Kennedy, Obama, Trump: Was Bilder aus dem Weißen Haus über die Präsidenten verraten
John F. Kennedy inszenierte sich durch choreographierte Homestories, Obama präsentierte sein Leben als öffentliche Diashow. Und Trump? Wirkt wie ein einsames Standbild.
Der Präsident war sieben Tage tot, seine Witwe stand noch unter Schock, als sie einen Journalisten empfing. „She remembers how hot the sun was in Dallas“, lautet der erste Satz, mit dem Theodore H. White 1963 im „Life“-Magazin seinen „Epilog“ auf John F. Kennedys Präsidentschaft begann. Ein kurzes, aber folgenreiches Stück. Jackie Kennedy berichtet, wie sie das Attentat auf ihren Mann erlebt hatte und dass ein Gedanke sie seither umtreibe: „Es wird kein weiteres Camelot mehr geben.“
Camelot, das bezog sich auf den sagenumwobenen Hofstaat König Arthurs, der zur Kulisse eines populären Broadway-Musicals geworden war. JFK pflegte daraus zu zitieren. Als Kind war er so oft krank ans Bett gefesselt gewesen, dass er Zuflucht in den Rittersagen der Tafelrunde gesucht hatte. „Für Jack“, so seine Witwe, „bestand die Geschichte aus dem, was Helden tun.“ Er habe das Heroische auf eine Weise idealisiert, dass es Teil seines Charakters wurde. Jackies Botschaft an Amerika lautete: Ihr habt etwas Großes gesehen, aber es ist untergegangen.
Bis heute hält sich der Camelot-Mythos. Der Glanz der Kennedy-Ära hatte viele Ursachen, wichtig war, dass er sich über Bilder vermittelte. Fotografen wie Stanley Tretick von „Look“ wurde der Zugang ins Weiße Haus und in die Privaträume der Kennedy-Familie gewährt, es kam zum fortgesetzten Dialog über die Grenzen des Enthüllens und den politischen Sinn von Homestories.
Wie diese zustande kamen, rekapitulierte das 2012 erschienene Fotobuch „Capturing Camelot“ mit zahllosen Tretick-Aufnahmen. Es zeigt JFK beim Segeln in Hyannis Port, umringt von ausgelassenen Kindern, die sein Golf Car entern, bei Diskussionen mit seinem Bruder, Hand in Hand mit John jr. auf dem Weg in den Westwing. Es sind Sternstunden des politischen Journalismus, denn nichts an der Machtfülle eines Präsidenten ist so prekär wie Nähe.
Nicht minder ikonische Aufnahmen machte der Cheffotograf des Weißen Hauses, Pete Souza, von der Präsidentschaft Barack Obamas. Souza, 63, war schon Reagans Schatten gewesen, mit Obama fand er das dankbarere Objekt. Sein Fotoband „Obama. An Intimate Portrait“ (Little, Brown & Co, New York 2017, 350 S., 45 €) bringt einen ins Nachdenken darüber, was es mit der Macht in der Demokratie auf sich hat. Warum glaubte man in Obamas Oval-Office-Ära zwar nicht an ein neues Camelot, aber doch an die Politik eines offenen Hauses? Und warum gibt es seit Donald Trumps Amtsantritt vor knapp einem Jahr solche Einblicke nicht mehr?
Für den „New Yorker“ glich Obamas Präsidentschaft einer „öffentlichen Diashow“. Während die Kennedys noch aushandelten, in welchem Maß sich Bildreporter ihnen nähern durften – um von ihnen auch ausmanövriert zu werden –, gestattete Obama seinem Fotografen beinahe unbegrenzten Zugang. Pete Souza war dabei, als Obama sich kurz vor der Amtseinführung noch einmal im Spiegel betrachtete. Als er sich das erste Mal hinter den Schreibtisch im Oval Office setzte, der Tisch am Fenster, auf den die Amtsinhaber wichtige Fotos stellen, noch vollkommen leer. Als er beschloss, die Autoindustrie von Detroit mit einem Hilfspaket vor dem Untergang zu bewahren. Als die Explosion der Ölbohrplattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko sich zum Umweltdesaster auswuchs. Als Obamacare verabschiedet und Osama bin Laden getötet wurde, als der Präsident Westpoint-Kadetten erklärte, dass er sie in den Krieg schicken werde. Oder als er vom Amoklauf in einer Schule mit etlichen toten Kindern erfuhr und verzweifelt gegen das Sofa trat. Auch das Bild mit Angela Merkel vor dem Alpenpanorama von Elmau stammt von Souza, denn er antizipierte Obamas Körpersprache und seine Lust, das Außergewöhnliche zu tun, schneller als jeder andere.
Auf dem Flur albert der Präsident mit kostümierten Kindern herum
In den acht Jahren seiner Amtszeit „konnten wir nicht anders“, schreibt eine frühere Mitarbeiterin der Obama-Administration, „als ihn als visuelles Symbol zu verschlingen“. Obama selbst schien sich als ein solches zu verstehen. Eine seiner Gesten bei öffentlichen Reden war die, auf sich selbst zu deuten – als Zeichen dafür, dass sich etwas verändert habe im Land. „Seht mich an, schien er zu sagen, als ob das Hinsehen schon an sich politisch wäre“, so Vinson Cunningham im „New Yorker“.
Trump zeichnet seine Ungeschicklichkeit aus
Das Erstaunlichste an den Obama-Bildern ist die Verführungskraft, die wie bei Kennedy aus dem Anblick selbst hervorzugehen scheint. Weniger in den Aufnahmen, wenn der mächtigste Mann der Welt Entscheidungen fällt, sondern in den komischen Bildern. Etwa wenn Obama auf den Fluren des Weißen Hauses auf Kinder in Superhelden-Kostümen trifft und sich Scheinkämpfe mit ihnen liefert. Er hatte eine Art, sich über die Pflichten seines Amtes zu amüsieren, die seine Autorität umso mehr bezeugte. So schlich er sich an einen Jungen heran, der bei einem Besuch im Weißen Haus am Mittagstisch eingeschlafen war, und zeigte auf ihn. Weniger um den Burschen bloßzustellen, als vielmehr die Grenzen der eigenen Macht aufzuzeigen – wie sein Grinsen verrät.
Pete Souza will, dass man Obama als den Mann in Erinnerung behält, dem sein Job Spaß gemacht hat, dessen Zuversicht ansteckte und der sich nicht zu schade war, in den 40 wichtigsten Minuten seiner Amtszeit mit einem Stuhl in der Ecke vorlieb zu nehmen – in jener Stunde, als alles vom Geschick der Navy Seals abhing, den Staatsfeind Nummer eins Bin Laden in seinem pakistanischen Versteck zu schnappen. Es ist die Art Vermächtnis, die aus Vertraulichkeit hervorgeht. So wundert es nicht, dass Souza seine Obama-Bilder nun auf Twitter gegen Donald Trump einsetzt, um dessen Unvermögen im Kontrast zum Vorgänger deutlich herauszustellen.
Trump lässt nur wenig Privates nach außen dringen
In seinem New Yorker Tower war Trumps Büro vor allem mit Fotos von ihm selbst dekoriert, mit Titelbildern der Magazine, die Geschichten über ihn brachten. Er mag also Fotos, so viel lässt sich sagen. Trotzdem beschränkt sich das, was die neue White-House-Fotografin Shealah Craighead bislang veröffentlicht hat, auf statuarische Posen. Das Weiße Haus muss ein schrecklich einsamer Ort sein. Der, der es jetzt bewohnt, ist allein.
Allein am Fenster des Red Room, durch das er nach draußen blickt, als wollte er möglichst schnell fort von dieser Pracht alter Möbel, die so gar nicht zu seinem schlecht sitzenden Anzug passt. Allein am Resolute Desk, mit seinen Beratern als Staffage. Allein mit einem Manuskript, für dessen Studium er sich zur Wand eines Konferenzraums gedreht hat. Allein neben seiner Frau, die auch allein ist.
Es brauche Zeit, sagte die Fotografin in einem Interview. Zwar hat sie mit Laura Bush bereits Erfahrung im Weißen Haus gesammelt, aber da Trump und sie sich nicht gekannt hätten, „braucht es länger, sich mit jemand Fremdem im persönlichen Umfeld wohlzufühlen“. Immerhin sehe er inzwischen zu ihr herüber, wenn er bereit für ein Foto sei. Von der Hauptstadtpresse wird die versierte Frau für ihren geringen Ausstoß an Bildern kritisiert. Sie versichert, dass sie durchaus viele Fotos bei privaten Anlässen schieße, „die der Präsident gerne für sein Archiv hat, wie das bei Familienfotos üblich ist“. Es dürfte Trumps dynastischem Amtsverständnis entsprechen, Bilder vom Leben im Weißen Haus gänzlich für sich haben zu wollen. Craighead sieht ihre Aufgabe darin, die Entwicklung aufzuzeigen, die der politische Neuling im Amt nehme.
So sehr es stimmt, dass Bilder lügen, so sehr verraten sie auch Wahrheiten. „Macht bedeutete für Obama nie, dass er sich schlechtes Benehmen erlaubte“, schreibt der „Guardian“ mit Blick auf Souzas Fotos. Als der Fotograf den wiedergewählten Präsidenten 2013 nach der Inauguration fragte, ob er in dessen Limousine mitfahren dürfe, antwortete Obama trocken, dass er und Michelle eigentlich vorhatten „miteinander rumzumachen“.
Macht ist ein Spiel. Aber eben nicht mit ihren Möglichkeiten, wie Trump seit seiner Amtseinführung glauben machen will, sondern mit den Erwartungen an sie. Als mit JFK zwei junge Kinder ins Weiße Haus einzogen, warf das nach den Generälen und alten Männern im Oval Office die Frage auf, wie eine Familie dort überhaupt leben könne. Treticks Zudringlichkeit in dieser Sache war JFK zunächst gar nicht recht. Er wollte nicht ungefragt fotografiert werden, und als Tretick bei der Taufe von John Jr. mit in die Kapelle schlüpfte und die Zeremonie ablichtete, da verwies er ihn mit einer wischenden Handbewegung des Ortes.
Die Antwort lieferte dann John Jr. selbst, der den väterlichen Schreibtisch später als Versteck zu nutzen pflegte. Tretick machte eine Reportage über Little Johns Alltag, die über den Umweg einer Kindergeschichte das Wesen des Präsidenten zu beleuchten versuchte. Und wenn das bedeutet, einen Lachs in die Hände gedrückt zu bekommen wie Obama an irgendeinem Fjord in Alaska, und der Laich klatscht ihm auf die Präsidentenschuhe, dann sollte man dankbar sein für eine Fischersfrau, die sagt: „Er war bloß überrascht, Sie zu sehen.“
Darum geht es: gesehen zu werden. Aber es macht einen Unterschied, ob man einem selbstsicheren Mann bei der Arbeit zusieht oder einem von Komplexen behafteten Selbstdarsteller. Der Unterschied besteht darin, dass der eine seiner Umgebung ein gutes Gefühl vermittelt, weil er, um ein Wort Cunninghams aufzugreifen, „clearly in control“ ist.
Obamas Coolness erinnert an Jazz-Größen
Es geht um etwas anderes als Selbstbeherrschung. Da Obamas Auftreten offenkundig nichts mit Disziplin zu hatte, speiste es sich aus einer Coolness, die man auch an Duke Ellington, Lester Gordon, John Coltrane, den Helden des Jazz-Age, wahrnehmen konnte. Obamas Leistungen sind deshalb nicht über jeden Zweifel erhaben. Tatsächlich fällt seine politische Bilanz schwach aus. Doch Souzas „Intimate Portrait“ zeigt, dass Obamas Fähigkeiten zur Improvisation groß waren und dass sein Einfluss nicht mit jenem letzten Tag im Amt endete, da er beim Hubschrauberflug über das Weiße Haus sagte: „Da haben wir gelebt.“ Schon versank der mythische Ort unter ihm in den Traum zurück, aus dem Obama seine Ideale speiste.
Es ist ein alter Brauch, dass an den Wänden des Weißen Hauses stets wechselnde Bilder des Präsidenten hängen. Pete Souza nutzte den Regierungssitz ebenfalls als permanente Ausstellungsfläche. Nur ein Bild durfte er nie gegen ein anderes austauschen. Es war beim Abschiedsbesuch eines Karrierebeamten entstanden, bei dem dessen fünfjähriger Sohn Jacob eine simple Frage stellte. Er wollte wissen, ob sich Obamas Haar genauso anfühle wie sein eigenes. Da beugte sich der Präsident zu dem Kind hinab, es sollte die Antwort selbst herausfinden. Beinahe hätte Souza den Moment verpasst.
Das Bild mit dem Jungen fesselte stets die Besucher
Mit der Zeit entfaltete das Bild von dieser „Segnung“ durch einen schwarzen Jungen Wirkung. Obwohl Obama keine Scheu hatte, sich anfassen, herzen und beim Basketball-Training anrempeln zu lassen, war diese Berührung etwas Besonderes. Bei Führungen durch den Westwing blieben Besucher stets vor diesem Foto stehen, um die Geschichte dazu zu erfahren.
Bei alledem geht es darum, dass der US-Präsident eine Macht verkörpert, die über seine Vorstellungskraft hinausgeht. Ein Grenzerfahrung: Er kann gar nicht wissen, wie er das Amt meistern soll. Obama dürfte zugutegekommen sein, dass er das Amt als geistige Herausforderung ansah, weshalb man ihn auf den meisten Aufnahmen mit nichts anderem als mit Regieren beschäftigt findet. Und das ist dröge Arbeit. Memos lesen. Mit Beratern reden. Telefonieren. Geburtstagsgrüße überbringen. Zuhören und reden.
Trotzdem verwandelte sich das Weiße Haus unter Obama in etwas anderes als in jene Machtzentrale, die Trump so verteufelt hat. Es war ein gesellschaftliches Zentrum, das auch für Popstars und Hollywoodgrößen den roten Teppich ausrollte. Und die Botschaft lautete: Was hier geschieht, geht alle Amerikaner an. Nun ist die Politik im Weißen Haus eine Sache fürs Familienalbum geworden.