischen Knoten, so Bürgermeister Klemens Koschig bei der Vorbesichtigung. Chipperfield pochte auf zeitgenössische Eigenständigkeit, kombiniert mit Respekt vor dem Bestand.

Damit erinnerte er auch an den Geist des Bauhauses, das eigentlich nie der rechte Ort für Nostalgie war. Hier wurde das neue Wohnen, Leben, Denken geprobt. Das jahrelange Ringen um die richtige Form einer Vervollständigung des Ensembles, in dem einst die Bauhaus-Lehrer Paul Klee, Wassily Kandinsky, Georg Muche, Oskar Schlemmer und Lyonel Feininger residierten, hat sich trotzdem gelohnt. Statt zu rekonstruieren, wurde behutsam repariert, statt die Lücke zu übertünchen, wurde retuschiert.

Die verlorenen Meisterhäuser sind nur vage in ihrem äußeren Erscheinungsbild zurückgekehrt, ansonsten ist alles anders. Wo sich innen einst Decken und Wände befanden, haben die Architekten „subtrahiert“, so José Gutierrez Marquez. Stattdessen wurden sogenannte „Artefakte“ eingefügt, hölzerne Trockenbaugerüste, die nur andeutungsweise der ursprünglichen Zimmeraufteilung folgen. Als Clou hat sie der Berliner Künstler Olaf Nicolai mit einem geometrischen Raster aus vier verschiedenen Sorten Marmorstaub verputzen lassen. In ihnen fängt sich das Licht, mal blendend hell, mal stumpf verschluckt – eine Hommage an Laszlo Moholy-Nagy, den Multimedia-Künstler des Bauhauses und dessen Lichtexperimente. Nicolai nimmt sich hier ganz zurück, die Architekten werden es ihm gedankt haben, berührt seine künstlerische Intervention ihren Wurf doch nur zart.

Für Dessau ist die Vollendung der Künstlerkolonie der große Moment, in dem sich die geschundene Stadt, in der bis heute die Folgen der Bombardements im Zweiten Weltkrieg durch Leerstellen sichtbar geblieben sind, aufschwingt, Bauhaus-Kapitale zu sein. Weimar, wo die berühmteste Kunstschule der Welt ihren Anfang nahm, oder Berlin, wo sie wenige Monate nach ihrer Verdrängung aus Sachsen-Anhalt durch die Nationalsozialisten weiterexistierte, gebührt dieser Rang nicht, ist man hier überzeugt.

In Dessau stehen schließlich die meisten baulichen Zeugnisse: die Schulgebäude selbst, das Kornhaus an der Elbe, die Siedlung Törten, das Stahlhaus. Im Zuge des Wiederaufbaus der zerstörten Meisterhäuser wurde nun sogar ein kleiner Bau von Mies van der Rohe neu errichtet, eine Trinkhalle am äußersten Wiesenrand der Meisterhäuser, wo eine weiße Mauer das Grundstück zur Stadt hin trennt. Um sie gab es ebenfalls Streit, denn die Dessauer wünschten freie Sicht auf ihre Meisterhäuser. Doch wer sich für die Rückgewinnung der architektonischen Konturen entscheidet, muss auch deren frühere Einfriedung akzeptieren. Mag das Wohnen von Gropius im neuen Bau auch nicht sichtbar sein, der hier den Bauhaus-Stil halb öffentlich vorlebte, so verrät die Mauer doch viel von dessen Exklusivität.

Nun steht sie wieder samt Trinkhalle, dahinter die Meisterhäuser hintereinander aufgereiht. Die Zeit der Wundpflege sei nun vorbei, sagte Landeskonservatorin Ulrike Wendland. Und doch stimmt etwas mit der Feierstunde, dem krönenden Abschluss einer vierjährigen Bauzeit nicht ganz. Denn um einen bleibt es bei all der Freude erstaunlich still, der doch treibende Kraft des Unternehmens war: der geschasste Stiftungs-Chef Philipp Oswalt, der sich mit dem Kultusminister Sachsen-Anhalts, Stephan Dorgerloh, über die Standortfrage des neuen Bauhaus-Museums entzweite. Der eine wollte es in räumlicher Nähe zu den historischen Bauten, der andere im Zentrum der Stadt – ein Machtkampf. Zwei Monate vor dem Festakt lief Oswalts Vertrag aus, der ansonsten zweifellos verlängert worden wäre, steht 2019 doch das große Jubiläum zum 100. Geburtstag des Bauhauses an. In einem ganzseitigen „Zeit“-Artikel rechnet Oswalt nun mit seinem früheren Arbeitgeber ab, wirft Dorgerloh selbstherrliches Regieren vor.

Auch sonst schenkt er den Dessauern nichts, wie schon zu seiner Zeit als Bauhaus-Direktor. Zur Eröffnung der Meisterhäuser hatte der streitbare Architekt und Publizist früh eine Ausstellung zu deren Geschichte zwischen 1933 und 1945 geplant. Er darf sie noch eröffnen. Angenehm wird das für Dessau nicht, denn in die Meisterhäuser zog die Chefetage der Junkerswerke ein, die als bedeutender Rüstungsbetrieb der Stadt zunächst enormes Wachstum und dann verheerende Zerstörungen durch die Alliierten bescherten. Eine Abteilung widmet sich dem KZ-Gift Zyklon B, das ebenfalls in Dessau produziert wurde. Als besonderen Zeitzeugen hat Oswalt Henri Cartier-Bresson aufgetan, der 1945 zehn Tage lang die Rückkehr der Zwangsarbeiter dokumentierte. Damals entstand jenes berühmte Bild eines Spontangerichts ehemaliger Häftlinge, die eine Aufseherin anklagen. In Cartier-Bressons Bildsprache ist es der „entscheidende Augenblick“. Auch er gehört zu Dessaus Zeitreise.

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