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Sandgesang. „Ferienzeit, Löwezeit, August, nichts für mich“, sang Hildegard Knef 1971 – und rappte vor der Zeit. Das Bikini-Bild ist sogar schon 20 Jahre älter.
© dpa

Sommerhits (1): Wäsche im Wind

Ob alte Schlager im Autoradio oder scharfe Rhythmen am Strand: Sommerhits gehören zum Urlaub wie die Sonnenbrille. In den Ferien erzählen wir hier alle paar Tage von der besten Musik für die heiße Jahreszeit.

Natürlich muss ein Sommerhit mit Meeresrauschen, Möwengeschrei und einer Akustikgitarre beginnen. Natürlich muss ein überaus muskulöser, überaus tätowierter Sonnenbrillenmann über einen Felsenstrand klettern und schmachtend singen: „Ay Fonsi / Oh, oh no, oh no, ey“. Eine Chica, bekleidet mit abgeschnittenen Jeans und einem Nichts von Stricktop, muss sich verführerisch an eine Hinterhofwand drücken, vor ihr schaukelt die Trockenwäsche im Wind. Das alles muss unglaublich scharf und exotisch aussehen, noch schärfer, noch authentischer. Zahnlose alte Männer müssen sich über ein Brettspiel beugen, während die Dorfjugend auf der Straße um ein brennendes Hip-Hop-Fass tanzt.

Jajaja, das alles steckt drin im Latinpopknaller „Despacito“ samt Video, den der puertoricanische Sänger Luis Fonsi mit dem Goldkettenrapper Daddy Yankee aufgenommen hat. Mit 4,6 Milliarden Clicks ist er gerade zum meistgestreamten Song und größten Sommerhit aller Zeiten aufgestiegen. Eine Hymne auf den Hedonismus, im 4/4-Takt zusammengefügt aus Latin- und Reggaeton-Bausteinen.

Fonsi, der Sonnenbrillenmann, ist unwiderstehlich, laut Google-Übersetzer singt er: „Sie, Sie sind der Magnet und ich bin das Metall / Ich bin immer näher und ich den Plan der Zusammen / Allein der Gedanke beschleunigt den Puls (oh, yeah).“ Was zum großen Pop fehlt, ist der richtige Punch, ein rhythmischer Twist, der (oh, yeah) aus der Salsa mehr macht als eine Soße. „La Macarena“ klang dagegen geradezu brodelnd und aufrührerisch. Hit heißt Schlag. „Despacito“ ist ein Schlag ins Wasser.

Hilde Knefs legendärer Nicht-Hit "Ferienzeit" stammt von 1971

Am besten sind die Sommerhits, die keine wurden. Bass, Schlagzeug, Bongos, zirpende E-Gitarren-Girlanden, mehr braucht es nicht. Und eine stoisch ungerührte Stimme, die mehr spricht als singt: „Heute kamen sie vom Mond zurück, / Ein Fallschirm ging nicht auf, der Dollar fällt, / der Dollar steigt, Föhn hängt zwischen Bergen.“ So beginnt „Ferienzeit“, der inzwischen legendäre Nicht-Hit von Hildegard Knef aus dem Jahr 1971, bei dem Zeitungsschlagzeilen, Gesprächsfetzen, Redensarten und Alltagsbeobachtungen zu einem hippiehaft pulsierenden stream of consciousness zusammenschießen.

Es geht um Banküberfälle und Flugzeugabstürze, Luftverschmutzung, München, das sich auf die Olympischen Spiele vorbereitet, Inflation und Stagnation sowie das beginnende Zeitalter des Wassermanns. Vermischtes und Esoterik. Manche Zeilen sind immer noch aktuell: „Tote auf der Autobahn, Tote in Pakistan.“ Der Song ist eine Zeitkapsel und eine Pioniertat. Denn Knef rappt ihre Sentenzen, sie erfindet den deutschsprachigen Hip-Hop, der doch erst zwanzig Jahre später loslegen wird. Der Refrain, der den Sommer als großen Stillstand beschreibt, lautet: „Ferienzeit, Löwezeit, August, nichts für mich / Diese lahme, lähmende Ferienzeit.“

„Ferienzeit“ war ein Flop, genau wie das Album „Worum geht’s hier eigentlich?“. Heute gilt es als ihr vielleicht bestes. Der Schlager-Anarchist Les Humphries hatte sich bei der Produktion um einen hallstarken Wall of Sound bemüht. Kennengelernt haben will die Knef die Musik von Humphries am Züricher Flughafen. „Unsere Maschine ging früh um halb sieben, ich sagte: Kinder, wir gehen nicht mehr schlafen. Statt dessen gingen wir in die Diskothek. Ich trank einen Whiskey, und dann hörte ich etwas, was ich wahnsinnig fand.“ Wahnsinn, das ist der Stoff, aus dem die wirklichen Sommerhits sind. Wahnsinn!

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