Eröffnung von Young Euro Classic: Was die westliche Welt zusammenhält
Young Euro Classic startet im Konzerthaus am Gendarmenmarkt
Der Abend beginnt mit einer Schweigeminute für die Opfer von Barcelona. Der Vorschlag dazu ist nicht etwa von den Politprofis gekommen, von Staatsministerin Monika Grütters oder Berlins Kultursenator Klaus Lederer, die zum Auftakt von Young Euro Classic im Konzerthaus ans Mikrofon treten, sondern von den Mitgliedern des Schleswig Holstein Festival Orchesters. Vor 30 Jahren wurde das Ensemble als Völkerverständigungsprojekt gegründet, und natürlich sind auch diesmal Spanierinnen und Spanier dabei. Ex-Deutschlandradio-Chef Willi Steul, als Vorsitzender des Deutschen Freundeskreises europäischer Jugendorchester seit dem Start von Young Euro Classic im Jahr 2000 dabei, müht sich anschließend, den Bogen zurück zum freudigen Ereignis zu schlagen, indem er das Festival als Widerstand gegen den Terror wertet. Zur Verteidigung westlicher Werte gehöre es eben auch, sich den Genuss von Kultur nicht verbieten zu lassen.
1300 junge Musikerinnen und -musiker werden bei diesem Konzertmarathon bis zum 3. September am Gendarmenmarkt auftreten – und in der Tat präsentiert sich der 18. Jahrgang ganz besonders grenzüberschreitend. Erstmals ist die Zahl nationaler Nachwuchsensembles geringer als die Zahl gemischter Projekte: Zum Präludium am Donnerstag traten Chinesen und Deutsche zusammen auf, zum Finale wird eine kubanisch-europäische Truppe erwartet. Dazwischen sind Formationen zu erleben, die ehemalige Sowjetrepubliken ( I, Culture Orchestra am 23.8.) umfassen oder den Ostsee-Raum (Baltic Sea Philharmonic am 25.8.), die fernöstliche Länder vernetzen (Asian Youth Orchestra am 30.8.) oder einst als Brückenschlag über den eisernen Vorhang entstanden sind wie das Gustav Mahler Jugendorchester (31.8.). Viele Ensembles sprengen auch die gewohnten Konzertformate, flirten mit dem Film (Bundesjugendorchester am 20.8.), laden indische Musiker ein (O/Modernt Kammerorkest am 21.8.) oder wagen die Fusion von traditioneller türkischer Musik mit Klassik (Special Night am 22.8.).
Cellist Bruno Philippe spielt fein und beseelt
Das Schleswig Holstein Festival Orchester hat am Freitag einen Wunschkonzert-Evergreen und eines der forderndsten, faszinierendsten Meisterwerke des 20. Jahrhunderts dabei. Bruno Philippe ist der Solist in Haydns 1. Cellokonzert und er nimmt durch feines, beseeltes Spiel für sich ein. Der langsame Satz wird bei ihm zum Herzstück der Komposition, weil er hier besonders ausdrucksvoll auf seinem Instrument singen kann. Dass dem 23-Jährigen aus Nervosität ein paar unsaubere Töne dazwischen rutschen – geschenkt. Wie intensiv Christoph Eschenbach, seit 2004 künstlerischer Leiter des Orchesters, geprobt hat, zeigt sich besonders im Finale, weil die Musikerinnen und Musiker hier nicht nur quecksilbrig-lebendig begleiten, sondern auch klangrhetorisch so versiert sind, dass tatsächlich historische Entwicklungslinien hörbar werden, in diesem Fall Haydns Weiterentwicklung des barocken italienischen Virtuosenkonzerts à la Vivaldi.
Und dann kommt Olivier Messiaens „Turangalila-Sinfonie“, uraufgeführt 1949 vom Boston Symphony Orchestra und Leonard Bernstein, eine 80-minütige Feier der Liebe und der Freude, die jeden überwältigt. Mit Ausnahme des strengen Pierre Boulez natürlich, der diesen wilden, schillernden, maßlosen Klangrausch mit den Worten kommentierte: „Zu viel Zucker, zu viel Hollywood“. Aber genau das ist es ja: Ihre orgiastische Sinnlichkeit, ihre Furchtlosigkeit vor Extremen, die Art, wie sämtliche Möglichkeiten des allein um den frühen Synthesizer „Ondes Martenot“ erweiterten klassischen Sinfonieorchesters ausgereizt werden, hebt die „Turangalila“ heraus aus der Masse der Kopf-Musik des 20. Jahrhunderts, macht sie so unwiderstehlich. Vor allem wenn sie mit jugendlicher Power und rückhaltloser Hingabe aufgeführt wird wie hier.