Ausstellung in Brüssel: Was nie neu begann
Kunst vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1968: Die Ausstellung "Facing the Future" im Brüsseler Palais des Beaux-Arts spiegelt politische Umschwünge wider.
Der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, so verkündete es lange die westliche Publizistik, entstieg die abstrakte Kunst als „Weltsprache“, befreit von den Fesseln der Nation wie denen der Geschichte. Ihre Apotheose erfuhr diese Sicht auf der zweiten „Documenta“ im Jahr 1959. Was später an Kunst geschaffen wurde, mochte zwar der Abstraktion konträr gegenüberstehen, festigte jedoch nur die Bedeutung der „Westkunst“. Unter diesem Titel wurde sie 1981 in Köln zelebriert, in einer Ausstellung derart groß, dass man sie aus den Museen hinaus- und in die Messehallen der Stadt hineinverlegte.
Demgegenüber ist die Ausstellung „Facing the Future. Art in Europe 1945–1968“ eher überschaubar zu nennen, die im Brüsseler Palais des Beaux-Arts, neuerdings lautmalerisch zu „Bozar“ abgekürzt, zu sehen ist und von dort aus ans Kunst- und Medienzentrum ZKM nach Karlsruhe und das Staatliche Puschkin-Kunstmuseum Moskau weitergereicht werden wird. Gemeinsam mit Peter Weibel, dem ZKM-Chef, hat der Berliner Kurator Eckhart Gillen die rund 180 Werke von 138 Künstlern zusammengetragen, die in Brüssel auf allzu engem Raum versammelt sind. Gillens Name lässt aufhorchen, denn er ist als einer der besten Kenner der Kunst beiderseits des früheren Eisernen Vorhangs hervorgetreten und hat insbesondere der doppelten deutsch-deutschen Kunst als Marksteine geltende Ausstellungen gewidmet.
Werke von Hans Richter und Max Beckmann
Den Umschlag von Flyer, Kurzführer und voluminösem Katalog ziert das Gemälde „Bauarbeiter“ von Fernand Léger aus dem Jahr 1951, der polit-optimistischen Phase des der Kommunistischen Partei seiner französischen Heimat nahestehenden Künstlers – tatsächlich trat er ihr im Oktober 1945 bei –, das nicht zufällig zur Sammlung des Puschkin-Museums zählt. Klare Formen, schaffende Menschen – und doch führt das Bild, hier offenbar als Signum einer Epoche verwendet, in die Irre. Die Ausstellung selbst nämlich ist geradezu das Gegenteil. Die beiden ersten der insgesamt sechs Kapitel, „Kriegsende“ und „Trauer und Erinnerung“ überschrieben, sind zutiefst verstörend. Die Vorstellung vom Neubeginn wird gründlich zunichte gemacht. In einer bedrohlich engen Installation schwarzer Stellwände finden sich Werke wie Hans Richters Collage „Stalingrad“ von 1943/46 oder Georges Rouaults „Der Gehängte“ von 1944; wer weiß heute noch, wie stark Rouault in den fünfziger Jahren als Deuter der Zeit gefeiert wurde?
Ganz am Beginn des Rundgangs steht ein Guss von Ossip Zadkines Bronzeskulptur der „Zerstörten Stadt“ (1953), deren Großform in der von der deutschen Luftwaffe ausradierten Stadt Rotterdam als Mahnmal am Hafen steht. Max Beckmanns „Abtransport der Sphinxe“, entstanden mitten während der Befreiung der Niederlande durch die Alliierten 1945, verrätselt den Wechsel zwischen Siegern und Besiegten in überzeitlicher Symbolik, die hier jedoch entschlüsselt wird als geradezu tagesaktueller Kommentar des Künstlers.
Die Schau wird bunter und klamaukiger, wenn sie sich den 60ern zuwendet
Aus Polen und dem ehemaligen Jugoslawien haben die Kuratoren etliche, hier völlig unbekannte Werke herbeigeholt, die mit der offiziellen Parteilinie nichts im Sinn haben. Und noch die Rehabilitation, die die Ausstellung DDR-Malern wie Willi Sitte oder Werner Tübke angedeihen lässt, die das Terrain der offiziell geschätzten Antifa-Kunst beackern, ist doch durch den Kontext einer insgesamt geschichtsvergessenen Nachkriegszeit legitimiert. Gern sah man auf östlicher Seite Gemälde wie das Großformat des Italieners Renato Guttuso, der 1950 die „Landnahme in Sizilien“ so farbkräftig malte, als ob es das Schwarz-Weiß des Neorealismus im Film nie gegeben hätte.
Gewiss, die Ausstellung wird heller, bunter, auch klamaukiger, sobald sie sich den 1960er Jahren zuwendet. Es gibt wenig Pop-Art, das war zwar keine rein amerikanische Erfindung, fand dort aber ihre stärkste Ausprägung. Europa – in diesem Falle Frankreich – hielt mit dem „Nouveau Réalisme“ dagegen, mit Plakatabrissen, Blechverformungen, Materialobjekten; Italien pflegte die „Arte povera“ der armen Materialien und Westdeutschland die glitzernde Objektkunst der Düsseldorfer „Zero“-Gruppe.
Spaltung der Welt in zwei große Blöcke
Aber am Ende der Sechziger stehen 1968, der Pariser Mai und der Abbruch der Biennale von Venedig. So gar nicht wird die zweite Hälfte dieser Dekade als Swinging Sixties gezeigt, vielleicht war der Blick der Kuratoren zu stark auf das kontinentaleuropäische Festland gerichtet. Kann man die Happening-Kunst der Sechziger ohne London, ohne die Massenkultur der Popmusik und -mode überhaupt verstehen?
Am Ende, chronologisch und im Rundgang, steht der in Brüssel, in seiner belgischen Heimat besonders stark herausgestellte Marcel Broodthaers, den man hier erneut als einen zutiefst melancholischen Menschen erfahren kann, so witzig manche seiner Arbeiten auf den ersten Blick wirken. Der allzu früh Verstorbene spielt nur, so scheint es, mit den Trümmern, in die die westliche Konsum- und Verdrängungsgesellschaft die vormalige bürgerliche Kultur bereits gelegt hatte.
Schade übrigens, dass Légers Großformat „Konstrukteure“ von 1951 nicht ausleihbar war. Im Katalog findet sich als Vergleichsabbildung das Titelblatt der sowjetischen Propagandazeitschrift „USSR im Bau“ vom November 1949. Bis in die Einzelheiten der Komposition hat Léger von dort das Foto einer sozialistischen Baustelle übernommen. Anders, als er selbst immer erzählte, aus der Erinnerung an den Bau einer Fabrik in Frankreich. Die Spaltung der Welt in zwei große Blöcke folgte unmittelbar dem Ende des Weltkriegs, und die Kunst konnte sich vor der Entscheidung nicht drücken, auf der einen oder der anderen Seite zu stehen.
Brüssel, Bozar/Palais des Beaux-Arts, Rue Ravensteinstraat 23, bis 25. September. Anschließend ZKM Karlsruhe. Katalog in Englisch, 49,99 €. Infos: www.bozar.be
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