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Erinnerungsort. Bei der Lateinerbrücke in Sarajevo schoss Gavrilo Princip am 28. Juni 1914 auf Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie. „Hier findet man den Anlass des Ersten Weltkriegs, aber nicht die Ursache“, sagt Regisseur Kroesinger.
© picture alliance / dpa

"Schlachtfeld Erinnerung" am HAU: Was sind schon 17 Jahre Frieden?

Für ihr Dokumentartheater-Projekt zum Ersten Weltkrieg haben Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura in Sarajevo, Belgrad und Istanbul recherchiert. Jetzt kommt das Stück „Schlachtfeld Erinnerung 1914/2014“ nach Berlin.

In Sarajevo ist der Krieg noch lange nicht Vergangenheit. Selbst in der herausgeputzten Altstadt, der Stari Grad, weisen die Häuser noch Einschusslöcher auf. Das Historische Museum an der Hauptstraße Zmaja od Bosne widmet sich fast ausschließlich der über 1400 Tage währenden Belagerung. Der Zeit von 1992–96, als die Menschen ihre zerbrochenen Fenster mit UNHCR-Folie abdichteten und an jeder Ecke Pappschilder warnten: Pazi Snajper, „Vorsicht Scharfschütze“. Und gleich neben dem Dom läuft in der Dauerausstellung über die Massaker von Srebrenica ein Dokumentarfilm, in dem Mütter und Ehefrauen unter sichtlichen Mühen berichten, wie ihre Liebsten getötet wurden. Welcome to Sarajevo.

Die Lateinerbrücke mit ihrem weißen Steingeländer ist dagegen ein unspektakulärer Schauplatz. Touristen machen ihre Fotos, am Rande informiert eine Gedenktafel eher nüchtern darüber, dass hier vor 100 Jahren, am 28. Juni 1914, ein Mann namens Gavrilo Princip die Schüsse auf Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie abgab. Ein Attentat, über dessen Hintergründe bis heute gestritten wird und das rund 17 Millionen Tote zur Folge haben sollte.

„In Sarajevo findet man den Anlass des Ersten Weltkriegs, aber nicht die Ursache“, stellt Hans-Werner Kroesinger klar. Der Dokumentartheater-Regisseur hat sich zusammen mit der Filmemacherin Regine Dura über Monate auf Recherche an zentralen Orten des Geschehens begeben. Das vom Goethe-Institut gestiftete Projekt hat sie nach Belgrad, Istanbul und schließlich nach Sarajevo geführt. Sie haben mit serbischen, bosnischen und deutschen Performern in Workshops haufenweise historisches Material durchforstet und in Werkstattaufführungen vor Ort nach neuralgischen Punkten geforscht. Jetzt werden die Erzählstränge des Projekts „Schlachtfeld Erinnerung 1914/2014“ in Berlin am HAU verknüpft, wo aus den gewonnenen Erkenntnissen eine neue Produktion entsteht.

„Wir betrachten den Ersten Weltkrieg nicht als isoliertes Ereignis“, betont Regine Dura. Die Frage auch an die Interviewpartner in Serbien und Bosnien- Herzegowina lautete: „Welchen Nachhall hat der Krieg für die Gegenwart?“ Auf dem Balkan: einen dröhnenden.

Geschichte ist immer ein Instrument, mit dem sich ideologisch aufrüsten und Deutungshoheit bestimmen lässt. In Belgrad, wo das von der Nato zerstörte Verteidigungsministerium noch heute „wie eine Ikone gehalten wird“, so Kroesinger, haben die Theatermacher mit der Historikerin Dubravka Stojanović über ein Foto diskutiert. Es zeigt den Milizenchef Željko Ražnatović, genannt Arkan, der in den 90ern eine Popsängerin heiratete – in einer serbischen Uniform aus dem Ersten Weltkrieg. Nach Titos Tod, erklärte die Wissenschaftlerin, mit Erstarken der nationalistischen Strömungen, wurde dieser Krieg wieder identitätsstiftend. Verbunden mit der Idee eines großserbischen Reiches.

Eine zweifelhafte Renaissance erlebte auch der Drina-Marsch. Diese Hymne mit Popqualitäten, die anlässlich einer siegreichen Schlacht komponiert wurde. Oft gecovert, unter anderem von James Last. Die andere Seite ist, dass serbische Freischärler sie beim Einmarsch in Dörfer und bei Massenvergewaltigungen von Frauen einsetzten.

In Istanbul haben Dura und Kroesinger eine Aufführung auf dem Soldatenfriedhof in Szene gesetzt, der im Park der deutschen Botschaft in Tarabya liegt. Hier sind deutsche Kämpfer begraben, die während des Ersten Weltkriegs an den Dardanellen, in Anatolien oder Mesopotamien ums Leben kamen. Die Theatermacher hielten sich im März in der Türkei auf und erlebten den Feiertag, der an die Schlacht von Gallipoli am 18. März 1915 erinnert. Zu diesem Anlass schaltete Erdoğans AKP ganzseitige Anzeigen, die im perfiden Rekurs auf den ruhmreichen Sieg gegen die Engländer Front gegen die „inneren Feinde“ machten. Gegen die Gezi-Demonstranten. „Geschichte als Legitimationsgrundlage für Politik“, so Kroesinger.

Den Istanbul-Komplex, der von der deutsch-türkischen Waffenbruderschaft im Ersten Weltkrieg erzählt, verlagert Regine Dura in die zum Projekt gehörende Ausstellung „Open Spaces“ mit Interview-Videos, Audio-Installationen und begleitenden Texten. Die schiere Materialfülle hätte sonst den Rahmen gesprengt.

Am Attentäter von Sarajevo scheiden sich die Geister

Erinnerungsort. Bei der Lateinerbrücke in Sarajevo schoss Gavrilo Princip am 28. Juni 1914 auf Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie. „Hier findet man den Anlass des Ersten Weltkriegs, aber nicht die Ursache“, sagt Regisseur Kroesinger.
Erinnerungsort. Bei der Lateinerbrücke in Sarajevo schoss Gavrilo Princip am 28. Juni 1914 auf Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie. „Hier findet man den Anlass des Ersten Weltkriegs, aber nicht die Ursache“, sagt Regisseur Kroesinger.
© picture alliance / dpa

Wo beginnt die Erzählung? Auch das eine zentrale Frage, wenn es um den Ersten Weltkrieg geht. Auf dem Balkan mit dem Jahr 1912, als man über die Türken siegte. Was hierzulande eher ausgeblendet wird. Wie Kroesinger und Dura überhaupt festgestellt haben, dass sie für „Schlachtfeld Erinnerung“ wenig an Kenntnissen voraussetzen können. Lediglich in Bezug auf Gavrilo Princip existiert das, was Kroesinger „unscharfes Grundwissen“ nennt.

In Serbien und in der bosnischen Republika Srpska, deren Grenze auch durch Sarajevo verläuft, wird der Attentäter noch heute als Held verehrt. Die erste Gedenktafel von 1930, die Princip als Widerstandskämpfer gegen den österreichisch-ungarischen Usurpator feierte, wurde im Zweiten Weltkrieg von den einrückenden Deutschen abmontiert und Hitler als Kriegstrophäe zum 52. Geburtstag geschenkt. Möglich, erzählt Kroesinger, dass sie noch heute in den Beständen des Zeughaus-Museums ruht. In der bosnischen Föderation können sie auf den Princip-Kult gut verzichten. In dem Land, das eine offizielle Arbeitslosenquote von über 40 Prozent hat, macht sich eher Nostalgie nach den Tagen der Besatzung durch die Monarchie bemerkbar. Man geht ins „Wiener Café“ oder ins „Franz und Sophie“.

Derweil werden in Serbien und in der Republika Srpska anlässlich des Gedenkjahres neue Princip-Denkmäler eingeweiht. An dem Mann scheiden sich die Geister. Kroesinger und Dura haben in Belgrad einen Film über ein opulentes Reenactment des Attentats vorgeführt. Regie: Emir Kusturica, zum Serbentum konvertierter Bosnier. Ein vor plattem Pathos nur so donnerndes Spektakel, wenn der Schuss auf Franz Ferdinand fällt, hebt ein gigantisches Feuerwerk an. Danach sprang ein alter Mann erbost auf und rief: „Das repräsentiert uns Serben nicht!“

In Bosnien findet die Werkstattaufführung im „Sarajevo War Theatre“ (SARTR) statt, das sich während der Belagerung der Stadt gegründet hat. Die Performer, der Deutsche Armin Wieser und der Bosnier Benjamin Bajramović, lesen aus historischen Dokumenten. Darunter ein Buch über eine österreichische Eliteeinheit aus Bosniaken, oder ein K-u.-k.-Reiseführer durch Bosnien von 1910. Bajramovićs Passagen werden nicht übertitelt, erschließen sich aber aus dem Zusammenhang. Ein Prinzip, das auch in Berlin beibehalten wird. „Übersetzung“, sagt Kroesinger, „ist Interpretation.“

Einmal geht Wieser mit einem Foto durch die Reihen, das zerstörte Geschäfte in Sarajevo zeigt. Der Bosnienkrieg der 90er? Nein, Ausschreitungen gegen die Serben, die sich unmittelbar nach dem Attentat zutrugen. Auch darum geht es Dura und Kroesinger in „Schlachtfeld Erinnerung“: „Fenster in unbekannte Kapitel der Geschichte zu öffnen.“

Der Dokumentarfilmer und Leiter des SARTR, Nihad Kreševljaković, sitzt in seinem verrauchten Büro, vor sich auf dem Schreibtisch ein Bildband mit Fotos der über 1600 getöteten Kinder von Sarajevo, den er mit herausgegeben hat. Kreševljaković stammt aus einer Familie von Historikern, er hat selbst Geschichte studiert, bis der Krieg ausbrach und er anfing, mit der Kamera loszuziehen.

„Wir haben in Sarajevo alle ein posttraumatisches Stresssyndrom“, sagt er. Was sind schon 17 Jahre Frieden? Der Theaterleiter redet sich zwei Stunden lang in Rage. Über die vielen Gedenkprojekte zum Ersten Weltkrieg, die im Gegensatz zu dem des Goethe-Instituts die bosnische Perspektive zumeist ignorierten. Über das Versagen des Westens während der Belagerung. Und die Wunden der nahen Vergangenheit an diesem Ort. Kreševljaković sagt: „Das Jahrhundert des Krieges begann in Sarajevo. Und es endete in Sarajevo.“

Premiere im HAU am 11. Juni, weitere Aufführungen 13.–15. sowie 18.–21. Juni.

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