Streit um Grass: "Wehrmacht bedeutete nicht automatisch SS"
Der Berliner Anwalt von Günter Grass, Paul Hertin, hat die Behauptung, der Schriftsteller habe sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet, als "Unverschämtheit" und "abenteuerlich" zurückgewiesen.
Hertin hat am vergangenen Mittwoch gegen eine entsprechende Passage in der Grass-Biografie von Michael Jürgs (Goldmann-Verlag) beim Landgericht Berlin eine Unterlassungsklage eingereicht. Grass habe sich als Jugendlicher im Zweiten Weltkrieg freiwillig zur Wehrmacht gemeldet, "und das bedeutete doch nicht automatisch die Zugehörigkeit zur SS", sagte Hertin. "Man muss die Sache auch nicht schlimmer machen als sie ist." Grass habe sich zu seiner Scham öffentlich bekannt. Aber Tatsachen dürften nicht mit Vermutungen oder Unterstellungen vermengt werden.
Grass (80) habe sich bereits 1942 als 15-Jähriger zur Marine gemeldet, ersatzweise zu den Panzertruppen, wie er es auch in seiner eidesstattlichen Versicherung betont, die der jetzigen Klageschrift beiliege. "Er hat damals als junger Mensch die Propaganda-Wochenschauen von den Kriegsschauplätzen gesehen mit ihren Heldenverehrungen, auch die Panzerschlachten mit General Rommel und war wie viele seiner Altersgenossen davon begeistert." Erst 1944 sei dann der Einberufungsbefehl gekommen, auf dem er die zwei berüchtigten Buchstaben SS gesehen habe. Das habe ihn später mit Scham erfüllt, aber es sei eine Einberufung gewesen und keine Freiwilligen-Meldung, betonte der Anwalt. Jürgs vermenge hier eigene Vermutungen mit Tatsachenfeststellungen.
Vorwürfe in "Aktualisierter Ausgabe"
Jürgs vertritt die Ansicht, Grass habe wissen müssen, dass es sich bei der Panzertruppe um eine Elite-Einheit der SS gehandelt habe. In seiner erstmals 2002 erschienenen Grass-Biografie nahm er in einer Neuauflage von 2007 ("Aktualisierte Ausgabe") den Satz neu auf: "Es war in der Tat neu und es war tatsächlich eine Sensation. Günter Grass bekannte, seine Nuss knackend, sich als Siebzehnjähriger freiwillig zur Waffen-SS gemeldet zu haben."
In der im Sommer 2006 erschienenen Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel" schreibt Grass: "Mein nächster Marschbefehl machte deutlich, wo der Rekrut meines Namens auf einem Truppenübungsplatz der Waffen-SS zum Panzerschützen ausgebildet werden sollte: irgendwo weit weg in den böhmischen Wäldern...Zu fragen ist: Erschreckte mich, was damals im Rekrutierungsbüro unübersehbar war, wie mir noch jetzt, nach über sechzig Jahren, das doppelte S im Augenblick der Niederschrift schrecklich ist? Der Zwiebelhaut steht nichts eingeritzt, dem ein Anzeichen für Schreck oder gar Entsetzen abzulesen wäre. Eher werde ich die Waffen-SS als Eliteeinheit gesehen haben... Die doppelte Rune am Uniformkragen war mir nicht anstößig. Dem Jungen, der sich als Mann sah, wird vor allem die Waffengattung wichtig gewesen sein."
Eidesstattliche Versicherung
In seiner jetzigen eidesstattlichen Versicherung betont Grass: "Ich habe mich als 15-Jähriger in Gotenhafen freiwillig zur Wehrmacht gemeldet, und zwar zum Dienst bei der U-Boot-Waffe, ersatzweise zur Panzerwaffe. Mit einer Meldung zur Waffen-SS hatte das weder direkt noch indirekt irgendetwas zu tun. Die Einberufung zur Waffen-SS erfolgte ohne mein aktives Zutun erst im Zuge der Zustellung des Einberufungsbefehls im Herbst 1944."
Der Justiziar des betroffenen Goldmann-Verlags, Rainer Dresen, bemängelt, es fehle "die klare und einfache Aussage: "Ich habe mich nicht zur Waffen-SS gemeldet."" Nach seiner Einschätzung wird das Buch bis zu einem rechtskräftigen Urteil im Buchhandel bleiben. (mit dpa)