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Voll beschäftigt. Stress gibt es überall.
© picture alliance / dpa

Über Mütter: Was wollen die neuen Feministinnen?

Vier Kinder, lange Berufspause, Selbstverwirklichung, Freiheit – Feminismus und Familie gehen heute Hand in Hand.

Seit dem Aufkommen der Suffragetten hat es eine Vielzahl von feministischen Bewegungen gegeben. Lange Zeit war die Stoßrichtung klar: weniger Kinder, mehr Selbstbestimmung. Kinder wurden als Klotz am Bein der Frau auf ihrem langen Marsch in die Freiheit betrachtet. Noch Simone de Beauvoir klagt in „Das Andere Geschlecht“ (1949) über die hohe Sterblichkeit von Müttern bei der Geburt und im Wochenbett, über Elend und bittere Armut. Alice Schwarzer und andere Vertreterinnen der 68er stehen für einen Feminismus, der die moderne, unabhängige und politisch engagierte Frau weitgehend ohne Kinder denkt – sie selbst hat dies auch so vorgelebt.

Als Antwort auf die „griesgrämigen“ Altfeministinnen kamen die fröhlich-schicken Lipstick-Feministinnen der 90er, die sexuelles Selbstbewusstsein und eine „neue Weiblichkeit“ statt Männerabwehr und Schlabberlook feierten. Sie zelebrierten diese eher in der Mode und im Habitus als auf reproduktiver Ebene. Spaßhaben stand im Vordergrund, nicht Mütterpflichten. Bei Judith Butler wurde das Geschlecht vom Körper abgelöst, akademisiert und abstrahiert. Mit profan-irdischen Dingen wie biologischem Nachwuchs beschäftigt sich Butler erst gar nicht.

Seit einer Dekade mehren sich nun die Bücher von Autorinnen, die etwas erdverbundener sind. Zu ihnen gehören Alina Bronsky und Denise Wilk, Birgit Kelle (auch wenn sich alle von ihr abgrenzen), Gerlinde Unverzagt sowie Antje Schmelcher. Und jüngst Eva Corino („Das Nacheinander-Prinzip. Vom gelasseneren Umgang mit Familie und Beruf“), die darin eine neue feministische Bewegung sieht. Was wollen die neuen „Mütter-Feministinnen“?

Gemeinsamer Tenor dieser Bücher von Profi-Journalistinnen und Schriftstellerinnen ist: Der Feminismus hat die Mütter vernachlässigt. Da ist etwas dran, auch wenn übersehen wurde, welche Gedanken sich die 68er über Kinderläden und alternative Bildungskonzepte gemacht haben. Dennoch: Lange stand im Vordergrund, dass Mütter so schnell und effizient wie möglich in den nach wie vor von Männern bestimmten Arbeitsmarkt integriert werden. Corino spricht vom „Fetisch Arbeit“, Schmelzer hinterfragt, ob es bei dem gegenwärtigen rasanten Kita-Ausbau wirklich um ein genuin emanzipatorisches Anliegen geht oder eher ums Bruttosozialprodukt. Die Mütter-Feministinnen kritisieren die Scheinheiligkeit einer bis in die feinsten sozialen Kapillaren hinein durchkapitalisierten Gesellschaft.

Ist die Gesellschaft kinderfeindlich?

Eva Corinos Hauptanliegen ist: Der Arbeitsmarkt muss durchlässiger, fairer und moderner werden, um Menschen in höherem Lebensalter die Rückkehr in ihren Job zu ermöglichen. Warum muss in der „Rushhour des Lebens“ (Hans Bertram) alles zeitgleich geschehen: Kinderaufziehen, Netzwerken, berufliches Aufsteigen, Selbstverwirklichung? Corino argumentiert mit dem Familiensoziologen Hartmut Rosa und dem Arbeitsmarktforscher Hans F. Zimmermann: Die Menschen werden immer älter, warum sollte man nicht mit 40 oder 50 Jahren noch einmal beruflich Fuß fassen oder einen Neubeginn machen können? Die Mütter-Feministinnen sprechen auch für die überforderte „Sandwich-Generation“, die sich oft noch um alte Eltern kümmert. Sie erwähnen den Druck, der erzeugt wird, wenn „Supermütter“ wie die damalige französische Justizministerin Rachida Dati zwei Tage nach Geburt ihres Kindes auf Stöckelschuhen in den Elysée- Palast spazieren oder TV-Größen nach vier Geburten so aussehen, als wären sie nie schwanger gewesen. Hart-zu- sich-selbst-Sein: Dieses Bild der „erfolgreichen Mutter“ wird oft propagiert. Ist dieses Image wirklich so viel fortschrittlicher als das der Siebziger-Jahre-Hausfrau, die endlos bügelt? Und ist das möglichst zeitsparende „Outsourcen“ von Kindern der richtige Weg? Die Kinder-Betreuungsindustrie ist eine echte Wachstumsbranche!

Alle Autorinnen beklagen eine immer noch kinderfeindliche Gesellschaft. Eine Fahrt mit der Deutschen Bahn reicht, um ihnen zuzustimmen. Schmelcher erinnert daran, dass in einer berlinweiten Umfrage die „Übermutter“ zum Feindbild schlechthin erklärt wurde. In Alina Bronskys und Denise Wilks „Die Abschaffung der Mutter“ wird kenntnisreich dargelegt, wie der Staat Schwangere bevormundet oder die Freiheitsrechte von Müttern beschneidet. Die ernsthaft diskutierte Idee der „Kitapflicht“ – also nichts anderes als Eltern ihre Kinder von Staats wegen her wegzunehmen – ist nur eines der Beispiele. Sympathisch ist, dass Bronsky und Wilk gegen das Vorurteil antreten, Migrantinnen könnten kein liebevolles Zuhause aufbauen, nur weil sie oft der „Unterschicht“ angehören. Zu meinen, in einer überfüllten staatlichen Kita mit zum Teil wenig zugewandtem Personal seien ihre Kinder zwingend besser aufgehoben, zeuge von Überheblichkeit.

Gerlinde Unverzagt erklärt in „Eltern an die Macht!“, wie es zur medialen Mode wurde, Eltern für alles anzuprangern und ihnen jedes Selbstbewusstsein zu nehmen. Von Helikopter-Eltern über die Rabenmutter: Eltern, vor allem Mütter, können es angeblich nur falsch machen, dabei gab es noch nie so gut ausgebildete, friedliche, wenig gewaltaffine und tolerante Kinder wie heute – das belegt Jahr für Jahr wieder die Shell-Jugendstudie.

Was heißt Lebensglück?

Nun kommt der Pferdefuß: Während die 68erinnen oft die Kinder und fast immer die Mütter vergaßen, haben die Mütter-Feministinnen auch einen blinden Fleck in der Wahrnehmung: Männer. Sie prangern abstrakt ein neoliberales kinderfeindliches Wirtschaftssystem an, aber die Tatsache, dass es meist Männer – Lebensgefährten, Ehepartner – sind, die nicht weniger arbeiten oder länger als höchstens zwei Monate Elternzeit nehmen wollen, wird kaum reflektiert.

Mütter, so der Rat, sollen die wichtigen Dinge des Lebens – Familie und Beruf – nacheinander angehen. Männer brauchen sich offenbar nicht zu ändern, auf nichts zu verzichten. Eher macht man hämische Bemerkungen übers Gender- Mainstreaming und über Political Correctness (Kelle, Corino). Darüber könnten sich Leute freuen, mit denen die Autorinnen sicher eigentlich nichts zu tun haben wollen. Dass für Männer Familie meist nach wie vor ein Wochenend- Hobby ist, wird nicht kritisiert (nur Bronsky und Wilk hinterfragen den Einsatz der medial so gehypten neuen Väter). Dabei belegen Studien über die zwischen 1960 und 1975 Geborenen, dass diese ihren Vater in ihrer Kindheit „schmerzlich vermisst“ haben. Können wir das Kinderaufziehen heute nicht partizipativer gestalten? Was fehlt, ist ein Eintreten für ein Modell, bei dem nicht nur Frauen, sondern auch Männer ihr Leben nach der Ankunft eines Kindes verändern müssen. In Deutschland arbeiten 4,8 Prozent der Väter Teilzeit gegenüber 75 Prozent der Mütter. Studien belegen aber, dass Frauen gerne mehr und Männer gerne weniger arbeiten würden. Als ideal gilt eine Arbeitszeit von etwa 32 Stunden pro Woche. Das war der vernünftige Vorschlag von Manuela Schwesig (steuerfinanzierte 32-Stunden-Woche), der die Konservativen gleich in Rage brachte. Kinder wollen eines nicht: Eine Mutter, die ihr berufliches Fortkommen aufgegeben hat und ständig signalisiert „Ich habe mich für dich aufgeopfert“. Mütter, die ihr Lebensglück ausschließlich in Kindern sehen, können eine Belastung für ihren Nachwuchs sein.

Wird Arbeit überschätzt?

Die neuen Mütter-Feministinnen haben fast alle vier Kinder. Spätestens seit Florian Illies’ „Generation Golf“ (2000) ist es üblich, den eigenen Lebensstil zum Generationsmodell zu erklären. „Generation Golf“ war eher eine gut geschriebene Autobiografie als ein soziologisch stichhaltiges Werk. An dieser Egozentrik krankt, bei all seinen Meriten, auch der neue Mütter-Feminismus: In Deutschland hat nur jede elfte Familie mehr als zwei Kinder. Insofern steckt hinter der publizistischen Intervention der Mütter etwas Klientelpolitik. Denn dass man Kinder und Beruf nicht miteinander vereinbaren kann, ist eine Feststellung, die eher die „glückliche Mutter von vier Kindern“ (Corino über Corino) macht als die Mutter von ein oder zwei Kindern. Trotz der berechtigten Kritik am Fetisch Arbeit und der Frage danach, was im Leben wirklich zählt: Die meisten Mütter in Deutschland möchten nicht über Jahre (Corino spricht von bis zu zwölf Jahren) keiner anderen Tätigkeit als dem Kochen, Putzen und Versorgen von kleinen Kindern nachgehen. Den rührenden Beschreibungen von alltäglichen Mütterfreuden müsste man ehrlicherweise ebenso andere Beispiele entgegenstellen.

Auch wenn es richtig ist, dass der Arbeitsmarkt in Deutschland zu unflexibel ist, so muss man doch Corinos Vorschlag vom „Nacheinander“ infrage stellen. Nicht für alle Mütter bedeutet der Beruf eine neoliberale Last; er kann auch für Selbstverwirklichung stehen. Viele Mütter sind zudem auf ein Einkommen angewiesen.

Es ist wie bei vielen Dingen: Es kommt auf die richtige Dosis an. Feminismus ohne Mütter ist Unsinn. Aber Feminismus nur für sechsköpfige Familien auch. In den besseren unter den neuen Mütterbüchern finden sich weniger „Hurra- die-Hausfrau-ist-wieder-da!-Töne“ als Versuche, den Feminismus um eine wesentliche, bislang übergangene Zielgruppe zu bereichern. Aus den schlechteren dringt der Muff.

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