Fassadenstreit in Berlin: Warum es richtig ist, das "Avenidas"-Gedicht zu überpinseln
Die Debatte um das "Avenidas"-Gedicht an der Hochschulwand ist vorbei. Das verhandelte Thema aber nicht erledigt. Es geht um Subjekt und Objekt, darum, wie Männer und Frauen sich ansehen. Ein Nachtrag.
In der vergangenen Woche hat der Akademische Senat der Alice-Salomon-Hochschule nach jahrelanger Debatte beschlossen, ab dem Herbst 2018 das Gedicht des Schriftstellers Eugen Gomringer mit dem Titel „Avenidas“ zu ersetzen. Nach der Entscheidung schwappte eine weitere Welle der Empörung über die Entscheidung durch Berlin. Kulturstaatssekretärin Monika Grütters (CDU) sprach von einem „erschreckenden Akt der Kulturbarbarei“, die „Welt“ von einem „Generalangriff auf unsere Kultur und damit auf unsere Freiheit“, Jens Spahn teilte das Gedicht auf Twitter.
Mag sein, dass die Sache damit gegessen ist – der „Kulturkampf“ aber wird sich fortsetzen. Er scheint auf in der Debatte um #metoo, im Streit darüber, ob ein älterer Botschafter bloß ein nettes Kompliment macht, wenn er einer Staatssekretärin sagt, so eine junge und schöne Frau habe er zu einer Podiumsdebatte nicht erwartet. Der Kampf wird weitere Anlässe finden. Es geht dabei nicht um die Freiheit von Kunst und Sprache. Im Kern geht es um die Frage: Wie sehen wir – Männer und Frauen – uns an? Mit welchem Blick? Wie sorgsam? Gomringers Gedicht führt in den Kern dieser Debatte. Deshalb zwei Nachsätze dazu, sozusagen fürs nächste Mal.
Die Hochschule muss sich nicht mit einem Gedicht schmücken, das ihr nicht gefällt
Das Gedicht von Eugen Gomringer ist sexistisch. Mit genial einfachen stilistischen Mitteln werden Frauen und Objekte semantisch gleichgesetzt und zum passiven Betrachtungsobjekt eines männlichen Flaneurs („Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“). So sah es auch der Asta. Es wäre falsch, die Literaturgeschichte von diesem Blick „reinigen“ zu wollen, es bliebe auch nicht viel übrig. Aber das ist auch gar nicht die Intention des Asta oder der Hochschule. Es geht darum, ob sich eine Institution diese Sprachperspektive gleichsam zum Leitmotiv machen möchte, indem sie den Text an eine Außenfassade malt. Und da ist die Hochschule frei.
Manchmal hat Bewunderung sogar was mit Begierde zu tun. Das ist auch o.k. so, solange sie nicht ungefragt ausgelebt wird. Lust gehört zum Leben!
schreibt NutzerIn rosalia
Frauen, ebenso wie Männer, sollten immer den Anspruch formulieren dürfen, nicht als Objekte betrachtet zu werden. Und dieses Zum-Objekt-Werden werden findet nun einmal zuerst, niedrigschwellig, in der Sprache statt. Sollte Sprache, die Menschen zu Objekten macht, verboten werden? Nein! Muss man sie auf Häuserwände malen? Ebenfalls nein. Die Übermalung ist keine identitätspolitische Bücherverbrennung. Menschen, die diesen einfachen Anspruch formulieren, zu Feinden der Kunst- und Meinungsfreiheit zu erklären, ist falsch.
Wie sollten wir uns ansehen? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: immer als Menschen, als handelnde Subjekte mit einem eigenen Willen, mit Empathie für das Wollen des anderen. „Avenidas“ ist das Kunst gewordene Gegenteil dieses Blicks.
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