Käthe-Kollwitz-Preis für Adrian Piper: Watschen und Rosen
Die in Berlin lebende US-Künstlerin Adrian Piper erhält den Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste.
Momentan wird in Berlin wieder viel von der Mauer geredet: der historischen, deren Fall am 9. November wie jedes Jahr mit Festakten gedacht wird, und einer künstlichen, die samt Grenz- und Visakontrollen vier Wochen vorher rund um die Staatsoper Unter den Linden als Kunstprojekt wieder aufgebaut werden soll und entsprechend für Ärger sorgt.
Wer seinen Radius noch etwas vergrößert, stößt außerhalb des vom umstrittenen Großprojekt „DAU“ arrondierten Areals schon jetzt auf eine weitere Mauer, nur sehr viel kleiner und ebenfalls ein Kunstwerk. Es ist eine Skulptur der US-Künstlerin und analytischen Philosophin Adrian Piper, schlicht „Mauer“ betitelt, bestehend aus 25 zu einer Wand formierten Würfelbildschirmen mit Bewegt- und Standbildern. Sie steht im ersten Galeriesaal der Akademie der Künste am Pariser Platz, wo Piper anlässlich der Verleihung des Käthe-Kollwitz-Preises mit einer Ausstellung geehrt wird.
Was die Künstlerin von der anderen Mauer ihrer Kollegen hält, wenige hundert Meter die Straße Unter den Linden runter, kann man sie hier leider nicht fragen. Bei der Vorbesichtigung ihrer eigenen Schau hält sie sich fern, wie sie es seit Jahren praktiziert, ja nicht einmal beim Festakt am Freitagabend ist sie zugegen. Die Präsidentin der Akademie der Künste Jeanine Meerapfel wird ihr die Urkunde und den mit 12 000 Euro dotierten Preis irgendwann später überreichen – im kleinen Kreis, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wie es ausdrücklich heißt.
Ihre großen Themen sind Rassismus, Sexismus, Fremdenfeindlichkeit
Nein, Adrian Piper spricht nicht über ihre eigenen Werke, sie sollen selber wirken. Trotz all dieser Widerspenstigkeit hat die knapp 70-Jährige mit ihrem Schaffen weite Kreise erreicht. Auf der vorletzten Biennale in Venedig erhielt sie für ihre Installation „The Propable Trust Registry: The Rules of the Game #1-3“ den Goldenen Löwen, 2017 war das Werk als gewaltige Inszenierung in der historischen Halle des Hamburger Bahnhofs nochmals zu sehen. Gerade endete ihre Retrospektive im Museum of Modern Art in New York. Danach wandert die Schau in Teilen weiter nach Los Angeles.
Marcel Odenbach, Videokünstler und zusammen mit Wolfgang Petrick und Wolfgang Tillmans Mitglied der Jury für den Käthe-Kollwitz-Preis, ist bei seiner Begründung für die Wahl der Künstlerin sichtlich bewegt: „Adrian Piper hat unsere Sicht auf die afro-amerikanische Kultur, auf die Missstände verändert.“ Ihre großen Themen sind Rassismus, Sexismus, Fremdenfeindlichkeit, klug aufbereitet in minimalistischer Form oder nachhaltig als Performance serviert.
Odenbach erinnert sich noch genau, wie ihm die Künstlerin Anfang der 90er in einer Ausstellung in der New Yorker Galerie Paula Cooper vis–à–vis am Tisch ins Gewissen geredet hat. Ein unvergessliches Erlebnis für ihn und alle, denen sie damals den Kopf wusch. Von Pipers Rigorismus bekam hierzulande eine Ahnung, wer letztes Jahr ihre Ausstellung im Hamburger Bahnhof besuchte. Dort konnte man per Unterschrift beglaubigen lassen, dass man künftig nur noch die Wahrheit sagen, nicht käuflich sein und den Worten immer Taten folgen lassen werde. Die Verträge werden die nächsten 100 Jahre versiegelt aufbewahrt.
2005 brach die Künstlerin ihre Zelte in den USA ab, heute nennt sie es Flucht
Dass es bei so viel Strenge trotzdem eine humorvolle Note gibt, mag den meisten dabei entgehen. Sie lässt sich auch bei ihrer „Mauer“ in der Akademie der Künste entdecken. Auf den altmodischen Monitoren wechseln sich graues Gegriesel, sanft in Reih und Glied abgefilmte Rosen und das Standbild des New Yorker Senders CBS einander ab. Die Installation ist zugleich eine Hommage an ihre neue Heimatstadt Berlin. 2005 brach die Künstlerin in den USA ihre Zelte ab. Heute nennt Piper es Flucht. Nachdem sie 2006 entdeckt hatte, dass ihr Name auf der Liste verdächtigter Reisender geführt wurde, ist die Amerikanerin konsequent nicht mehr zurückgekehrt, auch nicht zur Eröffnung ihrer Ausstellung im Museum of Modern Art. Dass sie im Herzen immer New Yorkerin geblieben ist, verrät das CBS-Standbild. Ihre Bildschirm-„Mauer“ erinnert an eine Zeit, als nur das West-Fernsehen die Grenze in die DDR ungehindert überwand, mit Sendeschluss der Informationsfluss allerdings regelmäßig wieder versiegte. Einen Dornröschenschlaf schlief das Land trotzdem nicht, auch wenn die abgefilmten Rosen als ein Hinweis darauf gelesen werden könnten. Die Mauer fiel.
Adrian Piper greift mit ihren Werken weit aus. Mal nagelt sie den Einzelnen fest wie mit ihrer Gewissensbefragung beim „Propable Trust Registry“, dann schreitet sie mit Sieben-Meilen-Stiefeln die Menschheitsgeschichte ab – und das mit drei kleinen Sätzen. Unter dem Titel „Hier“ ließ sie die Sätze „Ich war hier – Wir waren hier – Wir sind hier“ auf Hebräisch, Deutsch und Arabisch tief in die weißen Wände des nächsten Ausstellungssaals fräsen. Da prangen sie nun wie Menetekel, geradezu erstrahlend durch das Himmelslicht, das durch die gläserne Decke fällt. Der Ich-Sprecher erweitert sich zur Gruppe, aus der Vergangenheit gelangt sie zur Jetztzeit und nimmt in einem Rutsch auch die drei Religionen mit. Wer die drei Sätze liest, befindet sich mitten in den Konfliktlinien der Gegenwart und muss sich positionieren.
Gerade darin besteht die Stärke von Adrian Pipers Werk: dass sie den Besucher immer wieder auf sich selbst zurückwirft. „Das Ding-an-sich bin ich“ lautet der Titel ihrer dritten Arbeit, bei der acht verspiegelte Plexiglas-Kuben auf einem gerasterten Boden stehen. Aus den Boxen dringen Stimmen in acht verschiedenen Sprachen, unter anderem Somali, Türkisch, Hindi und Persisch. Wer sie nicht spricht, versteht kein Wort und sieht sich selbst gespiegelt beim Versuch, wenigstens Brocken aufzuschnappen. Der Fremde bin ich.
Akademie der Künste, Pariser Platz 4, bis 14. 10.; tägl. 10 – 20 Uhr.
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