Das Auswärtige Amt und der Nationalsozialismus: Wehret den Verharmlosungen
Hat die Studie "Das Amt und die Vergangenheit" die Verstrickung der Diplomaten des Auswärtigen Amts in den Holocaust dramatisiert? Moshe Zimmermann, einer der Autoren der Forschungsarbeit, antwortet seinen Kritikern.
Ende Oktober erschien die Studie „Das Amt und die Vergangenheit“ von Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann. Die vier Historiker haben im Auftrag des Auswärtigen Amts (AA) die Rolle der Behörde im „Dritten Reich“ untersucht. Seitdem gibt es Streit um das Ausmaß der Verstrickung der Diplomaten in den Völkermord an den Juden. – Moshe Zimmermann lehrt Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem.
Nicht unerwartet stieß der Bericht der Historikerkommission zur Vergangenheit des Auswärtigen Amtes auf großes Interesse, aber auch auf Kritik. Schnell wurde klar: Unter dem Deckmantel angeblich wissenschaftlicher Kritik versteckt sich oft der Wunsch, zur Rettung des Mythos vom „sauberen AA“ gegen die Nürnberger Urteile nach siebzig Jahren Revision einlegen zu wollen.
Das Ergebnis der Kommission, demzufolge das Auswärtige Amt an Verbrechen des Dritten Reiches nicht nur beteiligt war, sondern bei der „Lösung der Judenfrage“ mehrmals sogar die Initiative ergriffen hat, gerät in den Blickfang von Kritikern, die versuchen, entsprechende Informationen zu ignorieren und so vor allem dem Kommissionsmitglied die Legitimierung abzusprechen, das für die Ausführungen zum Holocaust verantwortlich ist. Den Ton gab hier ein Berliner Historiker vor: Statt ein Buch der Versöhnung sei eines der Rache entstanden. Wie bitte?
Die hier gesetzte Alternative – Versöhnung und Rache – kommt nicht zufällig, klingt dabei doch die alte antisemitische Unterscheidung zwischen Neuem und Altem Testament im Gegenüber von Versöhnung und Rache – „Auge um Auge“ – an. Daher halte ich es als das israelische Kommissionsmitglied, angeblich rachsüchtig und unfähig den Holocaust sine ira anzugehen, für angebracht, auf diese Kritik einzugehen.
Was stößt den Kritikern so schwer auf? Unverblümt gibt einer zu, der Holocaust stehe zu sehr im Vordergrund. Ein anderer ergänzt, die „Durchführung des Völkermords“ fungiere im Buch fast ausschließlich als „Lackmustest für das Verhalten im Dritten Reich“. Da muss man doch staunen! Kann das heute in Deutschland wirklich ein legitimer Kritikpunkt sein? Und wie sieht es mit sachlicher Kritik aus?
Zur Diskreditierung des gesamten Werkes richten Kritiker schweres Geschütz gegen zwei ihnen anstößige Passagen zur Rolle des Auswärtigen Amts bei der Entwicklung der „Endlösung“ im Januar 1939 und September 1941. Der Vorwurf des „Unsinns“ und „groben Fehlers“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kritiker die fraglichen Textstellen falsch gelesen und zitiert haben. Der intelligente Leser wird die Kritik letztlich mit dem Originaltext vergleichen.
Doch für den zeitlich überforderten Leser sei hier ein Beispiel angeführt: Im Bericht heißt es eben nicht, wie der „Spiegel“ mir vorwirft, dass „schon Anfang 1939 ... den deutschen Diplomaten habe ‚klar sein müssen’, dass ihre Behörde die ‚physische Vernichtung' der Juden anstrebe. Wo noch Hitler in seiner Rede für den Fall des Weltkriegs mit der ‚Vernichtung der jüdischen Rasse' gedroht habe".
Vielmehr heißt es mit Bezug auf die auf Seite 174 angeführte und an alle diplomatischen Vertretungen vor Hitlers Rede verschickte Aufforderung des AA-„Judenreferenten“, international eine „antisemitische Welle zu fördern“, um die „Judenfrage“ zu „erledigen“: Dies kann „nur als Aufforderung des AA verstanden werden, eine ‚Gesamtlösung' in Form eines ‚Judenreservats' oder durch physische Vernichtung anzustreben“. Es sei Unsinn, meint der Kritiker, „dem AA zu diesem Zeitpunkt die ,Initiative zur Lösung der Judenfrage auf europäischer Ebene'“ unterzuschieben. Aber genau dies versucht der „Judenreferent“!
Mir wird zudem vorgeworfen, kein Holocaust-Forscher zu sein. Diese grundlose Kritik richtet sich auch gegen die israelische Historikerin Dr. Irith Dublon-Knebel, die als Expertin auf dem Gebiet für die Recherchen zu dem Kapitel über den Holocaust zuständig war. Ist der Eindruck falsch, dass hinter der Kritik eventuell ein Neidgefühl gewisser Personen und Historiker steckt, die an der Arbeit der Kommission hätten teilnehmen wollen?
Im Versuch, das Auswärtige Amt von Schuld freizusprechen, wird von den Kritikern auf die Ohnmacht des AA im Gesamtapparat des Regimes hingewiesen. Aber kommt es nicht gerade auf die Absicht an? Der Gedanke, es müsse als „mildernder Umstand“ gewertet werden, dass Vertreter des AA „nur“ bereit waren, Juden zu entrechten, zu schikanieren, zu deportieren – ohne um Auschwitz am Ende der Kette zu wissen –, ist haarsträubend. Die Warnung, stets den Anfängen zu wehren, ist doch wohl die wichtigste Lehre aus der NS-Geschichte. Die moralische Verfehlung besteht bereits, wenn man eine Ausgrenzung von Menschen rechtfertigt und eine Lösung der „Judenfrage“ in Form von Ausweisung, Ausbürgerung, Deportation und Tod durch Arbeit unterstützt. Damit ebnet man letztlich den Weg für eine noch brutalere „Lösung“. Selbst wenn die Kritiker recht hätten und das AA an der Vorbereitung der radikalsten „Lösung“ nicht beteiligt gewesen wäre – was die im Buch erörterte Krummhübel-Konferenz widerlegt –, so blieben die Schlussfolgerungen der Kommission doch gültig.
Überraschend standen wir dann auch im Gegenwind aus anderer Richtung: Entgegen ursprünglicher Absicht konnte nicht in dem Verlag publiziert werden, in dem von Weizsäckers Sohn sein Buch veröffentlichte. Und schließlich: Ribbentrops Sohn verlangt, die Darstellung zum September 1941 zu revidieren, denn dort werde „die Verantwortung für den Holocaust Hitler und Ribbentrop persönlich“ (sic!) zugeschoben. Kommt es nun zum Prozess Ribbentrop vs. Zimmermann?
Moshe Zimmermann