Leiko Ikemura im Museum für Asiatische Kunst: Weckt die Götter!
Die japanische Künstlerin Leiko Ikemura stellt im Berliner Museum für Asiatische Kunst aus.
Ein Katzenpaar in der Vitrine, schemenhaft aus Lehm geformt, weißlich glasiert: Miko und Mikolina. Haben sich die beiden verirrt? Ins Allerheiligste des Museums für Ostasiatische Kunst, den Raum für Religiöse Kunst? Nicht ganz. Die Terracotta-Figuren, die sich in der Schwebe zwischen Mensch und Tier halten, sind nur besuchsweise einquartiert und doch besondere Gäste. Immer mal wieder lädt das Museum zeitgenössische Künstler ein, um sich aus der meditativen Stille wecken zu lassen, die sonst in Dahlem herrscht. Mit Leiko Ikemura, die Miko und Mikolina schuf, ist eine kongeniale Partnerin für diese Art der Auffrischung gefunden: Ihre Kunst kommt aus dem Jetzt und ragt doch in die Vergangenheit, gespeist von östlichen wie westlichen Quellen. Auf das Katzenpaar antworten zwei koreanische steinerne Tempelhüter des 18. Jahrhunderts, kindlich klein, anrührend wie Miko und Mikolina und doch Respekt gebietend.
„Korekara“, zu deutsch: „Von jetzt ab“, ist die Ausstellung der seit über zwanzig Jahren an der Hochschule der Künste lehrenden Malerin und Bildhauerin überschrieben. Wie ihre Kunst besitzt dieser Titel mehrere Bedeutungsebenen. Gerade hat Ikemuras Retrospektive im Nationalmuseum in Tokyo geendet, nun steht sie vor einem Neuanfang, dahinter geht es nicht zurück. Das Gleiche gilt für ihre Landsleute, die 2011 die Katastrophe von Fukushima erlebten. Von Berlin aus hat sich die japanische Künstlerin um Auseinandersetzung mit dem Unglück bemüht und in den Kunst-Werken die Ausstellung „Fukushima und die Konsequenzen“ organisiert. Was kann die Kunst, lautete dahinter die Frage.
Im Museum für Asiatische Kunst gibt Ikemura eine Antwort. „Die Heiterkeit des fragilen Seins“ lautet der Untertitel ihrer Ausstellung. Wie kaum ein anderer Künstler arbeitet sie in verschiedenen Medien: Malerei, Zeichnung, Bildhauerei, Fotografie und dazu Dichtkunst. Als wollte sie sich an diesem Ausgangspunkt, zurück in Berlin, all ihrer Talente vergewissern, führt Ikemura die Fülle ihrer Fähigkeiten vor – in allem virtuos, in allem melancholisch, denn ihre „Heiterkeit“ drückt sich in Memento moris aus. Ob es die Landschaftsbilder sind, bei denen sich Totenschädel in den Gebirgsformationen verbergen, Fotografien verwelkter Blumen oder die Skulptur eines trauernden Mädchens namens „Dolores“, stets schwingt der Tod mit. Für Ikemura stellt er jedoch nicht das Ende dar, sondern eine Form des Neubeginns im Kreislauf des Lebens. Umso mehr überraschte es die Künstlerin, auf diese östliche Weltanschauung auch in Mittelamerika zu stoßen. Ihre großen bläulichen Pastelle, die stilisierte Berge, Flüsse, Wolken ähnlich wie in der japanischen Malerei darstellen, entstanden nicht in Asien, nicht in Europa, sondern in Mexiko.
Leiko Ikemura ist eine Grenzgängerin zwischen vielen Welten, nicht nur zwischen Ost und West. Auch bei ihren Figuren ist nie ganz klar, wo sie angesiedelt sind: Mensch oder Tier, wachend oder schlafend, Kind oder Erwachsener. Gerade diese Ambivalenz macht ihre Werke faszinierend. Ihre liegenden lebensgroßen Terracotta-Köpfe mit halb geschlossenen Augen und geöffneten Mündern hauchen ihre Träume aus. Bilder scheinen um sie zu schweben, die nur der jeweilige Betrachter sehen kann, sind es doch seine eigenen Projektionen. Im Museum für Asiatische Kunst sind diese stillen Häupter von Gedanken ganz anderer Art umgeben, Haikus der Künstlerin, die in japanischen Schriftzeichen auf Wand und Boden aufgetragen wurden, wie ein Wörtermeer. „Träume verschlingend jede Nacht begib dich auf die Reise, deine Seele zu finden, ihr Farbe zu geben, um die Götter zu wecken.“ Die Museumsgötter haben diesen Ruf vernommen. Nun muss er nach außen dringen, als Ermutigung, im Jahr eins nach Fukushima.
Museum für Asiatische Kunst, Lansstr. 8, bis 22. 4.; Di–Fr 10–18, Sa/So 11–18 Uhr.
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