Geschichte der Klimaforschung: War Alexander von Humboldt der erste Ökologe?
Der Universalgelehrte warnte bereits im 19. Jahrhundert vor der Abholzung der Wälder. Manchen gilt er als Vordenker der Klimaforschung. Ein Gastbeitrag.
Der Mensch, schreibt Alexander von Humboldt, verändere das Klima „durch Fällen der Wälder, durch Veränderung in der Verteilung der Gewässer und durch die Entwicklung großer Dampf- und Gasmassen an den Mittelpunkten der Industrie.“ Diese Feststellung findet sich in seinem Buch „Central-Asien. Untersuchungen über die Gebirgsketten und die vergleichende Klimatologie“. Es erschien 1843 zunächst auf Französisch und ein Jahr darauf dann auf Deutsch.
Von „mehr oder minder schädlichen gasförmigen Exhalationen spricht er dann später auch in seinem „Kosmos“. Die menschgemachten Wolkenmonster, Herrschaftszeichen der Industrialisierung, erlebte er selbst hautnah in Berlin. Tag für Tag standen sie dort im Himmel über der Oranienburger Vorstadt, dem heutigen Stadtteil Mitte. „Feuerland“ nannten die Bewohner die industrielle Keimzelle Berlins. Die dicksten Rauchwolken stiegen über der Maschinenbau-Anstalt von August Borsig auf.
Aber hat Humboldt, wie Andrea Wulf in ihrem Bestseller „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ meint, tatsächlich „als erster Wissenschaftler vor den dramatischen Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels gewarnt“? Wulf hat den Forscher aus Schloss Tegel, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr weltweit gefeiert wird, zum Mega-Öko-Star ausgerufen, und das nicht ganz zu Unrecht. Seine Natur- und Klimaforschungen sind verblüffend aktuell. Dass allerdings der anthropogene Einfluss auf das Klima zur größten Bedrohung der Menschheit werden sollte, konnte Humboldt nicht voraussehen.
Die Zivilisation übe, schrieb er 1843 in seiner Studie, „keinen merklichen Einfluss“ auf das Klima aus. Damit hatte er zu seiner Zeit vollkommen recht. Er kannte zwar das CO2, das Kohlenstoffdioxid, und es war ihm auch klar, dass die industriellen Exhalationen dieses Gas enthielten. Von seiner Wirkung als Treibhausgas konnte er jedoch damals noch nichts wissen. Interessanterweise beschreibt er im dritten Band seines „Kosmos“ 1850 sogar den natürlichen Treibhauseffekt. Er bezeichnet ihn korrekt als „Wärmestrahlung der Erdoberfläche gegen das Himmelsgewölbe“. Dieser Effekt sei, so Humboldt, wichtig „für alle thermischen Verhältnisse, ja man darf sagen für die ganze Bewohnbarkeit unseres Planeten.“ 1859, in Humboldts Todesjahr, wies der irische Naturforscher John Tyndall dann nach, dass CO2 ein Treibhausgas ist.
Aber erst 1896 erkannte der schwedische Physiker und Chemiker Svante Arrhenius, dass die Menschen durch Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre die Temperatur auf der Erde erhöhen. Im Jahr 1906 berechnete er, dass eine Verdoppelung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre zu einer weltweiten durchschnittlichen Temperaturerhöhung von 2,1 Grad C führen würde. Damit lag er, wie der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber bestätigt, nahe an den Abschätzungen, die man heute mit den aufwendigsten Computersimulationsmodellen erzielt. Allerdings sah Arrhenius darin keine Gefahr, da er aufgrund der damaligen Emissionen schätzte, dass der CO2-Gehalt erst in mehreren tausend Jahren auf das Doppelte ansteigen würde. Ganz im Gegensatz zu der mit ihm entfernt verwandten Klimaaktivistin Greta Thunberg, erkannte er damals allerdings keine Bedrohungen, wenn „die Menschen unter wärmerem Himmel leben“.
Als Humboldt um 1840 im Berliner „Feuerland“ stand, kannte er also die Wirkung des CO2 als Treibhausgas noch nicht, und noch weniger konnte er voraussehen, dass die Weltbevölkerung von 1,2 auf heute über 7,6 Milliarden Menschen anwachsen würde. Auch ahnte er nicht, wie sehr sie ihre Lebensweise von der Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen abhängig machen und durch die Emission von CO2 und anderen Treibhausgasen das globale Klima aufheizen würde.
Kritik an europäischen Kolonialisten
Diese Emissionen sind der entscheidende Faktor für den Klimawandel. Die Gesamtkonzentration von CO2 in der Atmosphäre lag damals bei circa 280 ppm, heute beträgt sie mehr als 410 ppm. Gleichzeitig erhöhte sich die weltweite Durchschnittstemperatur um circa 1 Grad Celsius. Die Faktoren des anthropogenen Klimawandels hat Humboldt damals zwar erkannt, deren Dimensionen allerdings nicht. „Vor den dramatischen Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels“ hat er nicht gewarnt.
Gewarnt hat er allerdings vor etwas anderem. In seiner „Reise in die Äquinoktialgegenden des neuen Kontinents“ veröffentlichte er 1819 eine Klimastudie über die Region des Valencia-Sees in Venezuela. Darin schreibt er: „Fällt man die Bäume, welche Gipfel und Abhänge der Gebirge bedecken, so schafft man in allen Klimazonen kommenden Geschlechtern ein zwiefaches Ungemach: Mangel an Brennholz und Wasser.“ Er hatte beobachtet, dass die europäischen Kolonisten die Wälder rings um den See weiträumig gerodet hatten. Die Landschaft war ausgetrocknet, der Erdboden erodiert und der Wasserspiegel des Sees gesunken.
Humboldt nannte dies „Menschenunfug, der die Naturordnung stört.“ Unbegreiflich, „dass man im heißen, im Winter wasserarmen Amerika so wütig als in Franken abholzt und Holz- und Wassermangel zugleich erregt", schrieb er in sein Reisetagebuch. Humboldt erkannte die Bedeutung der Wälder für den Wasserhaushalt der Landschaft: Sie wirken als Wasserspeicher, verhindern die Erosion und Austrocknung der Böden und erhalten „durch ihre Ausdünstung in die Luft“, wie er wusste, die lokale Luftfeuchtigkeit. Umfangreiche Waldrodungen würden seiner Ansicht nach das lokale Klima verändern.
Im Jahr 1858, kurz vor seinem Tod, vermutete er dann sogar, dass der Mensch auch das überregionale Klima beeinflussen könne, wenn er durch Zerstörung der Wälder massiv in die Landschaft eingreife. Heute weiß man, dass er mit seinen Thesen vollkommen recht hatte. Allerdings ist es, das sollte betont werden, nicht die Abholzung der Wälder, die unsere heutige globale Klimaerwärmung verursacht, sondern die Emission der Treibhausgase.
Viele Forscher gingen von Humboldts Thesen aus
Humboldts Studie zum Klimafaktor Wald war seit den 1820er-Jahren Anlass für viele Forscher, seine Thesen zu überprüfen, zu ergänzen und auch entsprechende politische Konsequenzen einzufordern. In seinem Buch „Klima und Pflanzenwelt in der Zeit“ warnte der deutsche Agrarwissenschaftler und Botaniker Carl Fraas 1847 vor dem wachsenden Bedarf an landwirtschaftlich nutzbarem Boden: „Das Verschwinden ganzer Vegetationscharaktere in Wald, Wiese und Flur“ gefährde die Zukunft Europas.
In einem Bericht, den der Meteorologe Daniel Lee im Jahr 1849 im Auftrag der US-Regierung verfasste, beklagte dieser das „übermäßige Abholzen in einigen Teilen des Landes“ und verwendete, mit Referenz auf Humboldt, das Wort „Klimawandel“ (changing climates). Auch der US-amerikanische Staatsmann und Schriftsteller George Perkins Marsh bezog sich auf Humboldt. Er warnte 1864, die Waldzerstörung würde dazu führen, dass „die Erde für den Menschen nicht mehr bewohnbar“ sei. Auf Humboldt berief sich auch der schottische Botaniker John Croumbie Brown. Nach zwei schweren Trockenperioden 1847 und 1862 in Südafrika versuchte er, den zerstörerischen Umgang mit der Vegetation durch Aufforstungen aufzuhalten. In Südaustralien initiierte 1865, fünf Jahre nach einer fürchterlichen Dürre, Richard Schomburgk, der Direktor des Botanischen Gartens von Adelaide, ein groß angelegtes Wiederaufforstungsprogramm. Humboldt hatte ihn zeit seines Lebens gefördert.
Jede Generation liest Humboldt auf ihre Weise
Doch da diese Aufforstungsversuche langfristig wenig erfolgreich waren, gerieten sie mitsamt Humboldts Warnung vor der Abholzung der Wälder zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit. Auch die Erkenntnisse von Svante Arrhenius zum Treibhausgas CO2 verschwanden aus dem wissenschaftlichen und dem öffentlichen Diskurs. Wiederentdeckt wurden sie erst in den 1970er- und 1980er Jahren mit der Umweltbewegung in Europa. Der Bericht des Club of Rome, die Ölpreiskrise, das Waldsterben und die Warnung des Weltklimarats vor dem menschgemachten Klimawandel alarmierten die Bevölkerung.
Im Jahr 1985 bezeichnete der französische Germanist und Politiker Pierre Bertaux Alexander von Humboldt erstmals als „ersten Ökologen“. Die drängenden globalen Fragen motivierten zur Suche nach historischen Vorläufern und Vorbildern, die man als Referenz und Mitstreiter einsetzen konnte. Die Menschen begannen, neue Fragen an Humboldts Werk zu stellen und entdeckten darin grundlegende ökologische Ansätze. Vor wenigen Jahren wurden dann auch seine Erkenntnisse zum Wasserhaushalt der Landschaft und zum anthropogenen Einfluss auf das Klima neu reflektiert.
Jede Generation liest Humboldt auf ihre Weise. Die Neuentdeckung des globalen Denkers ist noch lange nicht abgeschlossen.
Frank Holl