Generationenromane: Was ist bloß mit den 30-Jährigen los?
Zwischen Weinerlichkeit, Wachstumsschmerz und Weltrettung: Die Generation der um die 30-Jährigen, Autorinnen wie Sarah Kuttner, Antonia Baum und Meredith Haaf, schreibt Bücher über ihre Ängste und Luxusprobleme.
Muss man sich ernsthaft Sorgen machen? Nicht um Europa, das Klima oder den Euro, das sind ja Sorgendauerbrenner, sondern um die Fast-Dreißigjährigen? In diesem Bücherherbst hat sich die Generation der Endzwanziger, Frühdreißiger vielfach artikuliert und darauf hingewiesen, dass sie Probleme hat, dass sie nicht einverstanden ist mit sich, mit der Welt. Leif Randt, Jahrgang 1983, und Antonia Baum, Jahrgang 1984, machten mit Romanen wie „Schimmernder Dunst über Coby County“ und „Vollkommen leblos, bestenfalls tot“ auf sich aufmerksam, auch an reinen Generationsbüchern fehlt es nicht: Nina Pauer, 29, schickt unter dem Titel „Wir haben (keine) Angst“ Ihresgleichen in Gruppentherapie, und Meredith Haaf, 28, sinniert in ihrem Buch „Heult doch!“ über „eine Generation und ihre Luxusprobleme“.
Mit der 32-jährigen Sarah Kuttner und ihrem Roman „Wachstumsschmerz“ ist diese Generation nun auch in den Bestsellerlisten vertreten. Wobei sich herausstellen muss, ob der Erfolg des Buches sich dem Promi-Status Kuttners verdankt oder seinem Stoff. „Wachstumsschmerz“ erzählt von der 32-jährigen Lisa, der das Erwachsenwerden nicht so recht gelingen will. Sie will mit ihrem Freund Flo zusammenziehen, hat aber Angst davor, sie weiß nicht, ob sie als Schneiderin Karriere machen soll oder nicht, nebenher modelt sie lustlos, von ihrem Vater fühlt sie sich nicht wirklich geliebt undsoweiterundsofort.
Als ihre Beziehung in die Brüche geht, sagt Luise zu Flo: „Ich weiß doch auch nicht. Ich bin einfach nicht zufrieden. Nicht mit mir, meinen Entscheidungen, meinem Leben und nicht mit dir. Uns.“ Das ist traurig – und nicht gerade weltbewegend. Der Satz aber beschreibt die diffuse Unzufriedenheit ganz gut, unter der auch Kuttners jüngere Kollegen und Kolleginnen leiden; eine Unzufriedenheit auf hohem Lebensniveau.
Nina Pauer fängt damit an, wie behütet ihre Generation aufgewachsen ist. Alles in bester Ordnung. „Eigentlich. Denn irgendwas fühlt sich merkwürdig an. Irgendwas ist irgendwie nicht ganz richtig, ist irgendwie nie ganz richtig.“ Leif Randts Held weiß: „Als wir die Kinder von Coby County waren, wussten wir noch nicht, dass wir an einem der besten Orte der Welt lebten. Heute ahnen wir es. Das macht es nicht leichter.“ Meredith Haaf ist sich sicher: „Solange diese Generation nicht begreift, dass es gar nicht mehr ums Erwachsenwerden geht, sondern längst ums Erwachsensein, wird sie weder für sich noch für die Gesellschaft Verantwortung übernehmen können. Aus demselben Grund wird ihr niemand diese Verantwortung zutrauen. Denn wer nicht weiß, wo er in der Welt steht, kann sie auch nicht verändern.“
Angst, Wut, Zaghaftigkeit - Was ist los mit den Dreißigjährigen.
Und Antonia Baums Ich-Erzählerin hat eine ganz andere Lösung parat. Sie „will nichts mehr tun, nichts mehr tun müssen, das ist mir mit das Wichtigste, dass ich nicht mehr zum Tun und Sein und Werden vor allem verpflichtet werde, ja es geht vor allem um meine Werde-Pflicht-Befreiung“. In den meisten dieser Äußerungen schwingt viel Selbstmitleid mit. Hier das Wohlbehütetsein, der Wohlstand, dort das Unbehagen an der eigenen, wattierten Existenz, das aber keine Abrechnungsfantasien mit den Eltern provoziert. „Ja: Unsere Eltern sind unsere absoluten Vorbilder. Und ja: Wir wollen genau so sein wie sie“, konstatiert Pauer und durchzieht ihren Text leitmotivisch mit den „Angstmachern“: der Angst vor der Durchlässigkeit sozialer Netzwerke, der Angst vor dem Tod der Eltern, der Angst vor dem politischen Statement.
Haaf attestiert ihrer Generation, perfekt mit dem Internet umgehen zu können, aber ein gesellschaftliches Projekt wäre das ja leider noch nicht. Bei Baum ist man zuerst beeindruckt von der kämpferischen Raserei der Heldin, der Thomas-Bernhard-Suada, mit der sie ihrem Hass Ausdruck verleiht: auf die getrennten Eltern und deren neue Partner, auf eigene Lover, die Kollegen in der Kunstmagazinredaktion. Doch mit den vielen Splattermomenten und Wiederholungsschleifen gerät das mehr und mehr zur selbstgefälligen Pose. Am Ende, als die Heldin auf dem Dach eines Hauses steht, erfährt man, dass Schreiben eine Rettung hätte sein können: „Unverschämt, anmaßend, überheblich fand ich es von mir, zu denken, es könnte überhaupt einen ganzen Satz oder gar eine Geschichte geben, und dann stand ich nach ein paar Tagen von dem Tisch auf und legte mich wieder hin, bis ich wieder aufstand und zurück zum Schreibtisch ging und umgekehrt, und das tat ich circa zwei bis sieben Jahre lang.“
Schreiben hilft, seien es Entwicklungsromane, seien es Generationsnabelschauen, wobei der Hintergrund jeweils ein bürgerlicher ist. Mit „Die Wütenden“ überschrieb die Journalistin und Buchautorin Jana Hensel („Zonenkinder“, „Neue deutsche Mädchen“) einen Text über Baum, Randt und Co. im „Freitag“ und beschwor mit Randts Roman gar „eine neue Zeitrechnung in der deutschen Literatur“. Im Gespräch mit Hensel gaben einige der Autoren einer diffusen Wut Ausdruck, deren Grund „nicht ohne weiteres zu benennen sei“, so Baum. Allein das mache schon wütend. Nach Lektüre ihrer Bücher müsste man die Dreißigjährigen aber eher „Die Ängstlichen“ oder „Die Zaghaften“ nennen. Sie finden es gut, über ihre Malaisen geredet zu haben, wissen aber nicht, wie sie mit der Freiheit zur Selbstverwirklichung, dem Druck zur Selbstoptimierung umgehen sollen. Mit einem Leben, das zwischen Genussarbeit, Leistungsdruck und einer durchs Internet induzierten Ich-Erschöpfung pendelt.
Dennoch überzeugt bei Baum und Randt der literarische Zugriff. Die Schwingungsarmut, das So-Laufenlassen hat bei Randt gar etwas Gespenstisches. Aber Wut? Generationsbücher sind ja nicht nur Selbstvergewisserungen, sondern auch Selbstheilungsversuche. Haaf glaubt, „wenn wir beginnen, Kritik zu üben und nicht immer alles richtig machen zu wollen, ergeben sich die Veränderungen von selbst“. Keinesfalls soll ihre Generation als diejenige in die Geschichte eingehen, die „ihre Welt veröden“ ließ, „weil sie zu viel Angst davor hatten, sie zu retten“.
Interessanterweise ist gerade ein Buch erschienen, das ebenfalls nicht ohne Generationslabel auskommt, aber die Weltrettung, genauer: den Kampf gegen den Klimawandel thematisiert, Daniel Boeses „Wir sind jung und brauchen die Welt. Wie die Generation Facebook den Planeten rettet“. Boese, Jahrgang 1976, porträtiert junge Klimaschützer überall auf der Welt, fest davon überzeugt, bei der „Geburt der größten Jugendbewegung aller Zeiten“ dabei zu sein, „politischer und internationaler, als es die 68er je waren“. Das Buch bestätigt zwar vor allem, dass das wirkliche Großwerden dieser Jugendbewegung wohl noch dauert – aber als Impulsgeber für die zaghaften Dreißigjährigen könnte es allemal taugen. Wenngleich es schwerfällt, sich Baums Erzählerin oder Pauers Figuren als Klimaaktivistinnen bei Weltklimagipfeln vorzustellen.
Kuttners Heldin Luise etwa sorgt sich lieber um den Dreisprung Zusammenziehen, Heiraten, Kinder. „Und vor lauter Schreck haben wir angefangen, das automatisch auch von uns selbst zu erwarten.“ Haaf ist da schon weiter. In der neuesten Ausgabe von „Neon“, der Zeitschrift für alle, die nicht erwachsen werden wollen, gelesen von 35- bis 55-Jährigen, schreibt sie darüber, wann der richtige Zeitpunkt für Kinder ist. Sie selbst ist gerade Mutter geworden. Muss man sich wirklich Sorgen machen? Ach, das wird schon alles.
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