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Monika Maron und Igor Levit – politisch können beide wohl nicht viel miteinander anfangen.
© dpa

Debatte über politische Künstler: Was die Fälle Maron und Levit verbindet

Was dürfen Künstler, was Verlage, was Journalisten? Monika Maron und Igor Levit sorgen für Diskussionen. In beiden Fällen geht es um Meinungsfreiheit.

Der Ton wird schärfer, das Klima angespannter, die Spaltung in der Gesellschaft tiefer. Wenn es etwas gibt, was die beiden jüngsten Kulturdebatten verbindet, dann das:

Wie stehst du zu Igor Levit und dem Vorwurf des „Süddeutsche“-Kritikers Helmut Mauró, der Pianist betreibe als „Twitter-Virtuose“ die „vehemente Ausgrenzung vermeintlich und tatsächlich Andersdenkender“? Und wie stehst du zur Trennung des S. Fischer Verlags von Monika Maron, ist das so eine Ausgrenzung, ein Akt der „Cancel Culture“?

Beides sind Glaubensfragen, Lagerfragen, unüberwindbar. Wer Levit verteidigt, wer ihn gegen den verschwurbelt antisemitischen Ton der SZ-Kritik in Schutz nimmt (es sind AfDler und andere Neu-Rechte, über die Levit sich in seinen Tweets aufregt), der kann ja wohl nicht gleichzeitig auf Seiten Marons sein, die einen Essayband im Buchhaus Loschwitz publiziert hat, einem Pegida- und AfD-nahen Kleinverlag.

Und einen wie Levit würde Maron wohl eben jenem linken Mainstream zuordnen, der „schnell moralisiert und moralisch abqualifiziert“, wie sie im Interview mit der „Welt am Sonntag“ sagte.

Beide Fälle lohnen einen genaueren Blick. Was ist also genau geschehen?

Am Freitag erschien unter der Überschrift „Igor Levit ist müde“ Maurós Attacke gegen den Pianisten in der „SZ“, in der er sich nicht nur über dessen internationalen Ruhm und das Bundesverdienstkreuz mokiert, sondern vor allem Levits Netz-Aktivitäten als Teil eines „diffusen Weltgerichts“ beschreibt, dessen Prozesse und Urteile auch auf „Opferanspruchsideologie“ beruhten. Mittlerweile hat sich die Chefredaktion der "Süddeutschen" für den von vielen als herabwürdigend empfundenen Artikel bei Levit und den Lesern entschuldigt, nachdem sie die Veröffentlichung zunächst verteidigt hatte.

Zwei Tage später erzählt die Schriftstellerin Monika Maron in der „WamS“ vom „Rausschmiss“ aus dem S. Fischer Verlag nach 40 Jahren und vom „vorauseilenden Meinungsgehorsam“ in Deutschland, auf den sie mit ihrer DDR-Biografie besonders allergisch reagiert. Einige Autoren von S. Fischer haben sich inzwischen hinter Maron gestellt.

Nicht-Einverstandensein gehört zur Kunst

Wer die Vokabel „Opferanspruchsideologie“ in einer Polemik gegen einen Pianisten – der wegen seines Judentums wiederholt angegriffen wurde – für antisemitisch hält, ist der jenes „Meinungsgehorsams“ verdächtig, wie Maron ihn gegenüber dem „Establishment“ der 68er-Generation walten sieht?

Die Schriftstellerin Monika Maron bekommt keinen neuen Buchvertrag mehr im Fischer Verlag.
Die Schriftstellerin Monika Maron bekommt keinen neuen Buchvertrag mehr im Fischer Verlag.
© dpa

Maron schimpft schon lange auf falsche Toleranz gegenüber Islam und Islamismus, auf Kopftücher als Zeichen der Unterdrückung, auf gendergerechte Sprache, übertriebene politische Korrektheit.

Das ist ihr gutes Recht, es sind oft bedenkenswerte Interventionen. Nicht-Einverstandensein gehört zu den hohen Tugenden in der Kunst. Ebenso ist es Marons gutes Recht, ihren Romanhelden ähnliche Haltungen angedeihen zu lassen.

Aber es verstört zunehmend, dass die Freiheit der Kunst, die Freiheit der Meinung auch bei anderen Autoren mit DDR-Biografie neuerdings so oft die Freiheit zu neu-rechtem, ausgrenzendem Gedankengut bedeutet.

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Der Verlag betont, nicht Marons „unterschiedliche“ Positionen zu politischen und gesellschaftlichen Fragen hätten zur Trennung geführt. „Autorinnen und Autoren dürfen und müssen auch provozierend und unberechenbar sein“, so Verlagsleiterin Siv Bublitz gegenüber der „Süddeutschen“.

Sondern ursächlich war die Tatsache, dass das Buchhaus Loschwitz zum Umfeld von Götz Kubitscheks Antaios-Verlag gehört. Mit dessen „völkischen und rassistischen Diskursen“ will Fischer nicht assoziiert werden, „auch nicht mittelbar“. Die Erfahrungen der NS-Diktatur, so Bublitz, hätten das Geschichtsbewusstsein des Hauses Fischer geprägt.

Das Nichtwissen Marons ist unglaubwürdig

Schwer zu glauben, dass eine Autorin wie Monika Maron, die unter der Meinungsdiktatur und dem Unrechtsregime der DDR gelitten hat, das weniger wichtig findet. Sie habe nicht gewusst, dass der „politisch mir ferne Kubitschek die Bücher vertreibt,“ sagte sie der „WamS“ und fügte hinzu: „Zeigen Sie mir mal einen Autor, der sich um den Vertrieb kümmert“.

Nicht-Wissen über die politische Ausrichtung derer, mit denen man zusammenarbeitet? Das ist unglaubwürdig, wo sich der Streit doch gerade um politische Ausrichtungen dreht. Gleichzeitig muss Fischer sich die Frage gefallen lassen, ob Marons „Fremdgang“ zu einem anderen Verlag nicht als Gelegenheit genutzt wird, um eine unbequeme Autorin loszuwerden.

Wie war das mit den jüngsten Gerüchten zu Uwe Tellkamp, der auch Texte in Kubitscheks Blog veröffentlicht hat? Suhrkamp hält an Tellkamp fest, noch jedenfalls.

Das lässt sich durchaus gleichzeitig sagen: Beides – Marons vermeintliche Ahnungslosigkeit in Sachen Antaios, das Abrücken des Verlags nach 40 Jahren – trägt zur Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas bei. Man ist unversöhnlich.

Eine alte Denkfigur: Opfer zu Tätern machen

Auch eine Zeitung macht Stimmung, verändert Stimmungen. Die „Süddeutsche“ stand zunächst zu Maurós Text, wie sie dem Pianisten mitgeteilt hatte, der sich auf Twitter eben darüber getroffen zeigte. Auch über die erste Stellungnahme des Blattes, derzufolge die Passage über das „diffuse Weltgericht“ und die „Opferanspruchsideologie“ sich nicht auf Levit oder das Judentum bezieht, sondern auf Twitter als Ort. Als ob der Kontext nicht klar sei.

Zudem ist es eine überkommene Denkfigur, Opfer zu Tätern zu erklären, wenn sie nicht furchtsam schweigen. Wer streitet, teilt aus, auf beiden Seiten. Erübrigen sich da nicht vielleicht die Kategorien von Täter und Opfer?

Igor Levit (r.), Pianist, und Leon Schwarzbaum, Holocaust-Überlebender, beim Internationalen Auschwitz Komitee.
Igor Levit (r.), Pianist, und Leon Schwarzbaum, Holocaust-Überlebender, beim Internationalen Auschwitz Komitee.
© Christoph Soeder/dpa

Die Diskreditierung jüdischer Musiker als entweder allzu politisch engagierte oder als überschätzte Künstler hat hierzulande ebenfalls Tradition.

Stichwort Daniel Barenboim, der sich immer wieder mit Interventionen zum Nahostkonflikt unbeliebt macht. Stichwort Kirill Petrenko, dem die „ Zeit“ einmal den „unmittelbaren, untrüglich intuitiven Bezug zur Musik“ absprach. Alles nur erarbeitet, aufgesagt, „vorgespielt“: das Stereotyp aus Richard Wagners Invektive gegen den Juden Mendelssohn-Bartholdy findet sich übrigens auch in einer Levit-Konzertrezension von Mauró vom Mai 2019.

Im aktuellen Text kritisiert Helmut Mauró Levits Klavierspiel, ohne sein Urteil näher zu begründen, was der profunde Pianistenkenner sonst meistens tut. Gut, auch Kritiker brauchen nicht immer bei ihren Leisten zu bleiben.

Aber die Qualität von Levits Klavierspiel ist das eine.

Dass er sich politisch einmischt, früher auch mal weit über die Stränge schlagend, dass er im Lockdown Twitter-Konzerte spielt und auch außerhalb der Klassikwelt einen Namen hat, etwas anderes. Dass sein Beethoven, sein Bach welthaltig ist, genährt von Empathie, Sorge, Zorn und Zärtlichkeit, ein drittes. Oft wird gute Musik erst da zu überragender Musik.

Shut up and play?

Der Musikkritiker als Gesinnungskritiker: Shut up and play. Die abgedroschene Aufforderung gilt immer wieder auch anderen Klassikstars, etwa dem Cellisten Alban Gerhardt, als er für „Pulse of Europe“ spielte.

Hier die hehre Kunst, da die Untiefen der Politik, bitte haltet euch raus. Als ob die Musik von der Politik je zu trennen gewesen wäre, von Repräsentanz und Subversion, Propaganda und Protest. Das Gleiche gilt für die Literatur, auch sie entsteht nicht im luftleeren Raum. Das wissen Schriftsteller und Musiker, Verlage und Kritiker, das wissen Leserinnen und Leser.

Der Debatte über das Wesen der Kunst, über den Zusammenhalt der Gesellschaft darf nicht der Boden entzogen werden. Bei allem Recht auf das scharfe Argument und die Erregung: Gespielte Naivität, Diffamierung und zerschnittene Tischtücher sind da nicht hilfreich.

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