zum Hauptinhalt
Ai Weiwei telefoniert 2012 mit seinem Anwalt.
© AFP

Ai Weiwei: Was Deutschland tun kann

Im April eröffnet in Berlin die bisher weltgrößte Ai Weiwei-Einzelausstellung. Über die Rechtslage des Künstlers, der nach wie vor seinen Pass nicht zurückerhalten hat und China nicht verlassen darf.

Einer, der seine Steuern nicht zahlt, darf sich nicht wundern, wenn er Ärger bekommt. Der Satz, der auf ehemalige Berliner Kulturstaatssekretäre noch zutreffen mag, fällt hierzulande gerne auch mal im Zusammenhang mit Ai Weiwei. Und noch eine wiederholte Bemerkung ist es, die den hiesigen Freundeskreis des chinesischen Künstlers auf den Plan rief: Wer seine Werke problemlos ins Ausland verschiffen kann, muss ja wohl mit den chinesischen Behörden kooperieren.

Ai Weiwei, Chinas bekanntester Regimekritiker und politischster Konzeptkünstler, der im Frühjahr 2011 für 81 Tage verschleppt worden war, der seine Kunst in Venedig, Toronto oder Berlin zeigen kann, nicht aber in China, dessen überaus populärer Blog seit 2008 gesperrt ist und der seit drei Jahren vergeblich auf die Rückgabe seines Reisepasses wartet – Ai Weiwei, ein bigotter Steuerbetrüger? Ende Februar ist der Berliner Rechtsanwalt Peter Raue nach Peking gereist, um in dessen Studio am Stadtrand gemeinsam mit dessen Anwälten Akten und Fakten zu studieren. Im Auftrag des Freundeskreises, der 2011 den „Berliner Appell“ zur Freilassung des Künstlers initiierte.

Das Ergebnis von Raues Recherche: Nichts, gar nichts liegt gegen Ai Weiwei vor. Zu keinem Zeitpunkt hat es ein nach chinesischem Recht gültiges juristisches Verfahren gegen ihn gegeben.

Für seine willkürliche Inhaftierung vor drei Jahren gibt es bis heute keine Begründung

Am Mittwoch stellte Raue seine Expertise im Martin-Gropius-Bau vor, wo am 3. April die bisher weltgrößte Einzelausstellung Ai Weiweis eröffnet wird, auf den Tag genau drei Jahre nach dessen Verschleppung. Für die willkürliche Inhaftierung gibt es bis heute keine Begründung, auch nicht für die Einziehung des Passes. Lediglich mündlich waren dem 57-jährigen Künstler mögliche Gründe mitgeteilt worden. Haltlose, abstruse Vorwürfe: Subversion, Pornografie (wegen einer Fotoarbeit, auf der er mit vier Frauen nackt posiert), Bigamie (weil er einen heute 5jährigen Sohn aus einer außerehelichen Beziehung hat), und: Steuervergehen.

Gewiss stehen die Schikanen in Zusammenhang mit Ai Weiweis Engagement für die Opfer des Erdbebens von Chengdu 2008. Der Künstler hatte mit einem Rechercheteam die Namen der 80 000 Toten gesammelt, auch der über 5000 Kinden, die in den billig konstruierten Schulgebäuden ums Leben kamen. Bis heute befasst er sich in zahlreichen Werken mit der korruptionsbedingten Tragödie, zuletzt auf der Venedig-Biennale 2013.

Der dann doch schriftlich erhobene Steuervorwurf bezieht sich ausschließlich auf die Firma „Fake“ – an der Ai Weiwei jedoch nie Anteile hatte. Geschäftsführerin ist seine Ehefrau Lu Qing, die ungehindert reisen kann. Etliche Mitarbeiter der Firma, die im Zuge von Ai Weiweis Arbeit als Architekt etwa des Pekinger „Vogelnest“-Stadions für die Olympischen Spiele tätig war, kamen 2011 für mehrere Monate in Haft, sind aber wieder auf freiem Fuß. Die angebliche Steuerschuld in Höhe von 600 000 Euro zuzüglich Zinsen und Strafgebühren wurde zwar feststellt, aber ebenfalls nie begründet. Trotzdem hat Ai Weiwei in Absprache mit der Finanzbehörde Ende 2011 eine entsprechende Summe für die Firma hinterlegt.

Absurdes Theater: Der Staat ruft das Geld nicht ab, bis heute. Vermutlich, so Raue, um weiter behaupten zu können, es gebe ein schwebendes Verfahren. Um ein Druckmittel gegen den Bürger Ai Weiwei in der Hand zu halten, der trotz seines gesperrten Blogs weiter im Internet unterwegs ist und etwa auf Twitter unentwegt all das fordert, worüber an Chinas Universitäten nicht einmal diskutiert werden darf: Mehr-Parteien-Demokratie, Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit.

Das Dilemma jedes dissidentischen Künstlers: Sein Nährboden ist das Land, das ihn loswerden möchte

Jedes Gericht in China untersteht einem Parteisekretär. Darauf macht Gropius-Bau-Direktor Gereon Sievernich aufmerksam. Schon deshalb wird es Chinas Behörden nicht beeindrucken, wenn man ihnen Rechtsbrüche nachweist, zumal seit gestern der Volkskongress in Peking tagt – da ist die Nervosität im Lande groß. Aber vielleicht beeindruckt es ja die Bundesregierung. Ende März kommt Staatspräsident Xi Jinping nach Berlin. Angela Merkel, so hofft Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste (der das Akademie-Mitglied Ai Weiwei gern bei der Jahresversammlung im Mai begrüßen würde), wird das Thema Ai Weiwei in die Verhandlungen einbeziehen. Das hatte die Kanzlerin schon beim Staatsbesuch 2012 in Peking getan. Staeck präzisiert: „Ich habe keine Hoffnungen, ich habe eine Erwartung“ – dass die deutsche Politik „nicht leisetreterisch“ auftritt.

Ebenfalls auf dem Podium sitzt der auf chinesische Kunst spezialisierte Galerist und Ai-Weiwei-Freund Alexander Ochs, der zur Kooperation des Künstlers mit den Behörden Auskunft gibt. Natürlich kann Ai Weiwei seiner Werke nur mit offizieller Erlaubnis etwa Richtung Berlin verschiffen. Er kann seine Kunst derzeit unbehelligt in Peking produzieren, sie auch ins Ausland verkaufen. Aber Ai Weiwei hat nach wie vor keine Chance, im Land selber auszustellen. Auch wenn er nicht mehr unter Hausarrest steht und sich „frei“ in China bewegen kann. Das heißt, er wird in seinem Studio unentwegt von Überwachungskameras beobachtet und von der Sicherheitspolizei beschattet, sobald er das Haus verlässt. Aber er hat kein Interesse, ins Exil zu gehen. China ist seine Heimat, auch seine künstlerische.

Es ist das Dilemma jedes dissidentischen Künstlers, im Reich der Mitte, im Iran, in anderen Unrechtsstaaten: Ihr künstlerischer Nährboden ist das Land, das sie gern loswerden möchte. Ai Weiwei erläutert denn auch in einer Videobotschaft, warum er seinen Pass braucht. Er will mit seiner Kunst reisen können, die Berliner Ausstellung eröffnen und seiner Lehrtätigkeit zum Beispiel an der hiesigen Universität der Künste nachkommen – und wieder zurück nach China können.

So steht vor seinem Haus im Künstlerviertel Caochangdi ein Fahrrad, in dessen Korb Ai Weiwei täglich einen frischen Blumenstrauß legt. Jeden Morgen um 9, unter den Augen der Überwachungskameras, die der Künstler mit roten Lampions bestückt hat. So lange, bis er seinen Pass wieder hat. Es ist die einzige aktuelle Installation von Ai Weiwei in ganz China ( www. aiweiwei.com/projects/with-flowers/).

Man darf sich keine Illusionen machen, sagt Gereon Sievernich. Der Schriftsteller Liu Xiaobo sitzt seit 2009 in Haft, ebenso etliche Menschenrechts-Anwälte. Von einer Besserung kann nicht die Rede sein. Und ja, es wird eine politische Ausstellung in Berlin. Mit Handschellen in Jade, nach Art deutscher Luxusautos lackierten Han-Vasen und 6000 Holzstühlen aus der Ming-Zeit im Lichthof des Gropius-Baus. Ein Pixelbild aus dem Reich der Mitte.

Zur Startseite